Vom Tod der Freundin erfuhr die Studentin aus Paris per Facebook

Die 20-jährige Amytis Heim aus Paris studiert in Heidelberg - Wochenendtrip nach Hause wurde zum Albtraum - Gedenken heute auf dem Theaterplatz

15.11.2015 UPDATE: 16.11.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 13 Sekunden

Amytis Heim Foto: privat

Von Sebastian Riemer

Als Amytis Heim am Freitagabend in Paris aus dem ICE stieg, freute sie sich auf eine schöne Zeit mit ihren Freuden und ihrer Familie. "Ich bin über das Wochenende nach Hause gefahren, um mit meinen Liebsten zu feiern", sagt die 20-jährige Studentin. Sie war glücklich, in ihrer Heimatstadt zu sein, als sie um 18 Uhr am Bahnhof Gare de l’Est ankam.

Sonntagabend, exakt 48 Stunden später: Amytis Heim steht wieder am Gare de l’Est - doch ihre Welt ist eine andere. Während die Pariserin auf ihren Zug zurück nach Heidelberg wartet, wo die Medizinstudentin seit rund zwei Monaten ihr Erasmus-Semester verbringt, spricht sie mit uns am Telefon über das schlimmste Wochenende ihres jungen Lebens.

"Ich habe eine Freundin verloren", sagt Heim. Sie spricht ruhig und gefasst, doch der Schock sitzt tief, das ist ihr anzumerken. Die Freundin war unter den 19 Opfern, welche die Attentäter auf der Terrasse des Restaurants "La Belle Equipe" ermordeten. "Ich erfuhr davon erst am nächsten Tag. Über Facebook. Ihr Mann schrieb dort, dass seine Frau tot sei." Die beiden kannten sich seit Jahren, über eine Wohltätigkeitsorganisation, welche die Freundin gegründet und für die Amytis Heim ehrenamtlich gearbeitet hatte. Die Organisation kümmert sich um benachteiligte Kinder in Madagaskar. "Vor zwei Jahren haben wir gemeinsam drei Wochen dort verbracht."

Am Telefon erzählt die junge Frau ihr Wochenende chronologisch - als könne sie selbst all das nur verstehen, wenn sie es Stunde für Stunde nacherzählt. Vom Bahnhof ging sie am Freitag direkt in eine Bar, zur Geburtstagsparty eines Freundes. "Am späteren Abend erreichten uns die ersten Nachrichten, über das Handy und den Fernseher in der Bar", erzählt sie. "Nach und nach wurde uns klar, welche Ausmaße das alles hat." Obwohl die Bar in einem Stadtteil liegt, der nicht von den Anschlägen betroffen war, wurde der Besitzer um 23.30 Uhr angewiesen, seinen Laden zu schließen. Die Nacht verbrachte Heim bei Freunden. "Der Vater eines Freundes holte uns ab."

Schlafen konnte sie nicht, in Sorge um die vielen Freunde. "Meine Eltern und meine Schwester konnte ich zum Glück gleich erreichen, sie waren zu Hause." Viele ihrer Freunde markierten sich auf Facebook als "sicher". "Ich war wirklich froh in dieser Nacht, dass Facebook diese Möglichkeit zur Verfügung stellte", so Heim.

Am Samstag konnte sie endlich zu ihrer Familie. Und trotz der schrecklichen Nachricht vom Tod ihrer Freundin, ging sie abends mit ihren Eltern und ihrer Schwester in ein Restaurant: Es war der Geburtstag ihres Vaters. "Wir können ja nicht für den Rest unseres Lebens zu Hause bleiben." Auf der Straße sei keine Menschenseele gewesen. "Es war gespenstisch. Das habe ich in Paris noch nie erlebt - schon gar nicht an einem Samstagabend, wo eigentlich überall gefeiert wird." Doch schon am Sonntag, erzählt Amytis Heim, sei das Leben langsam in die Straßen der Hauptstadt zurückgekehrt.

In ihrer Trauer und Verzweiflung kontaktierte die Studentin französische Kommilitonen in Heidelberg. "Wir wollten etwas tun, um unserer Trauer Ausdruck zu verleihen." Gemeinsam stellten sie in kürzester Zeit eine Gedenkveranstaltung auf die Beine: Am heutigen Montagabend um 20 Uhr treffen sich die Studenten auf dem Theaterplatz (nicht Universitätsplatz) - und laden alle Heidelberg ein, dazuzukommen. "Es gibt keine politische oder religiöse Botschaft", sagt Amytis Heim. "Wir wollen einfach nur mit Kerzen der Opfer von Paris gedenken."

Wegen des Aufbaus Weihnachtsmarktes muss die Gedenkveranstaltung vom Universitätsplatz auf den Theaterplatz verlegt werden.

Info: Die Gedenkveranstaltung zu Ehren der ermordeten Menschen in Paris findet am Montagabend um 20 Uhr auf dem Theaterplatz (nicht Universitätsplatz!!!) statt.

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