Hoffenheim gegen Gladbach: Rasante Partie ohne Happy End

Die TSG 1899 Hoffenheim zeigt sich beim 3:3 gegen Borussia Mönchengladbach stark verbessert, verspielt aber eine Zwei-Tore-Führung

29.11.2015 UPDATE: 30.11.2015 06:00 Uhr 3 Minuten, 6 Sekunden

Schockmoment für Hoffenheim: Fabian Johnson (3.v.r.) feiert in der 87. Minute für die Gladbacher. Fotos: APF

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Der Aufwärtstrend war beim munteren und unterhaltsamen 3:3 (2:1) zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und Borussia Mönchengladbach unübersehbar, doch am Ende reichte es den Kraichgauern vor ausverkauftem Haus (30 150 Zuschauer) nicht zum dringend benötigten Dreier, der ihnen etwas Luft im Abstiegskampf verschafft hätte.

Dabei schien "Hoffe" nach einer zwischenzeitlichen 3:1-Führung bereits auf der Siegesstraße eingebogen zu sein. Alles deutete nämlich auf den sehnsüchtig erwarteten ersten Heimsieg hin, den Josip Drmic (56.) und ausgerechnet der Ex-TSGler Fabian Johnson (87.) mit ihren beiden Treffern verhinderten.

Hintergrund

Kommentar: Wenn der Gaul durchgeht

Von Roland Karle

Im Fußball blüht der Aberglaube. Giovanni Trapattoni, damals Italiens Trainer, versprühte vor einem WM-Spiel 2002 geweihtes Wasser in der Kabine (und verlor trotzdem sensationell gegen

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Kommentar: Wenn der Gaul durchgeht

Von Roland Karle

Im Fußball blüht der Aberglaube. Giovanni Trapattoni, damals Italiens Trainer, versprühte vor einem WM-Spiel 2002 geweihtes Wasser in der Kabine (und verlor trotzdem sensationell gegen Südkorea). Auch Nationalstürmer Mario Gomez hat einen Wasser-Tick - in Toiletten steuert er stets das linke Urinal an. Bayerns Thomas Müller wiederum, ein passionierter Pferdezüchter, schaut sich zur Spielvorbereitung gerne mal Hengstvideos an, um den perfekten Partner für seine Stuten zu entdecken.

Ein Hang zu Hengsten wird Huub Stevens nicht nachgesagt, dafür geht mit ihm ganz gerne mal der Gaul durch. So wie am Samstag bei der Pressekonferenz nach dem Heimspiel gegen Mönchengladbach. Da wieherte Hoffenheims Rettungsbeauftragter vom Podium, als wolle er endlich in einer Liga mit Trainerwüterichen wie Labbadia ("Am Arsch geleckt"), Trapattoni ("Flasche leer"), Völler ("Tieferer Tiefpunkt") mitspielen.

Anlass: Dem 62-Jährigen missfiel der Vorbericht in der RNZ zum Gladbach-Spiel. Also bot er dem Autor erste Hilfe an. Stevens drehte an seinen Ohren, wie es filigraner einst nur Luca Toni beim Torjubel vermochte, um beim Journalisten erst Schwerhörigkeit zu diagnostizieren ("Ich glaube, dass etwas an Ihren Dingern fehlt"). Sodann unterbreitete er einen Therapievorschlag ("Ab und zu muss man draufhauen") und ließ eine persönliche Sympathienote folgen ("Du bist es nicht wert, Junge").

Endlich. Hoffenheim hat die Wende geschafft. Das 3:3 gegen Gladbach hat wie Fußball ausgesehen. Wenn schon absteigen, dann bitte so. Die Null muss stehen? Ab jetzt wird wieder kombiniert und kanoniert, wie zu "Hoffes" wildesten Zeiten. Und der Herr Stevens, das hat er im Spiel nach dem Spiel bewiesen, ist gar kein Knurrer, sondern ein Vollblüter mit Temperament. Einer, der den kalkulierten Wutausbruch beherrscht. Da muss er sich nicht hinter Labbadia, Trapattoni, Völler & Co anstellen.

Ist ja auch eine Plage mit der Medienmeute. Die einen haben wenig, die anderen gar keine Ahnung von Fußball. Wissen trotzdem immer alles besser. Nehmen sich viel zu wichtig und sind gleich beleidigt, wenn sie mal angepöbelt und abgehobelt werden.

Trotzdem noch ein Tipp an alle Trainer von Markus Hörwick, seit 33 Jahren kampferprobter Mediendirektor des FC Bayern München: Sie sollen Journalisten mit Sympathie begegnen, aber nicht alles zu ernst nehmen, was Medien berichten. Zudem sei ihm, dozierte Hörwick beim diesjährigen Fußball-Lehrer-Kongress, "ein respektvoller Umgang mit Medienvertretern wichtig".

Na, man muss ja nichts übertreiben. Vielleicht hilft es schon, zwischendurch mal ein paar Hengstvideos anzuschauen. Könnte zu souveräner Gelassenheit führen, wie sie Thomas Müller so perfekt verkörpert.

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Wichtige Punkte in der Endphase noch zu verschenken, ist in Hoffenheim kein neues Phänomen. Unter Stevens-Vorgänger Markus Gisdol waren es deren sechs Zähler, unter Huub Stevens kamen nun zwei weitere hinzu - im 371. Bundesliga-Match des Trainers und einen Tag vor dessen 62. Geburtstag. "Wir sind natürlich enttäuscht, dass es nur zu einem 3:3 gereicht, das ist doch klar. Dass wir kurz vor Schluss so den Ausgleich kassieren, darf nicht passieren", sagte Stevens in seinem Eingangsstatement auf der Pressekonferenz, "aber dennoch ein Kompliment an die Jungs. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Wir müssen mit Leidenschaft Fußball spielen."

Was die Leistung und Einstellung anbetrifft, sollte es eine deutliche Steigerung zum in der ersten Hälfte desaströsen Auftritt bei Hertha BSC Berlin (0:1) sein, wodurch die TSG ja die "rote Laterne" übernommen hatte. Stevens hatte auf insgesamt vier Positionen umgestellt: Schär, Elyounoussi, Schwegler und Zuber rückten für Bicakcic, Schmid, Rudy und Uth in die Startelf. Kuranyi und Uth standen nicht einmal im Kader, Copa-Gewinner Vargas bekam keine Einsatzzeit. Damit hatte Stevens seine Ankündigung, dass es unangenehmer werden könnte, wahr gemacht. "Ich habe das so entschieden, ich gucke nicht auf Namen", meinte Stevens auf Nachfrage.

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Vor allem Nadiem Amiri, der Stärkste und vielleicht die Entdeckung dieser rassigen Partie, sowie Steven Zuber nutzten ihre Chance und gaben dem Hoffenheimer Spiel zugleich Schwung und Profil. Johnson markierte das frühe, wunderbar herausgespielte 0:1 (5.), nach dem 1:1 von Zuber (11.) per Kopf und dem 2:1 von Eugen Polanski (34.) krönte Amiri seine Vorstellung mit dem cool vollendeten 3:1 (47.), das stürmisch von der Süd- und Bierkurve gefeiert wurde.

Leider verloren die Hausherren nach dem Anschlusstreffer von Drmic den Faden, die Selbstsicherheit schwand von Minute zu Minute, so dass die Gladbacher ihre Erfolgsserie von neun Spielen aufrecht erhalten konnten. VfL-Trainer André Schubert sah die Aufholjagd mit Vergnügen: "Langweilig wird es bei unseren Spielen nie. Es ist bewundernswert, wie meine Mannschaft noch mal zurückgekommen ist und sich den Punkt in einem aufregenden Spiel verdient hat. Wir haben viel Herz bewiesen." Kurzum: Die "Fohlen" haben einfach einen Lauf und sind mit dem Teilerfolg von Sinsheim auf Rang vier im Tableau vorgerückt.

Bei der TSG herrschte hingegen eher eine gemischte Gefühlslage. "Wir haben eine sehr, sehr gute Partie gemacht", meinte stellvertretend Innenverteidiger Niklas Süle, "doch wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst wie wir, dann schlottern ein bisschen die Knie am Ende. Wir haben uns zu weit hinten rein pressen lassen."

Nachdem das entscheidende 4:1 nicht fiel, überließen Schwegler und Co. den spielstarken und kombinationssicheren Männern vom Niederrhein das Kommando. Es ist Extraklasse, was die Borussen zuweilen zwischen den beiden Linien zauberten. Der "Verein für Leidenschaft", wie ein großflächiges Transparent im Gästeblock anzeigte, scheint den Entwicklungsprozess, den Lucien Favre detailversessen einleitete, unter Sympathieträger und Kommunikator Schubert nachhaltig fortzusetzen. Taktische Botschaften werden manchmal gar mit kleinen Notizzetteln überbracht. Der eingewechselte Nico Elvedi übergab einen solchen an Lars Stindl, der sich nach dem Studium die Coaching-Anweisungen in die Stutzen steckte.

Eine kuriose Szene eines furiosen 92-minütigen Hin und Hers, das unterm Strich leistungsgerecht endete. Mit dem Wermutstropfen im Hoffenheimer Freudenbecher, dass sich ohne Happy End an der prekären Gesamtlage nichts geändert hat. Solch ein Spektakel wie das am Samstagnachmittag gegen Gladbach muss man halt nach Hause schaukeln.


Einzelkritik:

Baumann: Mehrere erstklassige Paraden, siehe Kunstschuss von Dahoud (36.), siehe Flachschuss von Hazard (81.). Chancenlos beim Doppelpack von Johnson und freien Kopfball von Drmic.

Strobl: Deutlich verbessert gegenüber Berlin. Nah am 4:1 dran, sein Kopfball landete bei Süle, der den verflixten Ball aus kurzer Distanz nicht richtig traf.

Schär: Der Bicakcic-Ersatz machte seine Sache ordentlich. Nur beim 3:2-Anschlusstreffer gab’s ein Abstimmungsproblem mit Strobl.

Süle: Präsenter als Schär. Hätte auf seine gute Leistung fast das i-Tüpfelchen gesetzt. Knifflige Szene: Der Ball sprang ihm vom Oberschenkel an die Hand (82.).

Kim: Kämpfte, machte, tat. Seine Offensivmittel sind aber begrenzt.

Schwegler: Stopfte viele Löcher. Der "Kapitän" musste sich fürs Team aufreiben.

Polanski: Traf diesmal wieder ins richtige Tor - unter Mithilfe von Xhaka. Hohe Intensität. Wer viel arbeitet, macht halt auch Fehler.

Elyounoussi: Belebendes Element, sehr fleißig.

Amiri: "Hoffes" Bester. Zwei Assists, ein Treffer. Frech und unbekümmert. So eine feste TSG-Größe.

Zuber: Unheimlich schnell. Dribbelkönig, mit Mut und Entschlossenheit Richtung Borussen-Strafraum.

Volland: Tadellos seine Einstellung. Ihm fehlte aber das Quäntchen Glück.

Szalai: Kam für Volland. Ohne Bewertung.

Schmid: Kam für den ausgepumpten Zuber. Ohne Bewertung.

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