Islamistische Attentäter: Es ist das soziale Milieu - die Religion ist es nicht
Terrorexperte Elmar Theveßen über die Motive islamistischer Attentäter - Am 13. März beim RNZ-Forum

Von Klaus Welzel
Heidelberg. Der stellvertretende Chefredakteur des ZDF, Elmar Theveßen, wird Gast beim nächsten RNZ-Forum "Die Verführung des Terrors" im Heidelberger Karlstorbahnhof am 13. März sein. Theveßen (49) gilt als ausgewiesener Terrorexperte.
Herr Theveßen, warum werden junge Männer zu islamistischen Terroristen?
Also, wenn wir auf die Empirie gucken, dann sehen wir bei den über 850 in den vergangenen zwei Jahren, die nach Syrien und Irak gezogen sind, dass zwei Drittel von ihnen aus sozial zerrütteten Verhältnissen kommen, dass sie im kriminellen Milieu groß geworden oder auch schon straffällig geworden sind. Das heißt, dass viele von ihnen im Leben eben nicht zurechtgekommen und aus der Bahn geschmissen worden sind. Das entschuldigt diese Menschen überhaupt nicht. Aber es zeigt, dass da junge Leute sind, die anfällig sind für die Parolen des Islamismus. Das sind Menschen, die gar nicht von sich aus schon religiös sind, sondern die sich besonders davon reizen lassen, dass sie auf einmal wichtig sein können - und die Anerkennung bekommen für einen vermeintlich gerechten Kampf.
Hintergrund
Das RNZ-Forum
Unter dem Titel "Die Verführung des Terrors" diskutieren am 13. März, ab 20 Uhr, folgende Experten über die gesellschaftlichen Ursachen des islamistischen Terrorismus:
> Dr. Elmar Theveßen, der sich seit Jahren
Das RNZ-Forum
Unter dem Titel "Die Verführung des Terrors" diskutieren am 13. März, ab 20 Uhr, folgende Experten über die gesellschaftlichen Ursachen des islamistischen Terrorismus:
> Dr. Elmar Theveßen, der sich seit Jahren in das Thema eingearbeitet hat.
> Prof. Dr. Christine Schirrmacher, Professorin für Islamwissenschaft an den Universitäten Bonn und Leuven. Dozentin an der "Akademie Auswärtiger Dienst" des Auswärtigen Amtes, Berlin und Gastdozentin u.a. bei Landes- und Bundesbehörden der Sicherheitspolitik.
> Prof. Dr. Havva Engin, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Dort Leiterin des Heidelberger Zentrums für Migrationsforschung und Transkulturelle Pädagogik (Hei-MaT).
> Dr. Hubert Habig, Autor des Theaterstücks "Bruderkampf", Dozent an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und frei arbeitender Regisseur.
> Moderation: RNZ-Chefredakteur Dr. Klaus Welzel
Das Theaterstück "Bruderkampf"
In dem Stück, das die Regisseurin Barbara Wachendorff gemeinsam mit dem AK Theater auf die Bühne bringt, geht es um die Radikalisierung eines jungen Moslems in Deutschland und das daraus entstehende Spannungsverhältnis zu seinem jüngeren Bruder. "Bruderkampf" feiert am 25. März im Karls᠆torbahnhof Premiere. Karten (10 bis 15 Euro plus VVK) gibt es in der RNZ-Geschäftsstelle, Neugasse 4-6 in der Heidelberger Altstadt.
Anmeldung zum RNZ-Forum
Wer an der kostenlosen Veranstaltung am 13. März teilnehmen möchte, sende bitte ein Mail an rnz-forum@rnz.de - am heutigen Donnerstag ist zugleich ab 14 Uhr das Lesertelefon freigeschaltet: 06221/5195606. Die Schauspieler - eine "Multikulti-Truppe" - zeigen an diesem Abend auch Szenen aus "Bruderkampf".
Sie warnten bereits im Vorfeld der WM 2006 vor Terroranschlägen einheimischer Islamisten. Was hat sich seither verändert - mittlerweile hat der Terror ja Deutschland erreicht.
Wir hatten damals auch einige Anschlagsversversuche, die jedoch rechtzeitig verhindert werden konnten oder bei denen die Täter Fehler gemacht haben. Ich erinnere an den Anschlag auf die Nahverkehrszüge …
… dennoch hat sich ja etwas verändert.
Ja, erstens gibt es eine größere Zahl von jungen Männern, die bereit sind, mitzumachen bei diesen Anschlägen. Dann hat auch durch das Internet das Wissen zugenommen, wie man Bomben baut und das Material dazu ist ebenfalls leichter verfügbar. Zuletzt gibt es eben mehr Menschen mit Kriegserfahrungen aus Syrien oder dem Irak, die dann zum Beispiel wissen, wie man Sprengstoff richtig mischt.
Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen einem hierzulande aufgewachsenen Terroristen und einem Terroristen, der sich in Syrien, Irak oder einem der anderen Kriegsgebiete radikalisierte?
Eigentlich nicht. Es sind im Grunde immer zwei Hauptmotive, die das britische Innenministerium und der britische Inlandsgeheimdienst vor ein paar Jahren sehr anschaulich auf den Punkt gebracht haben: Das eine ist die Wahrnehmung einer persönlichen Benachteiligung in der eigenen Gesellschaft - egal ob die nun in Europa liegt, einem arabischen Land oder irgendwo in Afrika. Das heißt, man fühlt sich benachteiligt, schlechtere Chancen, Ausbildung, Arbeitsplatz, ist von der politischen Willensbildung ausgeschlossen. Und wenn man anderer Meinung ist als der jeweilige Herrscher, dann landet man in afrikanischen Ländern auch sehr schnell als Extremist im Gefängnis, während man in Westeuropa dann am Rand der Gesellschaft landet. Und der zweite Motivationsfaktor ist die persönliche Wahrnehmung einer Doppelmoral in der Außenpolitik der jeweiligen Länder, die teilweise jedenfalls von Gerechtigkeit und positiven Dingen reden, dann aber oft das Gegenteil tun. Das sind die gleichen Motivationsgründe, die junge Leute in Nordafrika dazu gebracht haben, sich in die Luft zu sprengen, wie die jungen Leute in Europa, in Großbritannien, in Spanien, aber auch in Frankreich und Belgien.
Wenn wir jetzt den Blick ins Inland wenden: Wie kann denn der Staat darauf reagieren?
Der Staat hat die ersten 15 Jahre nach dem 11. September in erster Linie mit Repression reagiert; das heißt mit polizeilichen und geheimdienstlichen Maßnahmen. Diese sind nicht falsch, sie sind richtig und auch wichtig. Aber noch viel wichtiger wäre es gewesen, sich auch um Prävention und Deradikalisierung zu kümmern. Das ist wenig bis gar nicht geschehen, weil es einfacher ist, zum Beispiel überall Videokameras zu fordern, statt sich um junge Leute zu kümmern, die anfällig sind für extremistisches Gedankengut.
Machen andere Staaten das besser?
Wenn man sich als Gemeinschaft nicht nur polizeilich bemüht, sondern an Schulen, in privaten Vereinen und Initiativen sich kümmert - ich nenne hier das Beispiel Mechelen in Belgien - dann kann man verhindern, dass junge Menschen in den Extremismus abrutschen. Das funktioniert dort hervorragend, doch das gibt es nirgends als nationales Konzept.
Hat denn diese Art des Terrorismus aus Ihrer Sicht überhaupt etwas mit Religion zu tun?
Zunächst einmal nicht. Die meisten Täter kommen nämlich gar nicht aus dem religiösen Bereich. Aber in dem Moment, wo sie am Rande der Gesellschaft stehen und sich als die großen Verlierer fühlen, kommt dann die Religion ins Spiel. In der Verfälschung des Islam bietet sie die Rechtfertigung, quasi gegen Zivilisten mit Gewalt vorzugehen. Das ist dann der Brandbeschleuniger - diese verfälschte Form der Religion. Das funktioniert offenbar so gut, weil viele junge Leute glauben, darin Anerkennung zu finden, wenn sie an einem vermeintlich gerechten Kampf teilnehmen.
Und gehen Sie davon aus, dass die islamische Kultur der Gewalt näher steht als die christliche?
Nein, das kann man absolut nicht sagen. Man kann sagen, dass der Islam auf der Bibel, dem Neuen und dem Alten Testament fußt. Der Prophet hat sogar eine ganze Menge abgeschrieben, sage ich mal salopp - weil sein Onkel ihn sehr intensiv in das Judentum und Christentum eingeführt hat. Aber ganz klar ist, dass es eine Verfälschung des Korans gegeben hat im 12./13. Jahrhundert nach dem Fall des Kalifats in Bagdad. Damals sind Hetzschriften verfasst worden, die dann Eingang gefunden haben in die Auslegung des Korans, die heutzutage im Wahabbismus, wie er in Saudi-Arabien praktiziert wird, weiterverbreitet werden. Und das sind die Fußnoten des Koran, die den Islam verfälschen und von Osama bin Laden bis Al-Bagdadi genutzt werden, um eben all diese Gewalt zu rechtfertigen.