Eine unendliche Geschichte? – 2:2 zwischen der TSG Hoffenheim und dem VfB Stuttgart

Beim kuriosen 2:2 zwischen der TSG Hoffenheim und dem VfB Stuttgart verlängert sich die Chronik eines angekündigten Gegentores

04.10.2015 UPDATE: 05.10.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 37 Sekunden

Extrem bitter für Hoffenheim: VfB-Stürmer Timo Werner (l.) gelang per Kopf das späte 2:2 (90.), zum Schrecken von Oliver Baumann und Niklas Süle. Danach hatten Baumann und Ermin Bicakcic (r.o.) Redebedarf, während Markus Gisdol (r.u.) ein Wechselbad der Gefühle erlebte. Hier sein Jubellauf nach Vollands 2:1, im Stadionbauch war er später tief enttäuscht. Fotos: APF

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Wenn die 90. Minute bevorsteht und der Schiedsrichter-Assistent die Anzeigetafel mit der Nachspielzeit hoch hebt, dann scheint beim Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim Alarmstufe rot angesagt zu sein. So auch am späten Samstagnachmittag, im 15. Nachbarschaftsduell und Derby zwischen den beiden ranghöchsten Teams aus Baden-Württemberg, die im Oberhaus tief im Tabellenkeller stecken - und gemessen nach der Vorstellung in der mit 30 150 Zuschauern ausverkauften Rhein-Neckar-Arena die Gefahrenzone so schnell nicht verlassen werden. Bonjour Tristesse - hieß es auf jeden Fall beim Kraichgauklub, der mehrfach in diesen furiosen und kuriosen 93 Minuten die Gelegenheit hatte, einen wichtigen Dreier fürs Tableau einzufahren. Doch durch den späten Ausgleichstreffer von Timo Werner (90.) nahm der VfB Stuttgart noch einen Punkt mit und durfte sich zumindest als moralischer Sieger beim 2:2 (1:0) fühlen.

Der Versprecher des kernigen VfB-Trainers sprach Bände. "Es war ein verdienter, aber auch ein glücklicher Sieg", sagte Alexander Zorniger in der Pressekonferenz. Zorniger wirkte wie sein TSG-Amtskollege Markus Gisdol mitgenommen, von der Dramaturgie der Ereignisse und den irrationalen Aspekten des Fußballs überwältigt und einem wahren Gefühlsinferno ausgesetzt. "So können wir Tore nicht herschenken. Ehrlich gesagt kann ich mit dem einen Punkt nicht so viel anfangen", grübelte Gisdol.

Allmählich gehen den Experten die Erklärungen aus. Diese Hoffenheimer Mannschaft ist und bleibt eine Wundertüte. Mal stark, mal schwach, mal kombinationssicher, mal fehlerlastig. Verlässlichkeit und Konstanz sind Fremdwörter. "Hoffe" dominiert die erste Hälfte, könnte gut und gerne 3:0 vorne liegen - Bicakcic an den Außenpfosten (4.), der Lupfer von Vargas an den Innenpfosten (39.) und und und. So hieß es nach dem sehr umstrittenen Elfmeter von Volland (33.) - Sunjic hatte Schwegler auflaufen lassen - nur 1:0. Die TSG hat nach der Pause exzellente Konterchancen. Im Sekundentakt haben Volland, Schmid und Vargas die Gelegenheit zur Erhöhung (50.), eine verheißungsvolle 3:2-Überzahlsituation wird schlampig zu Ende gespielt (59.). Danach greift Zorniger in die Zauberkiste. Mit drei Spielern auf einen Schlag (63.) reizt er sein Wechselkontingent aus. Und wird dafür prompt belohnt, mit dem ersten Ballkontakt köpft "Schwejk" Jan Kliment das 1:1 (64.). Volland gelingt mit seinem fünften Saisontor die erneute Führung (77.), mit tatkräftiger Unterstützung des polnischen Schlaks Przemyslaw Tyton im Tor der Roten. Verrückt: Das 2:1 fällt zu einem günstigen Zeitpunkt für die Hausherren - und vermittelt dennoch keine Sicherheit. Kevin Volland sagte hinterher: "Ab der 60. Minute waren wir nicht mehr ganz auf der Höhe." Pirmin Schwegler pflichtete Volland bei: "Wir haben gegen Ende hin auch Kraftprobleme gehabt. Aber solche Spiele müssen wir einfach über die Runden bringen."

Die Aussagen von Volland und Schwegler überraschen. Wenn nach einer guten Stunde der Akku leer ist, dann stimmt etwas Grundsätzliches nicht. "Hoffe" hat keine Zusatzbelastung durch den DFB-Pokal oder einen internationalen Wettbewerb, kann sich also auf das Ligageschehen und den Prozess der Teambildung konzentrieren. "In der zweiten Halbzeit haben wir zu wenig spielerische Klasse", meinte Niklas Süle offenherzig, "man muss über 90 Minuten und in der Nachspielzeit voll da sein - das kotzt mich halt an."

So findet eine unendliche Geschichte ihre Fortsetzung. Die Entlastung nach vorne fehlt, sie lassen sich hinten reindrücken, eine Mischung aus Chaos, Laissez-faire, Passivität und Konzentrationsmangel macht sich breit. Arianit Ferati darf zweimal flanken, Werner recht frei zum 2:2 einnicken - und zu allem Überfluss fast noch das 2:3 (91.) erzielen, obgleich Gisdol mit dem Schweizer Fabian Schär den dritten Innenverteidiger kurz zuvor eingewechselt hatte. Die Zuschauer im Stadion konnten diese Aussetzer nicht fassen. "Das sind Dinge in unserem Sport, die kannst du nicht erklären", stand Gisdol die finale Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.

Tatsache ist: Hoffenheim muss das Schreckensszenario der epedemiehaft auftretenden Last-Minute-Gegentore in den Griff bekommen. Siehe die Heimspiele gegen den FC Bayern, Werder Bremen und jetzt den VfB Stuttgart, allein dadurch wurden nach acht Spieltagen sechs Pluspunkte verschenkt. Wer gegen den VfB ohne Ginczek (Bandscheibenvorfall), Kostic (Muskelfaserriss), Gentner (Achillessehnenprobleme) und Langerak (Knie-OP) nicht gewinnt, der muss sich ernsthafte Gedanken machen.

Positiv stimmt vor allem das immer stärker werdende Offensivduo "V & V". Volland und Vargas sind zu einer "Lebensversicherung" geworden. Ob das freilich als Schutzmantel gegen die Chronik des angekündigten Gegentores reicht? Wenn der Schiri-Assistent zur Tafel greift, ist ab sofort deutlich erhöhte Wachsamkeit, aber eben keine Panik erforderlich. Sonst wird’s richtig ungemütlich im Kraichgau ...

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.