Merkels neue Härte kommt vielen Delegierten zu spät

Die CDU verpasst ihrer Vorsitzenden nach den Differenzen über die Flüchtlingspolitik einen Dämpfer

06.12.2016 UPDATE: 07.12.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 52 Sekunden

Die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben: Angela Merkel erhielt nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses einen Blumenstrauß. Foto: dpa

Die CDU verpasst ihrer Vorsitzenden nach den Differenzen über die Flüchtlingspolitik einen Dämpfer

Von Christian Altmeier

Essen. In einem sind sich in der CDU alle einig: Es ist ein ehrliches Ergebnis. 89,5 Prozent der Stimmen für Angela Merkel. Zehn Prozent der Delegierten des Parteitags in Essen verweigern der Vorsitzenden die Zustimmung für eine weitere Amtszeit. Es ist ihr zweitschlechtestes Ergebnis in 16 Jahren CDU-Vorsitz. Dennoch bekennt die Parteichefin tapfer: "Ich freue mich über das Ergebnis."

Es hätte in der Tat schlimmer kommen können. Noch vor einigen Monaten schienen die Differenzen zwischen der Vorsitzenden und weiten Teilen der Partei in der Flüchtlingspolitik unüberbrückbar. Und so betont der Heidelberger Bundestagsabgeordnete Karl A. Lamers nach der Wahl: "Angesichts der Diskussionen der vergangenen Monate ist es ein hervorragendes Ergebnis". Auch der Heidelberger CDU-Kreisvorsitzende Alexander Föhr findet: "Annähernd hundert Prozent Zustimmung wie beim letzten Mal wären der Stimmung in der Partei nicht gerecht geworden." Und der baden-württembergische Fraktionschef Wolfgang Reinhart bemerkt trocken: "Gegenüber den 74 Prozent, die SPD-Chef Sigmar Gabriel bei seiner Wiederwahl erhalten hat, ist es eine hervorragende Ausgangslage".

Schon unmittelbar nach der Rede der Kanzlerin in Essen ist klar: Die CDU wird ihre Chefin nicht demontieren. Nicht vor einer Bundestagswahl. Und nicht, nachdem Merkel ihren Kurs korrigiert hat. Elf Minuten stehender Applaus sind der Dank der Delegierten. Beifall auch von denen, die sie später nicht wählen. Tagungspräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer gelingt es erst im dritten Anlauf, die Ovationen zu stoppen. "Ein Beifall, der von Herzen kommt", meint die saarländische Ministerpräsidentin beeindruckt.

Angela Merkel hatte dafür rund eine Stunde lang die Seele der Partei gestreichelt - und indirekt auch eigene Fehler eingestanden. "Eine Situation wie die des Spätsommers 2015 darf sich nicht wiederholen", ruft sie unter dem Applaus der rund 1000 Delegierten gleich zu Beginn ihrer Rede in die voll besetzte Gruga-Halle. Illegale Migration müsse gestoppt und den Menschen Zukunftsperspektiven in ihren Heimatländern eröffnet werden. Merkel spannt einen weiten Bogen, benennt die Herausforderungen der Zukunft. Von der Bewältigung des Brexit über den richtigen Umgang mit der Digitalisierung bis zur Sicherung der Rente. Doch die Herzen der Delegierten gewinnt sie immer dann, wenn sie auf Angriff schaltet. Wie etwa gegen die AfD. "Wer das Volk ist, das bestimmen wir alle und nicht nur ein paar wenige - mögen sie auch noch so laut sein." Diese Kampfansage kommt an. Spontaner Applaus. Und auch Alexander Föhr betont hinterher: "Diese Aussage hat mir sehr gut gefallen."

Den lautesten Zuspruch erhält die Kanzlerin allerdings an einer anderen Stelle. Nach gut einer Stunde bringt sie die Halle zum ersten Mal in ihrer Rede zum Beben, als sie fordert, in Deutschland müsse man Gesicht zeigen. "Eine Vollverschleierung sollte verboten sein." Das Burka-Verbot ist zwar längst Linie der Partei. Aus dem Mund der Kanzlerin hört man diese Forderung in dieser Deutlichkeit jedoch zum ersten Mal. "Dieser Passus ist ein Zugeständnis an die Partei. Das hätte sie vor einem Jahr noch nicht gesagt", glaubt der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte. Auch der Wieslocher Landtagsabgeordnete Karl Klein betont, wie sehr Merkel den Delegierten mit dieser Forderung aus der Seele gesprochen habe. Und er glaubt sogar: "Hätte sie früher so klar reagiert, wäre die AfD vielleicht gar nicht so stark geworden."

Neue Klarheit auch bei der Forderung nach Abschiebungen. "Es gehört zur Einhaltung von Recht und Gesetz, dass abgelehnte Asylbewerber unser Land auch wieder verlassen müssen", betont die Kanzlerin in ihrer Rede gleich mehrfach. Nicht nur die Delegierten der Region erklären unisono, wie wichtig diese Forderung für die Basis der Partei ist. "Es gibt Grenzen der Aufnahme", betont Karl A. Lamers. Der Kurs müsse sein: Härter, strikter und klarer gegenüber denjenigen, die kein Bleiberecht haben. "Bei diesem Thema werden wir Rot-Grün im Wahlkampf stellen." Auch der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Rhein-Neckar, Stephan Harbarth, glaubt, dass vom Parteitag vor allem deshalb ein Signal der Geschlossenheit ausgehe, weil die Kanzlerin die Linie im Bereich der inneren Sicherheit klar gemacht habe. Und Karl Klein bemerkt zufrieden: "Die Bundeskanzlerin hat gemerkt, was sie Deutschland und den Bürgern in der Flüchtlingspolitik zugemutet hat."

Allerdings wurde die Parteichefin im Vorfeld des Parteitags auch zu einem härteren Kurs in der inneren Sicherheit gedrängt. Federführend dabei: Der Landesverband Baden-Württemberg. So zeichnet der Landesparteichef und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Thomas Strobl maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Leitantrag des Parteivorstands in einigen Punkten deutlich verschärft wird. Ein Einsatz, der sich bei der Wahl der Stellvertreter nur bedingt auszahlt: Mit knapp 74 Prozent landet er bei der Wahl der Vizes nur auf dem vorletzten Platz. Ein Ergebnis, das Merkels Abschneiden noch einmal in ein milderes Licht taucht.