Heidelberg

So war das Digital-Festival (plus Videos)

1200 Besucher in der Halle02 – Kretschmann: Bildungskanon überprüfen

04.07.2018 UPDATE: 05.07.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 6 Sekunden
Ministerpräsident Winfried Kretschmann tauchte in die virtuelle Welt ab. Foto: Hoth

Von Kathrin Hoth und Michael Abschlag

Heidelberg. So, wie Winfried Kretschmann schaut, ahnt er vermutlich schon, was gleich kommt. Und tatsächlich: Keine zwei Sekunden später stülpt jemand dem Ministerpräsidenten am Stand der Heidelberger Druckmaschinen eine Virtual-Reality-Brille über. Sie sieht aus wie eine überdimensionierte Sonnenbrille und entführt den Träger virtuell ins Innere einer Druckmaschine. Etwas unsicher dreht Kretschmann den Kopf nach links und rechts.

"Ah, ok", sagt er - und entledigt sich recht zügig der Technik. Hat er sich so die neue, digitalisierte Welt vorgestellt? "Das kann ich nicht sagen, ich kannte das ja nicht", sagt der Landesvater. "Das System hat mir auf jeden Fall etwas vorgestellt."

Kultusministerin Susanne Eisenmann diskutiert mit Schülern im Sofagespräch. Foto: Rothe

Genau darum geht es auch an diesem Tag. Die Landesregierung hat zum "Festival für digitale Bildung" in die Heidelberger Halle 02 geladen. Welche Potenziale bietet die Digitalisierung in Schule, Studium und Beruf? Das ist die zentrale Frage, die bei den fast 40 Programmpunkten, vielen Workshops und an den Ständen von Firmen und Bildungseinrichtungen im Mittelpunkt steht. Immerhin vier Landesminister und der Landesvater sind erschienen. Digitalisierung, da sind sich Politiker einig, ist eben eine ressortübergreifende Angelegenheit.

Das Wort "Festival" ist in Heidelberg übrigens durchaus wörtlich zu verstehen. In und um die Halle ist es laut, warm, voll und am Anfang auch ein bisschen chaotisch, als sich der Pulk aus Journalisten und Ministerpräsident durch die engen Gänge schiebt.

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Heidelberger Halle 02: Landesregierung lädt zum "Festival für Digitale Bildung"
Lehrreich: Schüler aus Herrenberg erklären Winfried Kretschmann (l.), Thomas Strobl (2.v.l.) und Eckart Würzner (2.v.r.) den Algorithmus für ein selbstfahrendes Auto. Foto: Rothe

Überall wabert den rund 1200 Besuchern Essensduft um die Nase, auf der Festivalterrasse vor der Halle verfolgen die Teilnehmer Diskussionen im Liegestuhl auf dem aufgeschütteten Sandstrand. Die Minister stehen in "Sofagesprächen" entspannt Rede und Antwort.

Es sei der perfekte Ort für diese Veranstaltung, betont denn auch Oberbürgermeister Eckart Würzner in seiner Begrüßungsrede. Schließlich würden sich in der Halle 02 üblicherweise gerade junge Menschen treffen, die sich für neue Themen begeisterten. "Noch dazu im zukunftsorientiertesten Stadtquartier der Welt, der Bahnstadt." Ohnehin, so Würzner, passiere in Heidelberg so einiges in Sachen Digitalisierung.

Nicht nur, dass die Stadt beispielsweise selbst in weißen Flecken den Breitbandausbau vorantreibt. Auch der Winterdienst werde intelligent vernetzt, indem etwa Sensoren Straßenglätte frühzeitig identifizieren.

In das Loblied auf Heidelberg stimmt Innen- und Digitalisierungsminister Thomas Strobl etwas später gerne ein. Die Stadt als Veranstaltungsort für das Festival sei ein "Volltreffer", sagt er. Schließlich sei Heidelberg beim Landeswettbewerb als "Digitale Zukunftskommune@bw" ausgezeichnet worden. "Heidelberg öffnet die Augen, ist auf Neues gespannt. Die Stadt hat sich entschieden, Digitalisierung zu gestalten."

Das will Strobl auf Landesebene auch. "Digitalisierung ist uns in der Landesregierung ein Herzensanliegen", sagt er. Mit einer Digitalisierungsstrategie und einer Milliarde Euro in dieser Legislaturperiode wolle die Landesregierung sicherstellen, dass Baden-Württemberg bei den neuen Entwicklungen zur Avantgarde gehöre. Es komme nun auf den "Spirit" in der Gesellschaft an, ob man Freude daran habe.

Ein Vorteil von Digitalisierung liegt für Strobl klar auf der Hand: Dank Internet sind Bildungsinhalte überall auf der Welt abrufbar. "Das schafft völlig neue Chancen und Möglichkeiten" - etwa für Menschen in Entwicklungsländern.

Digitalisierung in der Bildung ja - aber an welchen Stellen und in welchem Maß? Diese Frage treibt nicht nur die vielen Lehrer und Ausbilder unter den Besuchern in der Halle 02 um. Auch die Eröffnungsrede von Ministerpräsident Kretschmann gerät zu einem stellenweise emotionalen Plädoyer für das humanistische Bildungsideal. Man müsse die Mittel dem Zweck unterordnen, fordert er.

"Man sollte nicht einfach etwas Neues machen, nur weil man es jetzt mit dem Tablet machen kann. Man sollte es nur tun, wenn es auch pädagogisch sinnvoll ist. Die Pädagogik führt, das muss so bleiben." Die letzten Worte sind im Zwischenapplaus gerade noch so zu verstehen. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) wird später genau die gleiche Linie vertreten: "Umblättern durch Wischen ist kein Mehrwert", sagt sie in einer der Diskussionsrunden.

Der Landesvater hat indes noch eine andere Botschaft mit nach Heidelberg gebracht. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung will er den Bildungskanon auf den Prüfstand stellen. Bislang habe man sich immer gefragt, wo man noch etwas draufsatteln könne, so Kretschmann. "Ich finde, in Zeiten des Internets müssen wir auch mal darüber nachdenken, was wir weglassen können." Auch dafür gibt es Applaus.

Wenn es aber mit der Digitalisierung nicht getan ist - was muss sich dann noch in der Bildung ändern? In der Abschlussdiskussion kommt dazu auch der Vorsitzende des Landesschülerrats, Leandro Cerquiera Karst, zu Wort. "Zum einen müssen Lehrer entsprechend ausgebildet werden", so Karst. Aber auch die Schüler sollen eingebunden werden und etwa Mitschülern digitales Wissen vermitteln.

Das unterstützt auch Daniel Domscheit-Berg. "Die Schule muss interdisziplinärer werden", fordert der Netzaktivist. Es bräuchte aber auch eine breite gesellschaftliche Debatte zu den Themen Digitalisierung und Bildung. "Wir haben derzeit ungefähr 25 mal so viele Talkshows zu Islam und Migration", kritisiert er. Und warnt: "Hoffen wir, dass spätere Historiker nicht einmal sagen: Die hatten damals eine riesige Chance, und sie haben sie verpasst."

Das Festival für digitale Bildung macht da ja Hoffnung.

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