Fritz-Bauer-Ausstellung: "Es gäbe keine deutsche Erinnerungskultur an die NS-Verbrechen"

Der Heidelberger Zeithistoriker Edgar Wolfrum im RNZ-Interview über den ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts - Ausstellung ab Donnerstag im Landgericht

23.02.2015 UPDATE: 24.02.2015 06:00 Uhr 3 Minuten, 3 Sekunden

An Fritz Bauer erinnert ab Donnerstag eine Ausstellung im Landgericht. Foto: dpa

Von Micha Hörnle

Am Donnerstag wird um 17 Uhr im Landgericht Heidelberg, Kurfürstenanlage 15, eine Ausstellung über Fritz Bauer (1903 bis 1968) eröffnet. Bauer, der in den zwanziger Jahren in Heidelberg studierte, musste als Jude und Sozialdemokrat im Dritten Reich emigrieren. 1949 kehrte der Jurist nach Deutschland zurück, 1956 wurde er hessischer Generalstaatsanwalt und betrieb energisch die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen. So teilte er dem israelischen Geheimdienst Mossad 1960 den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns mit. Er befürchtete, die bundesdeutsche Polizei und Justiz könnten Eichmann in seinem argentinischen Versteck warnen. Vor allem gilt Bauer als Wegbereiter der großen Auschwitz-Prozesse in Frankfurt ab 1963.

Zur Ausstellungseröffnung wird neben Landesjustizminister Rainer Stickelberger auch der Heidelberger Zeithistoriker Prof. Edgar Wolfrum sprechen. Die RNZ befragte Wolfrum (Foto: Privat) nach Bauers Motiven - und seiner Wirkung für heute.

Prof. Edgar Wolfrum. Foto: privat

Heute wird Fritz Bauer, wie beispielsweise im Heidelberger Landgericht, geehrt. Wie würde er darauf reagieren?

Ich denke, das würde ihm gefallen, denn er hat sich immer als öffentlicher Mensch verstanden, der aufklären und zur Demokratie erziehen wollte.

Bauer war einer der wenigen, der in der Nachkriegszeit die Bestrafung nationalsozialistischen Unrechts vorantrieb. Wieso war er so allein auf weiter Flur?

Man muss differenzieren. Während der Besatzungszeit hatten die Alliierten eine schonungslose Aufdeckung, Verfolgung und Bestrafung von NS-Verbrechen vorangetrieben. Das kam in den 50er Jahren fast vollständig zum Erliegen, es herrschte ein "Gnadenfieber". Erst mit der Gründung der "Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" 1958 in Ludwigsburg änderte sich dies. Der erste Auschwitz-Prozess wurde fast von Bauer alleine angestoßen, danach aber hatte er viele Verbündete unter den jüngeren Staatsanwälten.

Wie sehr war sich Bauer bewusst, dass er allein war - und was motivierte ihn?

Bauer zeichnete ein tiefes Gerechtigkeitsempfinden aus. Er war ein großer Moralist und half, wie etliche Remigranten, die Bundesrepublik intellektuell und geschichtsmoralisch zu begründen.

Irmtrud Wojak klagt in ihrer Biografie über Fritz Bauer, dass man eigentlich wenig Persönliches über ihn wisse, da kaum Schriftstücke überliefert sind. Was weiß man über ihn?

Man weiß schon einiges aus den zeitgenössischen Quellen, die ja zum Teil auch in der Ausstellung zu sehen sind. Bauers private Situation war schwierig, oft war er einsam. Er war ein Schöngeist, ein großer Liebhaber moderner Kunst, Chagall schätzte er besonders. Er versprühte Unruhe, war ein übermäßiger Raucher und ruinierte damit seine Gesundheit.

Fritz Bauer, ein gebürtiger Stuttgarter, studierte in Heidelberg. Was weiß man über seine Zeit hier?

Er studierte in Heidelberg, Tübingen und München. In Heidelberg war er nur kurz, 1921/22 und dann wieder 1923 bis 1925, als er bei Karl Geiler, der 1945 von den Amerikanern als erster hessischer Ministerpräsident eingesetzt werden sollte, mit einer Arbeit "Die rechtliche Struktur der Truste" promoviert wurde.

Heidelberg war in der Weimarer Republik deutschnational, später stark nationalsozialistisch geprägt - man denke nur an die Gumbelkrawalle 1932. Weiß man, wie die Situation seines Studienortes auf Bauer gewirkt hat?

Vorsicht, das sind spätere Entwicklungen. In den frühen Weimarer Jahren galt Heidelberg als akademische Hochburg der DDP, deren Selbstverständnis als Staatspartei vielen liberal-konservativen Professoren entgegen kam. Bauer studierte bei "Vernunftrepublikanern" und liberalen Demokraten wie dem 70-jährigen Eberhard Gotheim, begeisterte sich aber vor allem für Gustav Radbruchs Figur des "Juristen aus Freiheitssinn".

Von Fritz Bauer ist der Satz überliefert "Wenn ich mein Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland". Hatte Bauer ernsthaft die Hoffnung, dass sich die Deutschen wandeln?

Ja, sonst wäre er nach dem Exil nicht nach Deutschland, in das Land der Täter, zurückgekehrt. Es war ja eine Zumutung, sein Freund Kurt Schumacher überredete ihn dazu. Der Satz ist erschreckend verzweifelt und Bauer wurde immer wieder angefeindet. Er hatte aber auch Verbündete, vor allem den hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn. Dieser hatte den NS-Verfolgten Bauer als Generalstaatsanwalt nach Frankfurt geholt, während Adenauer den NS-Belasteten Globke ins Kanzleramt setzte.

Stellen sich die Deutschen wirklich Ihrer Geschichte? Laut einer jüngst veröffentlichen Umfrage wollen 81 Prozent der Deutschen die Geschichte der Judenverfolgung hinter sich lassen und 58 Prozent einen Schlussstrich ziehen …

Dazu kann ich nur sagen: Wer die NS-Verbrechen kennt, der wird besser zu schätzen wissen, welch Glück und Verpflichtung es ist, in einer freiheitlichen Demokratie leben zu dürfen. Es ist gefährlich, dass dies so selbstverständlich genommen wird.

Wie wichtig ist Fritz Bauer heute für die Geschichtswissenschaft?

Er ist für die Rechtswissenschaft genauso wichtig wie für uns Historiker. Die Auschwitz-Prozesse begleiteten eine Vielzahl historischer Gutachten. So kann man sagen: Die deutsche Zeitgeschichte entstand aus dem Geist der NS-Vergangenheitsaufarbeitung.

Was bleibt von Fritz Bauer?

Bauer war ein Anwalt der Menschenrechte. Es bleibt vor allem, dass der heutige Bundespräsident Joachim Gauck zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sagen kann, es gebe keine deutsche Identität ohne Auschwitz. Dies ist die Quintessenz deutscher Erinnerungskultur - und sie geht auf Fritz Bauer zurück.

Info: Wer zur Ausstellungseröffnung am Donnerstag um 17 Uhr kommen will, wird um Anmeldung per E-Mail gebeten an: poststelle@jum.bwl.de gebeten.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.