Aufsteiger Darmstadt mischt die Liga auf

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Aufsteiger Darmstadt und der TSG Hoffenheim.

07.02.2016 UPDATE: 08.02.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 7 Sekunden

Gruß an die alte Heimat: Aytac Sulu feiert sein Tor für die Lilien. Foto: APF

Von Roland Karle

Sinsheim. Mit seiner kleinen Tochter Aylin auf dem Arm sah Aytac Sulu plötzlich gar nicht mehr so Furcht einflößend aus. Besonnen sprach der gebürtige Heidelberger und Ex-Sandhäuser, auf Ruhemodus geschaltet und vergaß nicht, freundlich zu mahnen. "Die nächsten vier Wochen werden heiß, der Abstand nach unten kann schnell dahin schmelzen", sagte Darmstadts Kapitän nach einem Sieg, der seiner Mannschaft ein Polster von zehn Punkten auf die Abstiegsplätze bescherte.

Ein Sieg, an dem Sulu maßgeblich beteiligt war. Hinten stand der Innenverteidiger wie ein Fels. An der Seite von Slobodan Rajkovic riegelte er den Gegenverkehr ab, als hätten sie die polizeiliche Erlaubnis dafür. Es passt ins Bild, dass die beiden Innenverteidiger auch die Tore für den Aufsteiger erzielten. Sulu traf bereits zum fünften Mal in dieser Saison.

Gestern Abend in der Rhein-Neckar-Arena ließ sich eindrucksvoll besichtigen, was den Unterschied zwischen Aufsteiger Darmstadt und der TSG Hoffenheim ausmacht. Die 98er in ihrem grell orangen Dress traten auf wie Wikinger auf rauer See, wild entschlossen, bärbeißig. Die Hoffenheimer schipperten eher wie Passagiere auf einem Kreuzfahrtschiff daher, elegant erscheinend, aber nicht zum Äußersten bereit. Es stimmt, was Trainer Stevens sagt: "Die Mannschaft spielte nicht leblos." Und doch: Sie ging vielleicht an, aber nicht - wie Darmstadt - über ihre Grenzen. Auf diese Weise schaffen es die Hessen, das Maximale aus ihren bescheidenen Möglichkeiten herauszuholen.

Es ist ja nicht so, dass Darmstadt Sushi-Fußball spielt. Das sieht schon sehr nach Blutwurst aus. Und doch präsentieren Sulu & Co einen Sympathien gewinnenden und, noch wichtiger, einen Punkte bringenden Stil. Ein Stil, der andere Mannschaften inzwischen verunsichert. "Die Hoffenheimer können besser kicken als wir", gesteht Peter Niemeyer, einer der 98-Hünen. "Aber gegen so eine eklig spielende Truppe wie uns, da kriegt der Gegner schon mal das Zittern." In Stadien, in denen Niemeyer und seine Sportskameraden gearbeitet haben, müssen die Rasenpfleger in den Tagen drauf Sonderschichten fahren. In Hoffenheim wurde zwecks Verfeinerung balltechnischer Kunstfertigkeiten der sogenannte Footbonaut angeschafft. Dafür haben sie in Darmstadt keinen Platz, vermutlich steht dort, heimlich importiert, ein "Grätschomat".

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Jedenfalls hat Dirk Schuster seinen Jungs dazu gratuliert, wie "sie sich in jeden Schuss geworfen haben". Auch der frühere KSC-Profi galt als ekliger Gegner. Nun exerziert Schuster als Trainer vor, wie man aus wenig Geld und kreativer Begrenztheit die Bundesliga aufmischen kann. "Es ist eine Qualität der Darmstädter, dass sie uns wehtun können", gestand auch TSG-Coach Stevens zu. Dafür braucht es wohl solche Typen wie Niemeyer oder Sandro Wagner, Konstantin Rausch, Jan Rosenthal, Rajkovic - sie alle haben ihren Karriereknick hinter sich, standen im Abseits, waren zum Teil arbeitslos. Schuster hat einen Blick dafür, wer eine neue Chance verdient hat - und schweißt die Gestrandeten zusammen.

Ob es für die Lilien zum Klassenerhalt reicht, bleibt trotz des komfortabel scheinenden Abstands auf die Abstiegsränge unsicher. "Mit 24 Punkten steigt man ab", warnt Niemeyer. Der Sieg in Hoffenheim, gegen einen direkten Konkurrenten, "ist aber schon ein geiler Schritt nach vorne".

Der letzte Schritt der 1899-Kicker gestern Abend tat dagegen richtig weh. Ganz am Ende rafften sie sich nochmal auf, gingen steil, rein in den Strafraum, direkt aufs leere Tor. Hin zu den übrig gebliebenen Fans. Jenen, die mit Schimpf und Schande auf sie warteten. Trost kam von der gegenüberliegenden Seite des Stadions, aus dem Gästeblock. "Gegen Darmstadt", sangen die Anhänger des Aufsteigers, "kann das mal passieren."

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