"Ohne eigene Songs geht es nicht"

Tim Bendzko verrät im ZeitJung-Interview, warum er von "The Voice of Germany" enttäuscht ist, warum er sich zu jung für kluge Sprüche fühlt - und warum er nicht mit erhobenem Zeigefinder auftreten möchte

04.02.2012 UPDATE: 04.02.2012 04:29 Uhr 8 Minuten, 2 Sekunden
Von Sören Sgries und Alexander Albrecht

Vor wenigen Tagen hat Tim Bendzko ein umjubeltes Konzert in der Mannheimer Alten Feuerwache gegeben. Das ZeitJung-Team hat die Möglichkeit genutzt und sich mit dem 26-jährigen Berliner unterhalten. Was ihn mit Xavier Naido verbindet, welche Meinung er zu Casting-Shows hat, ob er seine eigenen Hits noch hören kann und warum er (noch) nicht zur Rebellion aufruft.

Willkommen zu Hause, du Sohn Mannheims.

(lacht) Ich bin doch nur Sohn Mannheims in Vertretung.

Stimmt. Aber 2009 wurdest du als "The next Xavier Naidoo" gecastet. Dementsprechend müsstest du Mannheim doch gut kennen?

Eigentlich kenne ich nur dieses komische Trafowerk, in dem Teil waren wir den ganzen Tag. Mannheim habe ich deshalb zu der Zeit leider nicht gesehen.

Hast du bewusst den Kontakt zu den Söhnen Mannheims gesucht?


Nein, damit hat das eigentlich nichts zu tun. Ich hatte einfach gelesen, dass dieser Wettbewerb stattfindet und dachte: Das muss gewonnen werden. Ich habe da eine Mission gewittert. Mir wurde stimmlich schon immer eine Nähe zu Xavier Naidoo zugesprochen, deshalb war ich ein großer Fan davon, diese Mission zu erfüllen und den Pott nach Berlin zu holen.

Das hast du geschafft. War das der Moment, wo deine Karriere begonnen hat?

Nein, nicht wirklich. Das wurde nur so interpretiert, weil zeitlich alles aufeinander folgt. Natürlich war das für mich eine Bestätigung, dass das alles Hand und Fuß hat. Aber es war nicht so, dass ich gewonnen habe und plötzlich jemand mit einem Plattenvertrag vor mir stand.

Konnte dir Xavier Naidoo auch keine wichtigen Tipps geben?

Hätte bestimmt gekonnt, aber nein. Bei dieser Veranstaltung war es so, dass die Teilnehmer schon alle sehr Fanmäßig unterwegs waren und sich die ganze Zeit mit ihren Stars unterhalten wollten. Davon war ich weit entfernt. Dementsprechend haben wir uns wirklich sehr wenig unterhalten, weil die ganze Zeit diese ganzen Menschen an ihm dran hingen und ihn vollgequasselt haben. Wir haben uns aber danach ein paar Mal zufällig gesehen.

Dabei gehst du doch jetzt ein bisschen auf seinen Spuren.

Das sind doch musikalisch ganz andere Welten! Xaviers Alben basieren ja meist auf programmierten Beats. Da sind vielleicht zehn Prozent der Songs komplett mit Live-Band eingespielt. Bei uns sind das alles echte Instrumente, echte Musik, alles quasi "live". Deshalb finde ich das extrem weit weg von dem, was er so macht. Unabhängig davon, dass ich das bei ihm total mag. Natürlich singe auch ich deutsche Texte. Das ist irgendwie nah dran. Und dann sagt man mir ja nach, dass ich ähnlich singen würde. Das kann ich nicht beurteilen. Aber musikalisch fallen mir zehn Menschen ein, denen ich mich näher fühle als Xavier Naidoo.

Beobachtest du eigentlich heute noch Castingsendungen?

Ich verfolge das natürlich. Bei "The Voice of Germany" dachte ich auch, dass es in die richtige Richtung geht – und das tut es auch. Sie haben am Anfang einen riesen Schritt gemacht, aber jetzt gehen sie ihn wieder einen zurück. Ich frage mich, warum da jetzt Tänzer auf der Bühne sind und warum es Feuerwerk gibt.

Kann man denn als Künstler auf diese Weise erfolgreich werden?

Ich glaube, solange die Leute nicht ihre eigenen Songs singen, wird es am Ende schwierig. Du wirst in einem Casting niemanden finden, der englische Songs singt, die man ihm aufgeschrieben hat, und damit dann dauerhaft erfolgreich wird. Das wird einfach nicht passieren. Der kann noch so selbstbewusst sein, noch so ein toller Typ sein: Solange es keine eigenen Songs sind, wird er das nicht tragen.

Deine Songs tragen, deine Hits werden im Radio gespielt: Wie hat sich das angefühlt, als es so weit war?

Das kann man gar nicht so sagen. Es ist ja nicht von einem Tag auf den anderen passiert, sondern entwickelte sich über mehrere Wochen. Eigentlich wurde "Nur noch kurz die Welt retten" am Anfang gar nicht so oft gespielt, wie wir uns das erhofft hatten. Aber die Menschen, die es gehört haben, haben es dann auch gekauft. Was eigentlich mittlerweile so gut wie unmöglich schien. Das fühlt sich dann natürlich gut an, wenn man merkt, wie sowas ins Rollen kommt und fast zum Selbstläufer wird. Eine schöne Sache.

Fühlt es sich auch jetzt noch gut an – oder werden deine Songs totgespielt?

Davon bekomme ich ja gar nichts mit. Ich höre fast kein Radio. Aber es gibt bestimmt einige Menschen, die jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit dreimal "Nur noch kurz die Welt retten" im Radio hören müssen. Die tun mir schon ein bisschen leid.

Dich nervt es auch auf der Bühne nicht, das Lied singen zu müssen?


Überhaupt gar nicht. Ich habe das alles so selten gesungen bisher. Gerade "Nur noch kurz die Welt retten" habe ich gar nicht so oft gesungen, wie man denkt. "Wenn Worte meine Sprache wären", habe ich bestimmt doppelt so oft gesungen.

Nervt dich denn dieser Song?

Auch nicht. Ich hätte das vor Jahren auch angenommen, dass man das irgendwann nicht mehr hören kann. Aber weder bei Fernseh- oder Radiosendungen noch auf Live-Konzerten nervt es mich. Im Gegenteil: Ich freue mich, wenn ich Lieder singen kann, die die Leute schon kennen. Ich glaube, wenn man die Songs nicht selber geschrieben hat, ist das schlimmer.

Du hast auch deswegen Erfolg, weil du als der "sympathische Junge von nebenan" giltst. Droht die Unbekümmertheit inzwischen verloren zu gehen?

Nein, gar nicht. Natürlich: Wenn man alles schon 30 Mal erzählt hat, ist es ja klar, dass man beim 31. Mal einfach selbstbewusster ist. Das ist ja auch gut und richtig. Ich nenne das das "Lena-Phänomen" Da mache ich mir keine Sorgen. Und rumreichen lasse ich mich nicht. Es gibt sicherlich Situationen, wo es schwierig wird, wo man merkt, jetzt ufert es gerade aus. Aber da bin ich mit meinem Team gut aufgestellt, dass wir das alles eindämmen und nur so viel machen, wie wirklich möglich und nötig ist.

Du schielst auf die Fragen: Wenn du sagst, du bist inzwischen so routiniert: Könntest du das Interview auch mit dir selbst führen und unsere Fragen vorwegnehmen?

Nein, das nicht. Aber 90 Prozent der Fragen sind einfach immer die selben.

Möchtest du sie kurz aufzählen, dass wir sie nicht stellen?


Wie bist du zur Musik gekommen? Was war dein Plan B? Wo siehst du dich in fünf Jahren? Wie fühlt es sich an, deine Songs im Radio zu hören? (lacht) Das ist ein Katalog immer wieder kehrender Fragen.

Die Frage "Was willst du noch erreichen?" sollte dann lieber auch entfallen?

Ja, auch bekannt. Aber darauf wusste ich wirklich lange Zeit keine Antwort. Mein Ziel war immer, ein Album rauszubringen. Was dann damit passiert, war grundsätzlich egal. Diese Aufgabe ist erfüllt. Jetzt brauche ich ein neues Ziel und habe jetzt auch eins gefunden. Jetzt möchte ich auf der Waldbühne in Berlin spielen. Das haben wir ja bei diesem "Söhne gesucht"-Dings gemacht, aber jetzt will ich dort mal als Headliner spielen. Aber das zu füllen, mit einem Publikum von 20.000, das ist schon eine harte Ansage. Mal sehen, ob wir das schaffen.

Vor der Feuerwache stehen schon die ersten beiden Teenies, die auf dich warten...

Nur zwei? Bei Tokio Hotel wären da schon 200!

... wen willst du denn mit deiner Musik erreichen? Ist das dein Zielpublikum?



Ich will grundsätzlich Menschen erreichen, die sich die Texte anhören und versuchen, sie zu verstehen bzw. versuchen irgendwas für sich daraus zu ziehen. Wie alt die dann sind, ist mir relativ egal. Glücklicherweise ist das bei der Tour auch so, dass das Publikum angenehm gemischt ist. Da sind dann auch Eltern dabei, die ihre Kinder zu Hause vergessen haben, Studenten, Frauen wie Männer – überraschend viele Männer! Es ist doch schön, dass der eine oder andere mehr als nur die Locken gesehen hat.

Siehst du dich als Stimme unserer Generation?

Nein. In so was kann man sich ja nicht selbst reinreden. Dazu wird man gemacht. Da habe ich keinen Einfluss drauf. Gerade beim ersten Album war es mir ganz wichtig, nicht den Zeigefinger zu erheben, irgendwelche Messages rauszuhauen und den Leuten den Weg zu weisen. Im Kleinen steckt es natürlich drin, weil ich mir selbst den Weg weise. Aber ich bin weit davon entfernt, den Menschen die Welt zu erklären.

Warum willst du das nicht?

Weil ich mich mit 26 nicht in der Position sehe, irgendjemandem zu erklären, was richtig oder falsch ist. Weil ich es im Augenblick noch total gut finde, dass ich meine Meinung zu Themen halbstündlich ändern kann. Ich werde erst dann anfangen, den Leuten zu erklären, wo es lang geht, wenn ich das Gefühl habe, dass so eine Art Altersweisheit einsetzt. Und das dauert noch.

Junge Musiker tragen ja gerne ein bisschen "Rebellion" vor sich her. Du nicht?

Nein, gar nicht. Ich habe dieses Bedürfnis auch nicht. Ich bin mit mir relativ glücklich, es sind nur viele kleine Kämpfe, die ich mit mir selbst austrage. Es gibt nicht so einen großen "Ich bin total anti"-Kampf. Die kleinen Konflikte packe ich in meine Lieder. Da gibt es dann bestimmt den einen oder anderen, der sich darin wieder findet, aber mein Ziel ist es nicht, zu missionieren.

Der Vorwurf an unsere Generation lautet ja, wir seien unpolitisch, kümmerten uns nur um uns selbst. Stimmt das?


Nein. Das ist "Nur mal kurz die Welt retten" ein gutes Beispiel für: Es geht eben nicht darum, die Welt zu retten, sondern um scheinbar belanglose Sachen. Aber plötzlich denken alle darüber nach. Dass jeder bei sich selbst anfängt, das ist gut. Wenn du selbst anfängst, ein geiler Typ zu werden, wird das schon auf deine Freunde abstrahlen. Deshalb hat das wenig mit Egoismus zu tun oder damit, dass man sich nicht um andere kümmert.

Funktioniert das?

Ich merke es an mir selbst: Ich mache jetzt seit einer Woche Sport - und heute waren wir schon zu fünft. Es ist aber totaler Schwachsinn, wenn ich mich jetzt hinstelle und sage: "Freunde, ihr müsst jetzt Sport machen!" oder so. Es würde halt auch einfach keiner machen. "Erziehung durch Vorleben" sag ich immer. Womit aber nicht gesagt ist, dass ich mich darin besonders gut mache.

Du fühlst dich auch nicht durch deinen Erfolg verpflichtet, anders aufzutreten?

Nein, jedenfalls nicht dazu, anders zu sein. Aber es ist schon so, dass das eigene Wort ein bisschen an Gewicht gewinnt, wenn man 200.000 Fans bei Facebook hat und so viele Leute deine Platte gekauft haben. Das ist eine Verantwortung, der man irgendwann auch gerecht werden muss. Aber dafür habe ich ja genug Zeit. Das muss man nicht von heute auf morgen.

Du hast ja nicht als Musiker angefangen, sondern auch eine Zeit lang als Auktionator für Autos gearbeitet. Wie kam das?

Meine Mutter meinte, ich müsste jetzt mal was Vernünftiges machen. Ich war aber der festen Überzeugung, dass ich einfach keine Ausbildung brauche. Da habe ich mit ihr gewettet: Dass ich in einem halben Jahr mehr verdiene als sie. Durch einen Zufall habe ich dann zwei Monate später diesen Arbeitsvertrag unterschrieben als Auktionator und damit war die Wette gewonnen.

War das der richtige Job für dich?

Irgendwie war das super, aber es ging halt total auf die Stimme - und ich wollte ja Sänger werden. Irgendwann hatte ich dann eine Stimmbandentzündung. Da kam der Punkt, an dem ich mich entscheiden musste: Entweder du stirbst beim Auktionieren oder du setzt alles auf eine Karte. Zum Glück hatte ich in dieser Zeit Freunde, die mich ein paar Monate über Wasser gehalten haben. Und dann habe ich glücklicherweise total schnell danach den Plattenvertrag bekommen.

Damit bist du ein gutes Beispiel dafür, dass man eine Karriere nicht planen kann.


Ich habe das ja geplant. Aber es stimmt schon, den Zeitpunkt kann man nicht selber bestimmen. Ich habe mir aber immer eingeredet, dass der richtige Zeitpunkt schon kommen wird. Dann musste ich diese Entscheidung treffen. Hätte ich da weiter gearbeitet, wäre nach ein paar Jahren bestimmt der Punkt gekommen an dem es totaler Unsinn gewesen wäre, dort aufzuhören.

Und heute? Ist das Touren nicht auch echter Stress?

Im letzten Jahr gab es Phasen, wo es hart war. Ich war von September bis Dezember durchgängig erkältet und habe es nicht auskuriert. Da war es eher ein Durch-die-Gegend-Geschleppe. Aber jetzt ist das alles entspannt.

Gibt es Momente, wo du glaubst, dass alles bald vorbei ist?

Man darf das alles nicht so ernst nehmen. Man merkt es ja auch im Konzert: Bei neuen Songs stehen die Leute ganz still da und alles ist wie früher. Aber das war bei dem jetzigen Album ja genau so. Da haben wir uns auch erst den Arsch für abgespielt. Das ist genau so, wie beim durch die Gegend laufen und missionieren: Sobald man anfängt, sich zu ernst zu nehmen, wird es schwierig.

Info: Bendzkos neue Single "Ich laufe" und die Re-Edition seines Albums "Wenn Worte meine Sprache wären" erscheinen am 9. März.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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