Heidelberger Frühling

Harmonie im Herzen

Unter dem Motto "Mediterrane Inspirationen" erklimmt das Quatuor Modigliani die Gipfel der Musik.

16.04.2024 UPDATE: 16.04.2024 19:14 Uhr 1 Minute, 55 Sekunden
Foto: Studio visuell

Von Lea Holland

Heidelberg. Die vier Herren im Anzug sind bereit: Kaum haben sie sich gesetzt, stürzen sie das Publikum kopfüber in den Frühling. Die Instrumente müssen nicht gestimmt werden, denn es stimmt einfach alles. Die klirrend-klare Akustik in der Aula der Alten Universität hebt die Virtuosität des französischen Quatuor Modigliani gebührend hervor.

Zunächst ist es noch ein starker Kontrast: Das schwungvoll-grüne Presto des Streichquartetts in G-Dur, komponiert von einem gerade mal 16-jährigen Mozart, erfüllt den altehrwürdigen, etwas verstaubt wirkenden Saal. Doch die vier Musiker verstehen sich darauf, das Publikum in den Bann der Musik zu ziehen und alles andere verschwinden zu lassen.

Musikalisch finden wir uns auf einer Frühlingswiese wieder, bei Tee und Gebäck in der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Im klagenden Adagio beweisen die Interpreten genauso viel Tiefgang wie in der Heiterkeit des ersten Satzes. 

Diese Sensibilität für die düsteren Seiten der Musik zeigt das Quartett besonders im zweiten Stück des Abends. "Lui e Loro", ein Werk der jungen Komponistin und Violinistin Élise Bertrand, thematisiert das Schicksal der Abtei von Monte Cassino.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kloster bombardiert; es heißt, allein eine weiße Christusstatue sei unversehrt geblieben. Das Stück ist geprägt von schnellen Wechseln zwischen bedrohlich-leisen Passagen und lärmendem Chaos. Die Violinen klingen wie heulende Sirenen, die gezupften Saiten wirken tief beunruhigend.

Dissonant und expressionistisch malen die Streichmusiker ein Bild der Angst und Verzweiflung. Die Musik erinnert an den Horror des Krieges und lenkt die Gedanken unweigerlich zu jenen Menschen, die auch heute, in diesem Moment, denselben Horror durchleben. Wohl bewusst gestaltete Bertrand das Stück so beunruhigend, dass man sich als Zuhörer schon fast das Ende herbeisehnt.

Und im letzten Moment lichtet sich der musikalische Sturm. Ein leiser Hoffnungsschimmer erklingt: "Redemption through Christ" (die Erlösung durch Christus) nennt es Amaury Coeytaux, Violinist des Streichquartetts. Nachdem das Stück endet, geht beim Applaudieren ein erleichtertes Aufatmen durch das Publikum. 

"Lui e Loro" klingt so schwer nach, dass die ersten Minuten der Italienischen Serenade von Hugo Wolf regelrecht vorbeiziehen. Doch dem Streichquartett gelingt auch hier scheinbar mühelos eine meisterhafte Interpretation.

Dass das Quatuor Modigliani nun seit 20 Jahren besteht, ist deutlich spürbar: Wie ein einziger Organismus bewegen sich die Streicher durch die musikalische Landschaft und schaffen es jeweils doch, ihren individuellen Ausdruck der Musik zu bewahren.

Ein perfekt abgestimmtes Schauspiel ist auch das letzte Stück des Abends: Beethovens Streichquartett Nr. 7 in F-Dur op. 59,1. Die Sonne erhellt ein letztes Mal den majestätischen Saal und die schweißglänzenden Gesichter der vier Streicher, die sich völlig in ihrer Musik zu verlieren scheinen. Majestätisch beginnt der erste Satz, gefolgt von einem launisch-trotzigen Allegretto. 

Zwischen den ersten beiden Sätzen beging das Publikum den Affront des Applauses, woraufhin Violinist Loïc Rio einen leise-mahnenden Laut von sich gab. Anschließend konnte das Quartett das Stück ungestört vollenden (praktischerweise ohne Pausen zwischen den Sätzen). Der abschließende Applaus wollte gar nicht mehr enden, und die Musiker besänftigten das hungrige Publikum letztlich mit einem Schubert-Menuett als Dessert. 

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