1899 Hoffenheim verzettelt und verzockt sich gegen Stuttgart

Das 1:5 beim Landesrivalen VfB Stuttgart wird zum bitteren Lehrstück - Nagelsmann: "Wir haben alle keine gute Leistung gezeigt"

06.03.2016 UPDATE: 07.03.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 26 Sekunden

Der Anfang vom Ende: Georg Niedermeier verwertet den Abpraller gedankenschnell zum 1:0 gegen Hoffenheims Torhüter Oliver Baumann. Fotos: APF

Von Joachim Klaehn

Stuttgart. Spätestens als ein Zettel von Julian Nagelsmann und seinem Trainerteam über Ermin Bicakcic, Eugen Polanski und Jiloan Hamad durch die Spielerreihen wanderte, war klar, dass bei der TSG 1899 Hoffenheim am Samstag im Landesderby beim VfB Stuttgart die totale Konfusion herrschte.

Hintergrund

Baumann: Ließ den Volleyschuss von Rupp beim 1:0 nach vorne abprallen. Wurde mehrfach im Stich gelassen. Ein Torwart als Leidfigur.

Schär: Katastrophal. Vom überragenden Kostic auf dem Bierdeckel schwindlig gespielt. Generell großer Unsicherheitsfaktor

[+] Lesen Sie mehr

Baumann: Ließ den Volleyschuss von Rupp beim 1:0 nach vorne abprallen. Wurde mehrfach im Stich gelassen. Ein Torwart als Leidfigur.

Schär: Katastrophal. Vom überragenden Kostic auf dem Bierdeckel schwindlig gespielt. Generell großer Unsicherheitsfaktor hinten.

Süle: Wirkte ausgelaugt und ungewohnt schwach bei Kopfbällen. Zur Freude von Georg Niedermeier.

Bicakcic: Taktik-Opfer (35.). Sauer wegen seiner frühen Auswechslung.

Kaderabek: Über seine Seite rollte fast jeder VfB-Angriff. Keine Impulse vom zuletzt frechen Tschechen.

Hamad: Wie im falschen Film ...

Polanski: Rackernder Ersatzkapitän. Ein glänzender Steilpass auf Schmid.

Amiri: Fleißiger und widerstandsfähiger als andere. Noch "Bester" in einem gänzlich versagenden Kollektiv.

Toljan: Wurde von Rupp und Didavi häufig genarrt. "Rookie" Ochs passt besser ins Team.

Volland: Ein später sehenswerter Schlenzer (87.). Gestikulierte oft - vor lauter Verzweiflung.

Uth: Gar nicht gut. Ungefährlich.

Kramaric: Profiteur der Nagelsmannschen Systemumstellung. Schoss erst knapp vorbei (63.), dann ganz genau ins kurze Eck (73.).

Vargas: Kam für Hamad rein. Ohne Durchsetzungsvermögen.

Schmid: Ersetzte Uth. Perfekt von "Pola" freigespielt. Vergab kläglich das durchaus mögliche 3:2 (76.). jog

[-] Weniger anzeigen

Der Eingriff von außen sah eine taktische Änderung von einem 3-5-2- auf ein 4-3-3-Sytem vor - dies bereits in der 26. Minute. Zu diesem Zeitpunkt stand es 1:0 für den wie entfesselt auftretenden VfB, am Ende schickte das Team mit dem roten Brustring die desolaten Hoffenheimer mit einer 5:1 (2:0)-Packung nach Hause.

Nagelsmann wirkte nach vier viel versprechenden Partien unter seiner Regie geschockt und angefressen. Zwar beantwortete der 28-Jährige die Fragen im Bauch der Mercedes-Benz Arena professionell, doch in ihm selbst rumorte es gewaltig. "Wir haben alle keine gute Leistung gezeigt", sagte Nagelsmann mit einer Betonung, die den Rückschluss zuließ, dass er sich selbst und alle "Bankangestellten" der TSG mit einschloss.

Denn auch nach der Umstellung von einer Dreier- auf eine Viererkette wurde es keinen Deut besser. Im Gegenteil: Die Treffer von Niedermeier (5. und 51.), Rupp (42.), Kostic (78.) und Werner (83.) - dazwischen gab’s die Ergebniskosmetik von Kramaric (73.) zum zwischenzeitlichen 3:1 - drückten nur annähernd die Überlegenheit der offensivstarken Schwaben aus. Schon zur Halbzeit war "Hoffe" mit dem 2:0 noch gut bedient, am Ende hätten sie sich auch über ein 8:2 nicht beklagen dürfen.

Auch interessant
: "Ruppinho" lässt die Füße sprechen

Vor 47 677 Zuschauern spielten die Hausherren überforderte Hoffenheimer regelrecht an die Wand. "Heit kenna mer was für unsa Torverhältnis dua, gell", sagte ein eingefleischter VfB-Fan auf der Haupttribüne nach einer knappen Stunde. So gut wie gar nichts wollte der "TSG Nagelsmann" gelingen - und das lag primär nicht an der Grundordnung, sondern an fußballerischen Grundtugenden, die fast alle der 14 eingesetzten Protagonisten vermissen ließen. Zu wenig Bewegung, unpräzises Passspiel, ineffizienter Ballbesitz, mäßiges Zweikampfverhalten, keine Zuordnung und Abstimmung im Abwehrverhalten einschließlich bei Standardsituationen - die Mängelliste war an diesem rabenschwarzen Tag lang.

In der Summe spielte dies Stuttgart wunderbar in die Karten. "Die Hoffenheimer Spielweise hat optimal gepasst. Sie haben uns die Räume gegeben, die wir brauchen", sagte Timo Werner mit einem Lächeln. VfB-Trainer Jürgen Kramny frohlockte ebenfalls: "Das war von Anfang an eine klare Geschichte. Ich bin stolz auf meine Mannschaft. Sie hat nach den Niederlagen gegen Hannover und Gladbach die richtige Reaktion gezeigt."

Während die Stuttgarter ihr süßes Erfolgserlebnis ausgiebig genossen, stand den TSGlern die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Besonders bitter, dass man als Auswärtsteam unzählige Male lehrbuchmäßig ausgekontert wurde. "Wir waren zu blauäugig und haben zu viele Konter eingefangen", brummte Kapitän Eugen Polanski. "Schon mit dem frühen Standardtor haben wir komplett den Faden verloren. Einfach eine schlechte Leistung, dafür haben wir eine richtige Klatsche bekommen", grantelte Kevin Volland. Abwehrhüne Niklas Süle verfiel hingegen in Zweckoptimismus: "Lieber verliere ich einmal 5:1 als fünf Mal 1:0."

Wie dem auch sei: Eine einzige stärkere Phase zwischen der 63. und 76. Minute - hier war mehr als der wuchtige Ehrentreffer von Kramaric drin - ist zugleich unzureichend und alarmierend. "Unser Spiel war sehr einladend, so konnten wir die Konterstärke der Stuttgarter nicht verhindern", zog Nagelsmann mit stoischer Miene sein nüchternes Fazit, "wir haben in vielen Bereichen viele Fehler gemacht."

Kein gutes Wochenende für den Kraichgauklub. Die Situation im Abstiegskampf hat sich wieder zugespitzt. In der Verfassung von Stuttgart wird der Absturz in die Zweitklassigkeit wohl kaum zu vermeiden sein. Andererseits haben die "Nagelsmänner" ja zuletzt bewiesen, dass sie es viel, viel besser können. Insofern wird es interessant zu beobachten sein, wie die Mannschaft und auch der junge Trainer mit diesem Nackenschlag umgehen. Nagelsmann absolviert heute an der Sporthochschule in Hennef die mündliche Prüfung in Fußballphilosophie. Nach dem praktischen Anschauungsunterricht und bitteren Lehrstück in Stuttgart wird er als ausgewiesener Perfektionist mutmaßlich alles und alle hinterfragen. Er weiß mit am besten, dass sich "Hoffe" beim VfB verzettelt und verzockt hat.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.