Zeitalter im Umbruch

Waren die Fürsten die "Macher" der Reformation?

Susan Richter und Armin Kohnle haben die Heidelberger Neuerscheinung "Herrschaft und Glaubenswechsel" herausgegeben

17.04.2017 UPDATE: 19.04.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 48 Sekunden

Der Heidelberger Kurfürst Ottheinrich focht für die Ideen der Reformation. Foto: Archiv

Von Heiko P. Wacker

Heidelberg vor 460 Jahren: Auf dem Schloss regiert mit Ottheinrich ein ebenso korpulenter wie kunstsinniger Fürst, der entschlossen ist, der Reformation in der Kurpfalz den Weg zu ebnen. Seine Regentschaft tritt er 1556 an, bereits Anfang 1557 erlässt er ein Mandat zur Entfernung der "ärgerlich bildnus und altarien" aus den Kirchen. Allerdings will er dieses Vorhaben nicht an die große Glocke hängen, das Ganze möchte doch bitteschön "in geheimbder stille und nächtlicher weile" ablaufen. Ob Ottheinrich, wie Gerüchte es vermelden, selbst in der Heidelberger Heiliggeistkirche Hand angelegt hat, sei dahin gestellt - ein rühriger Vertreter der Fürstenreformation war er allemal. Eine jüngst zu Ehren von Eike Wolgasts 80. Geburtstag erschienene Festschrift würdigt diese besondere Spezies europäischer Fürsten und Fürstinnen.

Eike Wolgast befasste sich schon früh mit dem Themenkomplex "Reformation", lange, bevor er Mitte der 1970er-Jahre an die Ruperto Carola kam. Hier lehrte er bis zu seiner Emeritierung 2004 als ordentlicher Professor für Neuere Geschichte, wobei ihm die politisch-konfessionelle Geschichte gerade auch der frühneuzeitlichen Kurpfalz am Herzen lag.

Er dürfte seine Freude am vorliegenden Band haben, zumal dieser von einer jungen Generation getragen wird - dem Nachwuchs eine Chance -, die in 28 Fallbeispielen ein breites Kaleidoskop problematisierter Biographien zu bieten hat. Sachbezogene Fragestellungen stehen bei dieser Biographiegattung im Vordergrund, chronologische Vollständigkeit weniger - was der Lesbarkeit entgegenkommt. Friedrich dem Weisen von Sachsen begegnet der Leser auf den knapp 500 Seiten dabei ebenso wie Karl II. von Baden, Jakob V. von Schottland oder natürlich Ottheinrich.

Interessant ist, wie eng die fürstlichen Bestrebungen um die Reformation mit der Herausbildung eines Staatswesens verflochten sein konnten. Zum einen befruchteten sich die Fürsten gegenseitig über Landesgrenzen hinweg, sie inspirierten sich, gaben auch Musterpläne weiter - man denke in diesem Zusammenhang nur an die Übernahme der Württemberger Kirchenordnung durch Ottheinrich. Ihm war die Einheit zwischen den reformierten Gebieten ebenso ein zentrales Anliegen wie die reichsweite Durchsetzung der Reformation, für die er auch vor militärischen Maßnahmen nicht zurückschrecken wollte.

Interessant ist jedoch auch, wie wichtig die zentrale Rolle der Herrschenden generell während der Reformation war. In keinem Gebiet wurde die Reformation gegen den Willen des Fürsten durchgeführt: Oft waren sie die Initiatoren, zumindest aber aktiv wirkende Beteiligte, die sich ihrem Gewissen und Gottes Auftrag verpflichtet sahen, für das Seelenheil der Untertanen Sorge zu tragen. Und da nun eben auf der politischen Bühne der Zwist zwischen der Reformation und ihren Gegnern immer weitere Bahnen zog, fühlte sich manch einer genau deshalb zum Handeln gezwungen, mitunter auch aus der enttäuschten Hoffnung auf ein Konzil heraus.

Dabei werden Parallelen offenbar. Denn wo der Fürst - der vorliegende Band behandelt indes auch die Damenwelt der Reformationszeit und beschäftigt sich mit Elisabeth von Sachsen ebenso wie mit Elisabeth I. von England - sich des konfessionellen Wandels in seinem Land annimmt, übernimmt er eine politisch aktive, leitende und kontrollierende Rolle in konfessioneller Hinsicht, aber auch in quasi staatstragender Weise. Dass dies ein Land nach innen festigen konnte, liegt auf der Hand - obgleich die Frage im Raum stehen musste, inwiefern die Folgegenerationen gewillt waren, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Gerade die Kurpfalz ist ein gutes Beispiel für den mehrfachen Wandel in der religiösen Ausrichtung, hier erlebte die Bevölkerung in der Frühzeit der Reformation vier Konfessionswechsel - binnen nur dreier Jahrzehnte.

Aus heutiger Sicht mag dies wenig schockieren, doch kann man sich den Schritt eines Konfessionswechsels zur damaligen Zeit nicht dramatisch genug vorstellen, war doch ein Umschwenken zur Seite der Reformierten zugleich auch ein Bruch mit dem Erbe der Väter - vielleicht auch deshalb bemühten sich Fürsten wie Ottheinrich auch um eine "chronologisch orientierte" Rechtfertigung ihres Tuns: Nicht das Papsttum stelle die "alte" Ordnung dar, vielmehr sei die "reine christliche Lehre", wie sie von Luther vertreten wurde, die ältere.

Die kurpfälzische Kirchenordnung von 1556 sprach denn auch von "reiner, uralter apostolischer kirchenleer", die damit als wesentlich hochwertiger anzusehen sei und zudem älter legitimiert als die "altgläubige" Praxis. Es muss dies der päpstlichen Verwaltung sauer aufgestoßen haben, galt doch Ottheinrich in jungen Jahren noch als wenig der Reformation zugeneigt. Auch seine Pilgerfahrt ins Heilige Land - wegen ihr verpasste er, welche Ironie, den Auftritt Martin Luthers vor dem Wormser Reichstag 1521; Ottheinrich war zu früh abgereist - muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Seine achtmonatige Fahrt hielt er in einem Tagebuch fest, in dem er sich selbst noch ganz in der Tradition mittelalterlicher Kreuzfahrer stellt: Später focht er um so vehementer für die Ideen der Reformation. Martin Bucer bescheinigte Ottheinrich gar, dass diesem die Reformationssache "ganz hefftig angelegen sei". Welch Wandel.

In all seinem Wirken ist der korpulente Kunstliebhaber, Freunde des Heidelberger Schlosses verbinden ihn zumeist mit dem nach ihm benannten Renaissancebau, ein gutes Beispiel für einen Fürsten der Reformationszeit. Nicht nur wegen seines persönlichen, seines privaten Schwenkens, sondern auch wegen der von ihm angestrebten Einheit innerhalb der "neuen" Lehre, die ihm ja als die "ältere" galt. Ein tragfähiges Bündnis protestantischer Reichsfürsten zu schmieden, das freilich misslang ihm. Und doch gilt auch Ottheinrich als einer der "Macher" der Reformation - ja, man kann und sollte diesen Begriff verwenden -, Susan Richter fand hier in ihrem einleitenden Beitrag eine sehr treffende Formulierung.

Natürlich ist Ottheinrich nur ein Beispiel unter vielen im von ihr gemeinsam mit Armin Kohnle herausgegebenen Band, der in der Reihe der "Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte" erschien, andere Fürsten mussten an dieser Stelle mehr oder minder ausgeklammert bleiben.

Sich mit ihnen und ihrem Wirken zu befassen, das bleibt "Herrschaft und Glaubenswechsel. Die Fürstenreformation im Reich und in Europa in 28 Biographien" vorbehalten: Es ist dies ein sehr gutes, wenn auch nicht sehr günstiges Sachbuch, das mit seiner Vielfalt der Autoren und natürlich der Protagonisten sowohl Eike Wolgast als auch der Welt des 16. Jahrhunderts, die sich so sehr im Umbruch befand, gerecht wird.

Info: Susan Richter, Armin Kohnle (Hg.): "Herrschaft und Glaubenswechsel. Die Fürstenreformation im Reich und in Europa in 28 Biographien". Universitätsverlag Winter Heidelberg. Reihe: Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte. Neue Folge, Band 24; 493 Seiten, 29 sw-Abb., 78 Euro.