Kabarettist im Interview

Wie Gerhard Polt den Humor wieder entdecken will

"Mit welchem Schmunzeln das Menschliche doch zu betrachten ist ..."

24.06.2020 UPDATE: 28.06.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 35 Sekunden
Foto: dpa

Er ist einer, der auf der Bühne schweigen, aber trotzdem komisch sein kann. Doch Gerhard Polt hat noch mehr Begabungen, die ihn zu einem der ungewöhnlichsten und vielseitigsten Kabarettisten Deutschlands werden ließen. Unser Autor Jan Draeger sprach mit dem 78-Jährigen über Barkeeper, die zuhören können, Menschen, die ständig telefonieren, und warum er für mehr Gelassenheit eintritt.

Hintergrund

Name: Gerhard Polt

Geboren am 7. Mai 1942 in München.

Ausbildung und Karriere: Polt studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte in München sowie Skandinavistik und Altgermanisch in Göteborg und arbeitete zunächst als Übersetzer, Lehrer und

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Name: Gerhard Polt

Geboren am 7. Mai 1942 in München.

Ausbildung und Karriere: Polt studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte in München sowie Skandinavistik und Altgermanisch in Göteborg und arbeitete zunächst als Übersetzer, Lehrer und Dolmetscher. Seinen ersten Bühnenauftritt hatte er 1975 mit dem kabarettistischen Programm der "Kleinen Nachtrevue" in der Münchner "Kleinen Freiheit". Einem größeren Publikum wurde Polt durch seine Sketch-Reihe "Fast wia im richtigen Leben" bekannt. Es folgten Kinofilme wie "Kehraus" und "Man spricht deutsh". 1979 wurde ein Manuskript Polts für die Sendung "Einwürfe aus der Kulisse" von Redakteuren des ZDF um einige kritische Stellen über den damaligen Innenminister Friedrich Zimmermann gekürzt. Polt revanchierte sich ein Jahr später bei der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises, die vom ZDF übertragen wurde: In seiner "Rede" als Preisträger schwieg er zehn Minuten lang, da ihm erneut verboten worden war, Zimmermann zu erwähnen.

Auszeichnungen: Gerhard Polt erhielt bereits zahlreiche Preise, darunter zwei Adolf-Grimme-Preise und der Deutsche Filmpreis (1984 für "Kehraus"). Im letzten Jahr wurde ihm der Kulturelle Ehrenpreis der Landeshauptstadt München verliehen.

Privat: Polt lebt im oberbayrischen Neuhaus, ist verheiratet und hat einen Sohn.

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Herr Polt, mir graust’s ein wenig vor dem Gespräch. Ich denke, so ein Interview per Handy – das passt nicht zu Ihnen.

So müssen wir aber jetzt nicht mit Mundschutz reden.

Haben Sie einen Mundschutz in bayerisch Weiß-Blau wie Markus Söder?

Den habe ich geschenkt bekommen.

Manche Masken sind richtig schick. Selbst die Logos der Modefirmen prangen jetzt schon darauf. Sind Sie an Mode interessiert?

Ich glaube eher nicht.

Haben Sie ein Lieblingskleidungsstück?

Meistens Dinge, die ich schon lange trage. Zum Beispiel eine Trachtenjoppe, die ich von einem Herrn, der leider verstorben ist, geschenkt bekommen habe. Der Vorbesitzer hatte sie ebenfalls von einem, der schon rausgestorben war. So was ist schön: Weil ich mich an den Mann erinnere, und der hat sich wieder an den anderen erinnert.

Wir wollen heute über Gelassenheit sprechen. Sie haben einmal gesagt: "Gelassenheit ist keine Strategie, die hatte ich schon immer" – also 78 Jahre Gelassenheit?

Na ja, ich bin kein geschulter Buddhist. Aber Gelassenheit ist doch ein schönes Wort: Wenn man mit einer gewissen Ruhe Dinge sehen oder hören kann … Ich habe mal in Italien einen Menschen kennengelernt, der sehr gut zuhören konnte. Ich war dort in einem Hotel an einer Bar. Es war Nachmittag und fast kein Mensch da. Dann bin ich mit dem Barkeeper ins Gespräch gekommen. Das war spannend. Wenn die Leute um ihn herum in der Nacht betrunken sind, ist er stocknüchtern und hört zu. Er hat gesagt, dass es unvorstellbar sei, was die Menschen dann von sich geben, wenn sie gelöst sind – in vino veritas.

Mir hat mal eine junge Geschäftsfrau erzählt, dass sie beim Telefonieren immer ganz aufgeregt sei. Einfach, weil sie es nicht gewohnt ist. Denn ihre Kontakte beschränken sich auf Mails und Nachrichten auf WhatsApp. Ist das typisch für die jüngere Generation?

Kann sein. Das sind diese Kurzformeln, sich in Codes mitzuteilen! Oder der berühmte Herr Trump, der immer twittert, oder zwitschert, so heißt es ja auf Deutsch. Wie ein Vogel, der immer nur kurz was von sich gibt. Die Eloquenz, das Briefeschreiben und die Konzentration können vielleicht darunter leiden. Aber die Geschwätzigkeit der Menschen, der Mitteilungsdrang, ist nach wie vor vorhanden. Letztes Jahr in Italien ist mir das wieder besonders aufgefallen. Wenn ich am Strand sitze, sehe ich Leute, die bis zum Bauch im Wasser stehen und telefonieren. Sie haben diese Ohrstöpsel, gehen im Wasser auf und ab und reden pausenlos. Das Rauschen des Meeres hören sie gar nicht mehr. Merkwürdig.

Sie sind ein Beobachter – auf was schauen Sie jetzt gerade?

Auf einen Berg. Da kommen gerade wieder Wolken auf. Ich wohne relativ nahe an den Bergen. Man weiß nie, was kommt. Weiße Wolken? Schwarze Wolken? Manchmal sind auch Paraglider da oben, bis zu 20 Leute. Einmal hat sich sogar ein Adler unter sie gemengt. Vielleicht hat der sich bedroht gefühlt.

Wie ein Theaterstück am Himmel?

So ist es. Das mit dem Gleitschirmfliegen habe ich nie gemacht. Ich muss zugeben, ich wäre etwas zu feige dafür.

Dafür können Sie schweigen, sogar auf der Bühne – auch am Handy?

Klar.

Erinnern Sie sich noch an das erste Telefon in Ihrem Elternhaus?

Das hatte jemand in der Nachbarschaft in Altötting, wo wir gewohnt haben. Das war Ende der 40er-Jahre. Ich selbst hatte erst sehr spät ein Telefon.

Sind Sie ein guter Zuhörer, wenn ein Freund mit Sorgen zu Ihnen kommt?

Das ist immer eine Frage, in welcher Verfassung man selber gerade ist. Aber eigentlich höre ich gerne zu. Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich ein radiogeprägter Mensch bin. Ich habe diese ganze Hörspielkultur miterlebt.

Wer konnte Ihnen mehr Gelassenheit vermitteln, Ihr Vater oder Ihre Mutter?

Meinen Vater habe ich kaum kennengelernt. Er ist sehr spät vom Krieg zurückgekommen. Meine Mutter war eine relativ gelassene Person. Aber Gelassenheit lernt man durch die Umgebung. Von Kindheit an trifft man auf Menschen, die entweder hektisch oder ruhig sind. Ich wurde mal als Kind gefragt, was ich gerne werden wollte. Meine Antwort war: Bootsverleiher. Das stimmt auch. Aus dem Grund, dass mich als Kind ein Mensch fasziniert hat, der Bootsverleiher war. Ich hatte das Gefühl, dass er unabhängig und frei ist. Wenn einer kam, der von ihm ein Boot wollte, dann hat er das ganz ruhig hergerichtet. Er hatte keinen Chef vor sich, von dem er sich irgendwie bedrängt fühlen musste. Er war ein freischaffender Bootsverleiher. Als Kind hat man ein gutes Gefühl dafür, wie Erwachsene sind. Ob sie sich wohlfühlen, ob sie leicht erregbar sind, ob sie Dinge hinnehmen …

Findet Ihre Frau, dass Sie gelassen sind?

Ich glaube schon.

Ihr Landesvater Markus Söder – ist der gelassen?

Der wirkt sehr gelassen. Inwieweit er das auch in seinem Umfeld ist, weiß ich nicht.

Vor zwei Jahren hätte man das von ihm noch nicht gedacht.

Der hat wahrscheinlich seine Rolle oder vielleicht auch sich gefunden. Ich kenne nicht so viele Politiker. Aber Sie merken ja oft schon an der Stimmlage, ob der Mensch ruhiger ist, ob er eine Ausdrucksweise hat, die ihm noch die Möglichkeit gibt zu überlegen, was er sagen will. Noch was zur Gelassenheit: Ich habe zum Beispiel Lampenfieber, kann aber damit umgehen. Es ist gut, dass ich diese Bühnenangst habe, sonst wäre ich vielleicht zu gleichgültig. So muss ich mich konzentrieren. Ich habe auch Schauspielerinnen und Schauspieler kennengelernt, die ganz stark von dieser Angst befallen waren. Das waren sonst sehr ruhige und überlegte Leute.

Sie haben Skandinavistik studiert, sprechen fließend Schwedisch – kommen die Schweden ihrem Bild von Gelassenheit mehr entgegen als die Bewohner anderer Nationen?

Sehr schwer zu sagen. Die Schweden sind keine Spanier. Sie sind in ihrer Art einfach ruhiger. Ich habe aber auch viele Menschen in Schweden kennengelernt, die eine große innere Unruhe hatten. Und wenn Sie schwedische Literaten lesen, merken Sie, dass da von inneren Qualen in den verschiedensten Formen erzählt wird.

Wahrscheinlich gibt es kein Land, in dem mehr in der Literatur gemordet wird als in Schweden.

Ich durfte noch Maj Sjöwall, die mit Per Walhöö zusammen die berühmten Krimis geschrieben hat, auf der Buchmesse in Göteborg kennenlernen. Damals fing es so richtig an mit den Schweden-Krimis. Gerade in Schweden, das eigentlich ein friedliches Land ist und nicht nach Soho riecht.

Könnten Sie auch einen Krimi schreiben?

Nein. Mir fehlt die Fantasie dazu.

Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?

Ich habe mal gesagt: 3+ oder 3-, je nachdem. Oder 4+.

Also eine Note?

Genau. Im Internet gibt es immer "like" oder "dislike". Oder: Daumen rauf oder Daumen runter. Wir leben in einer Welt, wo alles benotet wird. Und dem möchte ich mich nicht entziehen.

Können Sie uns einen Ratschlag geben, wie man gelassener werden könnte?

Was ganz wichtig ist: Entdecken Sie wieder, welch großartigen Humor es gibt. Wilhelm Busch zum Beispiel. Die Zeichnungen und Gedichte. Mit welchem Schmunzeln, welcher Freude dort das Menschliche zu betrachten ist. Auch dass das Menschliche Defekte hat, aber die sind alle verzeihlich. Na ja, vielleicht nicht alle …