Sinsheim

St. Jakobus - Geborgenheit einer Umarmung

St. Jakobus in Sinsheim ist avantgardistische Betonskulptur und das Zuhause der katholischen Gemeinde zugleich.

25.04.2024 UPDATE: 25.04.2024 04:00 Uhr 1 Minute, 59 Sekunden
Zwanzig Jahre lang beteten Sinsheims Katholiken im puristischen Weiß. 1991 erhielt der Putz von St. Jakobus dann eine Cremenote. Alle Fotos: Diana Deutsch

Von Diana Deutsch

Sinsheim. Stünde sie frei und mutig auf einem der Hügel im Kraichgau, so wäre die katholische Pfarrkirche von Sinsheim berühmt. Denn St. Jakobus ist "Brutalismus" in Perfektion. Der Begriff hat nichts mit Gewalt zu tun, sondern leitet sich her vom französischen "Béton brut" für Sichtbeton. Die 1970er-Jahre formten aus ihm futuristische Kirchenskulpturen, halb Raumschiff, halb Gotteshöhle. In St. Jakobus sind alle Wände gerundet. Sie wechseln vom Kreis zum Oval, umschlingen einander und fließen wieder voneinander weg. Kein Zweifel: Diese Kirche ist Avantgarde. Doch leider thront sie nicht auf einem Hügel, sondern sie steht unten in der Stadt zwischen Parkdeck und Grundschule. Ein Ausflug ins Jahr 1967, als Kirchenbau noch Kunst war.

Sinsheim ist ein kultischer Urort. Die Benediktinerabtei Sunnisheim, die der Stadt ihren Namen gab, war im Mittelalter das bedeutendste Kloster der Region. Es fußte auf einem römischen Tempel, unter dem eine keltische Kultstätte lag. Heilige Erde. Die erste Kirche unten an der Elsenz wurde um 1450 erbaut. Wie alle Gotteshäuser der Kurpfalz wechselte sie x-mal die Konfession. Und fast ebenso oft wurde sie zerstört. Der Kraichgau ist Durchgangsland.

Allein, um die schwebende Decke zu installieren, brauchte es sechs Monate.

1782 bauten sich die Sinsheimer ein großes klassizistisches Gotteshaus mitten in der Stadt, das alle Gläubigen gemeinsam nutzten. Eine Scheidemauer trennte die Konfessionen. Das funktionierte, bis der Zweite Weltkrieg eine riesige Welle von Flüchtlingen aus dem Osten an die Elsenz spülte. Die Neuankömmlinge glaubten alle katholisch. Der Chor der Stadtkirche platzte aus allen Nähten. Ein neues Gotteshaus musste her – St. Jakobus.

Überraschend mutig schlug das Erzbischöfliche Bauamt Professor Reinhard Gieselmann als Architekten vor, und katapultierte Sinsheim damit in die erste Liga der Moderne. "Eine Kirche ist ein Bau höherer Ordnung, der nach vollkommener Schönheit streben muss", lautete Gieselmanns Grundsatz. 1967 hieß das: Beton pur. Denn kein anderer Werkstoff ist so sensationell formbar.

Alles in St. Jakobus schwingt. Die Orgelempore ruht auf Betonpilzen, die ebenso aus dem Boden emporwachsen wie die Kanzel und der Seitenaltar. Die Lampen sind in ein spektakuläres Deckengewölbe integriert, das frei im Raum hängt. Allein, um diese schwebende Decke zu installieren, brauchten die Arbeiter sechs Monate. Dafür ist die Akustik jetzt sensationell. "St. Jakobus war ein Abenteuer", erinnerte sich Gieselmann. "Wir arbeiteten ohne Pläne, nur auf Sicht." Bei ihrer Weihe strahlte die Kirche in reinem Weiß. Ein Gotteshaus mit 800 Sitzplätzen, das "die Geborgenheit einer Umarmung" vermittelt. Fand der Architekt.

Das katholische Gotteshaus von Sinsheim wurde noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil geplant. Aber das merkt man nicht. Weil Sankt Jakobus die Gedanken des Konzils vorwegnimmt: Die Bänke streben sehnsüchtig dem Altar entgegen. Der runde Chor wendet sich der Gemeinde zu, als wolle er sie in die Arme nehmen. Ein "Raumdialog zwischen Gott und Mensch" (Gieselmann). Im November 1967 wurde die Kirche geweiht.

Hintergrund

St. Jakobus d. Ältere

Adresse: Grabengasse 17, 74889 Sinsheim

Konfession: katholisch

Baujahr: 1967

Baustil: Moderne

Kunstschätze: "Der Gnadenstuhl" : Holzskulptur vom ehemaligen Hochaltar in der Stadtkirche (1951), 1991

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St. Jakobus d. Ältere

Adresse: Grabengasse 17, 74889 Sinsheim

Konfession: katholisch

Baujahr: 1967

Baustil: Moderne

Kunstschätze: "Der Gnadenstuhl" : Holzskulptur vom ehemaligen Hochaltar in der Stadtkirche (1951), 1991 moderne Künstlerfenster von Raphael Seitz, moderner Kreuzweg von Raphael Seitz (1991), Tabernakel und Taufstein von Erich Hauser (1991), Gnadenbild "Maria Trost zu Brünnl" in der Kapelle (1842), Fensterminiaturen mit Szenen aus dem Leben des heiligen Jakob, Orgel von Hans-Theodor Vleugels (2492 Pfeifen), Vier Glocken

Öffnungszeiten: zu den Gottesdiensten und nach Vereinbarung

Kontakt: Pfarrbüro Sinsheim, Pfarrstraße 8, 74889 Sinsheim, Telefon: 0 72 61 / 91 49 0,

E-Mail:pfarramt.sinsheim@se-snh-ang.de

Internet:www.se-sinsheim-angelbachtal.de

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Zwanzig Jahre lang beteten Sinsheims Katholiken im puristischen Weiß. 1991 hatten sie genug davon. Statt Klarglas orderten sie starkfarbigen Künstlerfenster. Der Putz erhielt eine Cremenote. Die Pilzpfeiler im Eingangsbereich verschwanden in einer neuen Kapelle für das böhmische Gnadenbild "Maria Trost zu Brünnl". Architekt Gieselmann, der damals noch lebte, kommentierte die Verwandlung mit leisem Sarkasmus: "Hat der Raum zuvor eine gelassene Melodie angestimmt, so spielt er nun großes Orchester."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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