Bei Knigge geht es nicht um Schickimicki

Tischmanieren, adrette Kleiderordnung, strenge Verhaltensregeln: Das verbindet man mit Knigge. Alles überholt? Nein! Ein gutes Auftreten ist immer noch das A und O, sagt Benimm-Expertin Vera Reich.

17.09.2015 UPDATE: 18.09.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden

Foto: Fotolia

Von Nikolas Beck

Es ist acht nach zehn, als ich zum Telefon greife und wähle. Acht Minuten später als vereinbart. Unverzeihlicher Fauxpas oder alles halb so wild, weil innerhalb der berühmten akademischen Viertelstunde? Ich entschuldige mich gleich zu Beginn für die kleine Verspätung. Aber ist das überhaupt nötig? Wie gut, dass meine Gesprächspartnerin eine ist, die es wissen muss.

Vera Reich ist Benimmexpertin, zertifizierte Knigge-Trainerin. Über "Do’s und dont’s" weiß sie Bescheid. Mit den Regeln und Umgangsformen, die allgemein - und fälschlicherweise - dem Schriftsteller und Aufklärer Adolf Freiherr von Knigge zugeschrieben werden (siehe Kasten), ist sie also bestens vertraut.

Hintergrund

Der deutsche Schriftsteller Adolf Freiherr von Knigge (1752-1796) ist der Verfasser des Buches "Über den Umgang mit Menschen", das 1788 erschienen ist und heute als das Standardwerk für gutes Benehmen gilt.

Bei Knigges Version des

[+] Lesen Sie mehr

Der deutsche Schriftsteller Adolf Freiherr von Knigge (1752-1796) ist der Verfasser des Buches "Über den Umgang mit Menschen", das 1788 erschienen ist und heute als das Standardwerk für gutes Benehmen gilt.

Bei Knigges Version des Buches handelt es sich nicht um ein Benimmbuch mit Ratschlägen und Vorschriften, welche Gabel zu welchem Essen und welche Kleidung zu welchem Anlass die passende sei. Vielmehr ist es eine Betrachtung des Anstands und der Werte in verschiedenen Gesellschaftsschichten.

Erst nach Knigges Tod wurde sein Werk - zu seiner Zeit ein Bestseller - durch verschiedene Herausgeber umgeschrieben und neu publiziert. Im Laufe der Jahre wurde es um Anstandsregeln erweitert und der "moderne Knigge" war geboren.

Der Name steht heute für Benimmratgeber und der Begriff Knigge wird als Synonym für gute Manieren oder gutes Benehmen verwendet. Die Ursprungsversion kann man kostenlos beim Projekt Gutenberg nachlesen. nb

[-] Weniger anzeigen

Wer "Knigge" hört, denkt meistens an strenge Kleiderregeln, das akkurate Anordnen von Rot- und Weißweingläsern zu Tisch oder den Mann, der der Frau die Tür aufhält. Aber sind solche Dinge überhaupt noch zeitgemäß? Interessant für junge Erwachsene, deren Jeans oft nicht zerrissener sein könnten und bei denen junge Frauen sich längst erfolgreich emanzipiert haben?

"Knigge ist aktueller denn je." Findet Vera Reich. Wenngleich die Regeln aufgelockert sind und offener mit ihnen umgegangen wird. Man müsse sich allerdings immer bewusst sein, wie man beispielsweise mit einer ausgewaschenen Jeans wirke. Was privat cool sein mag, könne im Job schnell unangenehm auffallen. Oftmals gehe es aber auch nur um Nuancen, die eine große Wirkung haben. Etwa bei der Frage, ob eine Krawatte getragen wird oder nicht.

Auch interessant
: Wie man beim ersten Date eine gute Figur macht

"Bei Knigge geht es nicht um Schickimicki, sondern darum, praktisch zu handeln", betont Reich. Und nennt ein Beispiel: So müsse nicht zwingend der Mann der Frau die Autotür aufhalten. Schließlich könne auch sie am Steuer sitzen und einem älteren Herrn auf dem Beifahrersitz beim Ein- und Aussteigen helfen. Auf der anderen Seite freue sich wohl jede Frau, wenn ihr im Abendkleid und in High Heels die Hand gereicht wird. Auf beruflicher Ebene sieht das allerdings anders aus: "Im Business würde ich einen Teufel tun, mir helfen zu lassen", sagt Reich. Hier sollten Frauen anders auftreten. Nicht maskulin, aber eben auch nicht als das "schwächere Geschlecht".

In ihren Seminaren hat Vera Reich gerne mal ein Schwert in der Hand. Aus Plastik selbstverständlich. Aber eindrucksvoll genug, um ihren Zuhörern die "Verkehrsregeln" zu Fuß zu erklären. Wer wo zu gehen hat, das ist nämlich klar geregelt: "Der Höhergestellte läuft rechts von mir", sagt Reich. Privat ist das die Frau, im Job der Chef oder der Kunde, der durch die Firma geführt wird. Wenngleich heute niemand mehr mit der rechten Hand aus der Schwertscheide auf der linken Seite die Waffe ziehen muss, um den anderen zu beschützen - diese Regel gilt noch immer. Die Expertin weiß: "Das sind Dinge, auf die man nicht hingewiesen wird, die aber Eindruck machen können, wenn etwa ein Praktikant mit ihnen vertraut ist."

Und die Liste solcher Umgangsformen ist lang: So bietet etwa immer die Frau den Handschlag an und forciert es, ob man sich zur Begrüßung Küsschen - erst rechts, dann links - auf die Wange gibt. Letzteres ist im Job allerdings verpönt. Genauso sei im Businessbereich klar geregelt, dass der Höhergestellte das "Du" anbietet, so Reich. Was sich laut Knigge gehört und was nicht, das hat sich im Privaten diesbezüglich aber geändert. War es früher noch immer die Frau, die anbot, sich zu duzen, so ist das heute "Privileg" des Älteren. Hier sollten gerade junge Frauen aber auf jeden Fall den Mut aufbringen können, im Zweifelsfall dankend und höflich abzulehnen, wenn ihnen das "Du" nicht behage. Diese neue Regelung kann einem gefallen oder nicht. Auch Vera Reich ist kein Freund davon.

Dann gibt es da einen Dauerbrenner unter Kniggeverfechtern. "Begrüßungsrituale - das haben wir Deutschen überhaupt nicht drauf", stöhnt Reich. Das höre sie von ihren Auftraggebern immer wieder. Kein Firmenchef lasse dieses Thema aus, wenn Reich junge Mitarbeiter schulen soll. Dabei könnte das so einfach sein: Auf dem Flur wird sich namentlich gegrüßt, ist ein Kollege im Gespräch, nonverbal. Etwa durch ein kurzes Nicken. Begleitungen werden stets vorgestellt und auch unbekannte Gäste werden in der Firma begrüßt.

Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Was ist nun mit meinem verspäteten Telefonanruf? Die Benimmexpertin lacht. Generell sei Pünktlichkeit hierzulande von allergrößter Wichtigkeit. Vor allem im beruflichen Bereich. Professionell sei es, auf die Minute anzurufen. In einem vollen Terminkalender können fünf Minuten schließlich schon eine entscheidende Rolle spielen. "Wir hatten uns aber für 10 Uhr plus minus eine halbe Stunde verabredet", gibt Vera Reich Entwarnung. Ich sei also noch im grünen Bereich.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.