Drei Treffer von Gomez beim 1:2 aberkannt (Update)
Der VfB Stuttgart verliert das Auswärtsspiel in Sandhausen - auch weil gleich drei Treffer von Mario Gomez aberkannt werden. Der frühere Nationalstürmer übte anschließend deutliche Kritik.

Von Wolfgang Brück
Sandhausen. Der Präsident war heiser. Jürgen Machmeier erklärte es so: "Wahrscheinlich ist der Stein, der mir von den Schultern fiel, in die Kehle gerutscht." Ein interessanter Vorgang, den man sich gerne noch mal im Videobeweis anschauen würde. Damit sind wir mitten im Thema. Die Jungs aus dem Keller in Köln, die nach Studium der Fernsehbilder neuerdings ein entscheidendes Wort mitsprechen, übernahmen gestern Nachmittag beim 2:1-Sieg des SV Sandhausen über den VfB Stuttgart komplett die Regie.
Zweimal jubelten die Stuttgarter über vermeintliche Tore (10. und 45.+3). Zweimal nahm Schiedsrichter Harm Osmers nach Hinweisen aus Köln seine Entscheidungen zurück. Es passt zum bizarren Verlauf, dass auch beim späten Anschlusstreffer durch einen Elfmeter von Silas Wamangituka (89.) der Video-Assistent Pate stand. Tim Kister war der Ball an die Hand gesprungen. Sandhausen hatte zuvor durch Aziz Bouhaddouz eine 2:0-Führung vorgelegt (1. und 24.).
Sogar Ronny Zimmermann, ein entschiedener Befürworter der neuen Technik, hatte Mitleid. "Das ist bitter für Mario Gomez", sagte der DFB-Vize. Der Nationalspieler, dessen Tore nicht zählten, war den Tränen nahe. Er tröstete sich mit der Gnade der frühen Geburt: "Zum Glück muss ich das nicht mehr lange mitmachen. Die Jungen tun mir leid."
Wolfgang Schneider sieht es ähnlich. "Der Fußball ist nicht mehr das Spiel, das es mal war", stellte der 67-jährige Protagonist früherer Glanzzeiten fest, "das Geld und die Technik verderben den Spaß." Weil jedoch sein Herz für den SV Sandhausen schlägt, wollte Schneider mal nicht so sein. "Heute bin ich für den Videobeweis. Ausnahmsweise."
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Es war ein besonderes Spiel. Nicht nur, weil der Dorfverein erstmals gegen einen der Großen gewann. Das war zuvor weder gegen Stuttgart, noch den Hamburger SV, Köln oder zuletzt im Pokal gegen Mönchengladbach gelungen. Sondern auch, weil im Derby die Systemfrage eindeutig beantwortet wurde. Das schnelle Umschaltspiel von Uwe Koschinat setzte sich gegen den Ballbesitz-Fußball durch, auf den der Kollege Tim Walter schwört.
Der Ligazwerg hat nur eine Chance, wenn er wacher, flinker als der übermächtige Gegner ist. Nach 48 Sekunden ging Sandhausen durch Bouhaddouz in Führung. Wie beim 2:0 des Deutsch-Marokkaners war Kevin Behrens der Vorbereiter. Kurios: Die Gäste hatten 76 Prozent Ballbesitz, ein Ecken-Plus von 15:6 und schossen häufiger aufs Tor (29:16). Die rot-weiße Dominanz auf den Rängen korrespondierte mit der Überlegenheit auf dem Rasen.
Doch dort, wo Fußballspiele entschieden werden, war Sandhausen besser. Im Tor mit einem überragenden Martin Fraisl, im Angriff mit den BB-Bombern Behrens und Bouhaddouz, auf deren Konto jetzt 13 der 17 Saisontore gehen. Sechs hat Bouhaddouz erzielt. Nicht schlecht für einen, der sagt, dass er erst bei 80 Prozent sei.
Dabei liegt es ein knappes Jahr zurück, dass Aziz mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter in seiner Wohnung in Köln saß. Arbeitslos und mit bescheidener Perspektive. Die zweite Saison auf Sankt Pauli war nicht so toll gewesen, das Engagement in Saudi-Arabien ein Desaster. Und mit 32 ist man nicht mehr der Jüngste. "Vom Ausland hatte ich die Nase voll und aus Deutschland gab es keinen wirklichen Interessenten", gesteht der Angreifer.
Sandhausen war wie eine Erlösung. Verdient hat er sich den neuen Vertrag mit 18 Toren während seiner ersten beiden Spielzeiten am Hardtwald. "Er ist bei uns zu Hause", sagt Jürgen Machmeier. "Am Hardtwald genieße ich Vertrauen", bestätigt der Profi. Fünf Jahre, so das anspruchsvolle Ziel, will er noch Fußball spielen. Denn erst mit 27 wurde der in Neu-Isenburg aufgewachsene marokkanische Nationalspieler Profi.
Sandhausen blieb im fünften Spiel hintereinander ohne Niederlage. Für die 21 Punkte – sie bedeuten Platz sieben – brauchte der Dorfklub in der vergangenen Runde bis Mitte März (!) Die Chancen auf eine sorgenfreie Saison sind gut. Selbstvertrauen und Form stimmen. Doch am Hardtwald wird man wissen: Alle müssen bei der Sache sein – zu hundert Prozent. Egal ob wie gestern gegen den VfB Stuttgart oder wie am nächsten Sonntag beim Tabellenletzten Dynamo Dresden. Man muss kein Prophet sein: Das nächste Spiel ist das schwerere.
Sandhausen: Fraisl - Diekmeier, Nauber, Zhirov, Paqarada - Paurevic - Scheu (71. Taffertshofer), Linsmayer (65. Kister) - Halimi (90. Türpitz) - Bouhaddouz, Behrens
Stuttgart: Kobel - Stenzel (58. Sosa), Badstuber, Phillips, Castro - Endo - Mangala, Ascacibar (72. Wamangituka) - Gonzalez (58. Al Ghaddioui), Gomez, Förster
Schiedsrichter: Harm Osmers (Hannover)
Zuschauer: 13.689
Tore: 1:0 Bouhaddouz (1.), 2:0 Bouhaddouz (24.), Phillips (2), 2:1 Wamangituka (89., Handelfmeter)
Update: Sonntag, 1. Dezember 2019, 21.15 Uhr
Von Nils Bastek
Sandhausen. Der VfB Stuttgart hat in der 2. Fußball-Bundesliga erneut gegen einen Außenseiter gepatzt und findet weiter keine Konstanz. Die Mannschaft von Trainer Tim Walter verlor am Sonntag beim SV Sandhausen mit 1:2 (0:2) und damit bereits zum fünften Mal in dieser Saison. Aziz Bouhaddouz (1. Minute/24.) erzielte die beiden Tore für die Gastgeber. Silas Wamangituka traf in der 89. Minute per Elfmeter zum Anschluss, nachdem der Videoassistent auf ein Handspiel im Strafraum aufmerksam gemacht hatte. Die dritte Auswärtsniederlage in Serie verhinderte der Treffer aber nicht.
Zuvor hatte Robert Kempter im Kölner Keller gemeinsam mit den Linienrichtern seinen Anteil am Frust beim VfB. Den Schwaben wurden gleich drei Treffer von Mario Gomez (11./45.+3/71.) aberkannt, weil der Ex-Nationalstürmer jeweils knapp im Abseits gestanden hatte.
"Ich war schon ein Freund davon, weil ich dachte, es wird gerecht, aber für uns Stürmer ist es eine Katastrophe", schimpfte Gomez anschließend bei Sky über den Videobeweis: "Das System, wie es ist, ist einfach scheiße."
Die Schwaben bleiben nach der Niederlage Tabellendritter mit drei Punkten Rückstand hinter dem Hamburger SV. Auf Spitzenreiter Arminia Bielefeld fehlen nun sechs Zähler. Der 1. FC Heidenheim auf Platz vier hat wie Erzgebirge Aue drei Punkte Rückstand auf Stuttgart.
Der VfB dominierte die Partie zwar erneut über weite Strecken, leistete sich im Spielaufbau aber auch viele Ballverluste. Die nutzten die Gastgeber aus. Schon nach wenigen Sekunden köpfte Kevin Behrens an die Latte, Bouhaddouz staubte ab und schoss aus kurzer Distanz die Führung. Dann pennte der VfB nach einer Ecke, was der Torjäger erneut ausnutzte. "Das hat nur was mit Aufmerksamkeit zu tun. Da waren wir einfach schläfrig", kritisierte Walter die Gegentore nach Standards.
Im Vergleich zum Derbysieg gegen den Karlsruher SC stand Nathaniel Phillips als einziger Neuling in der Startelf, weil Kapitän Marc Oliver Kempf gesperrt fehlte. Doch trotz der fast gleichen Mannschaft agierte der VfB anders als eine Woche zuvor oft unkonzentriert und verlor Bälle durch Passfehler, wodurch Sandhausen immer wieder Konter-Gelegenheiten bekam. Die eigenen Chancen durch Gonzalo Castro (32.) oder Santiago Ascacibar (33.) nutzte Walters Team dagegen nicht.
Nur Gomez traf in der ersten Halbzeit einmal mit links sowie ein weiteres Mal herrlich per Fallrückzieher. Beide Tore wurden aber nachträglich zurecht aberkannt. In der zweiten Hälfte war dann auch vom 34 Jahre alten Routinier nicht mehr viel zu sehen, weil er wie fast alle seiner Teamkollegen deutlich abbaute. Allerdings erzielte der Angreifer an einem für ihn gebrauchten Nachmittag noch einen weiteren Abseitstreffer. Wieder überprüfte der Video-Schiedsrichter die Szene, wieder wurde das Tor zurecht aberkannt. Erst kurz vor Schluss gab es die Elfmeterentscheidung zugunsten des Favoriten. Doch für einen Punkt reichte es nicht mehr.
Update: Sonntag, 1. Dezember 2019, 16 Uhr