300 Jahre Hutgeschichte: Eine stolze Sammlung in Lindenberg

Das Deutsche Hutmuseum in Lindenberg präsentiert Hüte in allen möglichen Formen und Farben - und mit all ihren unterschiedlichen Funktionen.

23.01.2015 UPDATE: 24.01.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden

Auf 1000 Quadratmetern kann der Werdegang vom Strohhalm zum Strohhut, von der Wolle bis zur Filzkappe verfolgt werden. Foto: D. Castor

Von Dietlind Castor

Hüte haben eine ganz besondere Wirkung. Sie geben ihren Trägern je nach Form eine geheimnisvolle, elegante, verwegene oder lustige Ausstrahlung. Manche sind aber auch nur zweckmäßig, schützen vor Sonne und Regen. Nicht umsonst leitet sich das Wort "behütet" davon ab.

Interessantes und Kurioses zum Thema "Hüte" sind seit dem 13. Dezember im Deutschen Hutmuseum von Lindenberg zu sehen, dem einzigen seiner Art. Das Allgäu-Städtchen mit seinen 11 000 Einwohnern gehört zu den sonnenreichsten Deutschlands, denn es liegt in nebelarmer Höhenlage zwischen Bodensee und Alpen. Es gehört zum Landkreis Lindau und somit zu Bayern.

Einst war Lindenberg ein bitterarmes unbedeutendes Dörfchen. Erst im 17. Jahrhundert fing der Ort an zu wachsen. Bauernsöhne kamen durch Pferdehandel weit herum und brachten wohl das Wissen um die Strohhutherstellung mit, was den Bewohnern dann einen gewissen Wohlstand bescherte.

Zunächst flochten Lindenberger in Heimarbeit für den Eigenbedarf sogenannte "Schatthüte", zum Schutz vor der Sonne. Fast in jedem Haus gab es einen "Huterer". Daraus entwickelte sich um 1890 ein regelrechter Industriezweig mit bis zu 34 Strohhutherstellern, die jährlich vier Millionen Hüte produzierten. Nach Einzug des elektrischen Stroms steigerte sich die Zahl auf acht Millionen Hüte. Als der Matelot, auch Kreissäge genannt, unmodern wird, gerät die Hutindustrie in eine Krise. Mit der Fertigung von Damenfilzhüten wird sie gemeistert. Die Form diktiert allerdings Paris.

Während der Weltkriege mussten die Lindenberger Schneeschuhe und Bandagen herstellen. Außerdem Tropenhelme für das Afrikakorps. Später half dann wieder der Slogan "übrigens, man geht nicht ohne Hut", bis 1975 eine hutlose Zeit beginnt. Vielleicht ist das Auto mit Schuld daran, denn beim Einsteigen kann so eine Kopfbedeckung hinderlich sein. Eine Hutfabrik nach der anderen gibt auf. Die Firma Mayser ist als einzige übrig geblieben. Allerdings sind Hüte nur noch Nebenprodukt.

Damit 300 Jahre Hutgeschichte nicht in Vergessenheit gerät, wird 1981 ein kleines städtisches Hutmuseum gegründet, um das sich das Ehepaar Röhrl und der Heimatkundler Hans Stiefenhofer besonders kümmerten. Über Jahrzehnte haben sie eifrig gesammelt "Das sind alles unsere Kinder", sagt Manfred Röhrl, als er die ausgestellten Hüte im neuen, stattlichen Hutmuseum sieht, das nun in der ehemaligen Hutfabrik Reich einen passenden Platz gefunden hat. Dort, wo Röhrl vor 50 Jahren als 14-jähriger Laufbursche begonnen und später als Modellzeichner Hüte für Delegationen von Weltkonzernen zeichnete.

Pünktlich zum 100. Jubiläum der Stadterhebung erwacht das alte vierstöckige Haus der Firma Reich mitsamt seinem stillgelegten Schornstein, als "Kulturfabrik" zu neuem Leben. Die Renovierung verschlang zehn Millionen Euro, was im Vorfeld der Planung auf einigen Widerstand stieß. Im Erdgeschoss dokumentieren in einer Halle neben dem zu einem Restaurant umgewandelten Kesselhaus großflächige Leinwandbilder des Fotografen Richie Müller den Umbau.

Über ein elegant geschwungenes Treppenhaus oder per Aufzug erreicht der Besucher die Hutausstellung. Auf 1000 Quadratmetern kann er den Werdegang vom Strohhalm zum Strohhut, von der Wolle bis zur Filzkappe verfolgen. In den ziemlich dunkel gehaltenen Räumen sprechen großformatige schwarz-weiße Fototafeln von verschiedenen Hutträgern. Zuschauermassen beim Baseballspiel in New York. Jeder der Männer trägt einen Matelot, den flachen Matrosenhut. Den Exportschlager aus Lindenberg? Männer, Frauen und Kinder auf Booten, alle mit Hüten, was bei der Tracht auch heute noch üblich ist.

In aufwendigen Vitrinen hängen und liegen Hüte aus verschiedenen Ländern und Epochen, passend dazu Accessoires, Bilder und antike Möbel. Ein gewichtiger Mittelpunkt: der "Huttornado", an dessen Eisengestänge sich, effektvoll beleuchtet, Hut an Hut reiht. An seinem Außenrand unter schützenden Glashauben einige besondere Sammlerstücke, wie das Scheitelkäppchen des bayerischen Papst Benedikt VXI.

Der Hut von Luis Trenker, den der Südtiroler Bergsteiger persönlich verschenkt hatte, war schon im früheren Hutmuseum ein besonderes Highlight. Ein elegantes himmelblaues Hutgebilde erinnert an Königin Elisabeth von England, die praktisch nie ohne eleganten Hut zu sehen ist. Für diejenigen, die wissen wollen, wie sie mit Hut aussehen, steht vor einer Spiegelwand eine Auswahl von Hüten zur Verfügung. Allerdings nur für kleineren Kopfumfang, nichts für "Großkopferte"! Einmal im Jahr feiert Lindenberg in Verbindung mit einem großen Markt den "Huttag". Bei der Gelegenheit wird jeweils eine Hutkönigin gewählt.

Aus der Zeit, als in Lindenberg die Hutherstellung blühte und man stolz von "Klein-Paris" sprach, stammt auch die für einen so kleinen Ort etwas mächtige neobarocke Kirche. Auf dem Schalldeckel der Kanzel steht in golden glänzendem Gewand Jesus als Sämann. Und was trägt er auf dem Kopf? Selbstverständlich einen Hut.

Hintergrund

Allgemeine Auskünfte erteilt Westallgäu-Tourismus e.V., Stiftsplatz 4, 88131 Lindau, Telefon 08382 270 155, www.westallgaeu.de. Vor Ort hilft die Tourist-Information in der Kulturfabrik, Museumsplatz 1, 88161

[+] Lesen Sie mehr

Allgemeine Auskünfte erteilt Westallgäu-Tourismus e.V., Stiftsplatz 4, 88131 Lindau, Telefon 08382 270 155, www.westallgaeu.de. Vor Ort hilft die Tourist-Information in der Kulturfabrik, Museumsplatz 1, 88161 Lindenberg, Telefon 08381/92 84 310, www.lindenberg.de. Das Hutmuseum befindet sich in dem gleichen denkmalgeschützten Industriegebäude am Museumsplatz 1. Die Sammlung umfasst mehr als 1500 Hüte, dazu modische Accessoires, Maschinen und Handwerkszeug der Hutherstellung, Öffnungszeiten: Di - So von 9.30 bis 17 Uhr (montags geschlossen), Eintritt: Erwachsene 6 Euro, Ermäßigt 4,50 Euro, Kinder (6-14) 2 Euro, Kinder unter 6 Jahren frei, Familienticket 13 Euro.

Anreise: Von Heidelberg mit dem Auto über die A 5, Karlsruhe, A 8 Stuttgart bis Ulm, weiter auf der A 7bis Memmingen und A 96 bis Ausfahrt Wangen-Nord. Weiter über die Landstraße bis Lindenberg, gute 300 Kilometer, drei Stunden Fahrtzeit. Oder mit dem Zug von Heidelberg über Stuttgart, Ulm bis Röthenbach, weiter mit dem Bus 11 bis Lindenberg, ab 39 Euro retour.

Übernachten:

Im Drei-Sterne-Superior-Hotel Waldsee, idyllisch am gleichnamigen See gelegen und mit hübschen Romantikzimmern ausgestattet, Austraße 41, Telefon 08381 92610, www.hotel-waldsee.de. Ein Doppelzimmer mit Frühstück ist ab 99 Euro pro Nacht buchbar.

Oder im familiengeführten Hotel Lindenberger Hof, mitten im Ort gelegen, Hauptstraße 50, Telefon 08381 3040, www.lindenbergerhof.de. Ein Doppelzimmer mit Frühstück ist hier schon ab 50 Euro pro Nacht zu haben.

Essen und Trinken:

Gehobene Küche bietet das Restaurant Bacalau des Hotel Waldsee mit Hauptgerichten zwischen 14 und 20 Euro, geöffnet Di-So von 7 - 23 Uhr, www.hotel-waldsee.de.

Regional-bürgerlich isst es sich im Bayerischen Hof, hier sind leckere Hauptgerichte und saisonale Köstlichkeiten zwischen 8 und 14 Euro zu haben, Hauptstr. 82, Telefon 08381 92 550, www.bayerischer-hof.info, geöffnet von 8 - 24 Uhr, Ruhetag Mi.

Im Restaurant im Kesselhaus in der Kulturfabrik kommen regionale und saisonale Gerichte auf den Tisch, Museumsplatz 1, Reservierungen unter kesselhaus.lindenberg@gmx.de, geöffnet Di bis Do 11 - 23 Uhr, Fr bis So 11 - 14 und 17.30 - 21.30 Uhr, Ruhetag Mo.

[-] Weniger anzeigen