Afrika

Sansibar hat mehr Gäste denn je und die Einwohnerzahl wächst

Umso wichtiger ist es, dass angehende Tourguides die Bedeutung der Natur zu schätzen wissen.

14.04.2024 UPDATE: 14.04.2024 04:00 Uhr 4 Minuten, 6 Sekunden
Nach der Arbeit schaut Suzanne mit ihren Schülerinnen Mina und Lucia nach dem Rechten. Denn immer wieder roden Anwohner illegalerweise.  Fotos: Robin Höltzcke

Von Robin Höltzcke

Weit ab vom Trubel der Stadt genießt Suzanne Degeling die Abendstimmung im Schatten der Zimtbäume. Nach ihrer Arbeit in Stone Town, der größten Stadt Sansibars, fährt sie mit ihren Schülerinnen Muna und Lucia oft zu ihrem Stück Land und schaut nach dem Rechten. Denn immer wieder holzen dort Dorfbewohner ohne Erlaubnis Bäume ab und pflanzen Kassava an – eine beliebte Knollenpflanze.

"Da vorne auf der kahlen Fläche hat man erst kürzlich für Kassava gerodet", sagt Suzanne. "Ich habe den Anwohnern erklärt, dass sie diese Pflanzen noch ein letztes Mal ernten dürfen." Aber danach soll endlich Schluss sein – ansonsten könne sich hier nie ein Wald bilden.

Die 49-Jährige weiß, dass die Wälder Sansibars hohem Druck ausgesetzt sind. Das liegt vor allem am Flächenbedarf der rasant wachsenden Bevölkerung. Vor rund 70 Jahren zählte Sansibar knapp 50.000 Einwohner – heute sollen hier mehr als 800.000 leben.

Zudem können 90 Prozent von ihnen nur mit Holz oder Kohle kochen. Aber auch der boomende Tourismus führt dazu, dass Hotelanlagen die ursprüngliche Vegetation zurückdrängen. In mehr als 1000 Hotels kamen im Jahr 2023 rund 640.000 Gäste unter – 16 Prozent Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr.

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Das kleine Stück Wald von Suzanne soll als Puffer für das benachbarte Naturschutzgebiet Masingini dienen und zukünftig auch ein Freiluft-Lernort für ihre Schülerinnen und Schüler sein – so der Plan der das Kawa Training Center: ein Ausbildungszentrum für Jugendliche mit Fokus auf nachhaltigem Tourismus. Vor allem junge Frauen, wie die 22-jährige Muna und die 20-jährige Lucia, erhalten so einen Zugang in die Berufswelt. Denn in vielen Familien ist Arbeit noch immer Männersache.

Muna und Lucia sind kurz vor Abschluss ihrer Ausbildung zum Tourguide. Dabei haben sie einiges gelernt: die englische Sprache, die Bedeutung sowie den Schutz der Natur, Computerkenntnisse und natürlich einen professionellen Umgang mit Touristen. "Mittlerweile sind rund ein Drittel der Stadtführer von uns ausgebildet", berichtet Suzanne. Einige haben sich bereits von Kawa abgenabelt und ihr eigenes Unternehmen gegründet. Weniger erfreulich sei jedoch, dass sich ehemalige Schüler am Kundenstamm bedienen. "Sie müssen selbst lernen, Kunden zu akquirieren und nicht den nachfolgenden Azubis die Gäste nehmen." Dennoch freut sich Suzanne darüber, dass viele den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. "Es ist ja nicht Sinn der Sache, dass die Schüler von Kawa abhängig bleiben."

Damit Muna und Lucia weitere Erfahrung im Umgang mit Touristen sammeln, begleiten sie mich bei einer Fahrradtour von Stone Town bis zum Masingini-Wald und wieder zurück. Bei 34 Grad nicht zu unterschätzen. Tourguide für die 30-Kilometer-Runde ist der 25-jährige Abdul, der im Jahr 2020 seine Ausbildung abschloss.

Angekommen in Masingini, dem letzten Wald nahe der Hauptstadt, geht es zu Fuß auf einem schmalen Pfad in das grüne Dickicht. Muna entdeckt sofort einen 30 Zentimeter langen Tausendfüßler, der am Waldboden nach Futter sucht. "Auf Sansibar erzählt man den Kindern, dass der Tausendfüßler seine Beine von einer Schlange hat." Im Gegenzug habe er seine Augen an diese abgegeben. "Und deshalb ist der Tausendfüßler nun blind, kann aber dafür laufen."

Hier haben viele Tiere und Pflanzen ihre ganz eigene Geschichte. Das musste auch Suzanne feststellen, als sie begann, auf der Insel zu unterrichten. "Mit puren Fakten sorgt man dafür, dass jeder im Klassenzimmer einschläft." Eine kleine Geschichte aber wirke Wunder. "Dann sind alle hellwach, hören zu und können sich Informationen viel besser merken."

Weiter geht es in ein dicht bewaldetes Tal mit einem angenehm kühlen Mikroklima. Hoch oben in den Wipfeln springen Kolobo-Affen – eine einheimische Art – von Baum zu Baum. Bäche und Rinnsale speisen einen See, der im Jahr 2022 zur gleichen Zeit komplett ausgetrocknet war. Nun schwimmen hier so viele Wasserpflanzen, dass man die Oberfläche nur erahnen kann. Mit einer Höhe von 135 Metern ist der Wald auch die höchste Erhebung Sansibars. Die steil abfallenden Täler – auf Suaheli Masingini – führen vor allem in der Regenzeit viel Wasser mit sich. Die Regierung verlässt sich auf diese Ressource des 550 Hektar großen Areals. Autoreifengroße Rohre hat man hier in den vergangenen Jahren verlegt, um die Wasserversorgung der Bevölkerung zu verbessern – auch weil die alten Kanäle ihren Zweck nicht mehr erfüllten. Es besteht jedoch das Risiko, dass der Grundwasserspiegel sinkt, wenn zu viel von der Quelle abgepumpt wird.

Der 25-jährige Abdul kann mit seiner Arbeit als Tourguide seine Eltern und acht Geschwister versorgen.

Nach einem einstündigen Waldspaziergang geht es auf dem Rad weiter zu einer nahe gelegenen Farm. Mittagessen steht an – es gibt Pilau-Reis mit Hühnchen, gedämpftes Gemüse und einen exotischen Salat. Alles vor Ort zubereitet. Traditionell wird am Boden und mit der rechten Hand gegessen. Für Gäste gibt es auf Wunsch aber auch Besteck.

Abdul hat inzwischen viele Erfahrungen gesammelt. Er erzählt Muna und Lucia, dass er als Tourguide beide Eltern und seine acht jüngeren Geschwister finanziell versorgen kann. Sogar für Handyverträge reiche das Geld. "Schon vor meiner Ausbildung bei Kawa war ich Gästeführer. Ich wollte aber nicht nur ein ,Beach-Boy’ sein, sondern besser werden." Er habe vor allem gelernt, sich digital zu vermarkten. "Das hat mir sehr geholfen, ich habe mir aber auch angewöhnen müssen, meinen Verdienst gut einzuteilen." Früher stellte er sein ganzes Einkommen der Familie zur Verfügung. "Jetzt behalte ich 40 Prozent ein und kann so Geld für die Zukunft zur Seite legen." Er ist stolz darauf, Touristen durch Sansibar zu führen und ihnen die Natur, Geschichte und Kulinarik der Insel näherzubringen – ganz im Sinne von Suzanne.


Information:

Anreise: Direktflüge von Frankfurt nach Sansibar kosten rund 1000 Euro. Mit Zwischenstopp zahlt man für den Hin- und Rückflug ab 700 Euro.

Unterkunft: Die lebendige Hauptstadt Stone Town hat viele Unterkünfte zu bieten. In der Nähe des Stadtkerns und trotzdem am Strand: das Hotel Tembo im Kolonialstil. Dort kostet die Nacht für ein DZ zwischen 80 Euro und 170 Euro:
www.tembohotel.com

Hygiene-Hinweise: Das Wasser aus den Wasserhähnen sollte nicht getrunken werden und Eiswürfel, die nicht aus Trinkwasser sind, sollten gemieden werden. Außerdem besteht das Risiko, dass Speisen wie Salate mit verunreinigtem Wasser in Kontakt waren.

Ausflugstipps: Stadttouren bis hin zu mehrtägigen Ausflügen mit den Azubis des Kawa Trainingscenter gibt es bei Bluebikes: www.bluebikeszanzibar.com 

Kawa Training Center: Suzanne Degeling hat die gemeinnützige Nichtregierungsorganisation im Jahr 2010 gegründet. Mitunter erhielt sie finanzielle Unterstützung von der Tui Care Foundation.Kawa ist auf Sansibar der Name für eine Haube, die dazu dient, Reis vor Fliegen zu schützen. So bietet auch Kawa den Jugendlichen den nötigen Schutz, um sich weiterzubilden.

www.kawatrainingcenter.com 

Weitere Infos:
www.zanzibar.com

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