Wie Mannheimer Forscher archäologischen Fäschungen auf der Spur sind

Bronzezeitlicher Goldfund unter Fälschungsverdacht: Ernst Pernicka vom Mannheimer Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie hat die Objekte aus Bernstorf untersucht

10.02.2017 UPDATE: 11.02.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 23 Sekunden

Um das Alter der Bernstorfer Funde, darunter dieses Goldblech und sieben Goldanhänger, ist ein Expertenstreit entbrannt. Foto: Archäologische Staatssammlung München / Stefanie Friedrich

Von Harald Berlinghof

Ohne ein wenig Chemie vorab, kommen wir nicht aus, wenn wir den Wissenschaftskrimi rund um die Bernstorfer Goldfunde verstehbar machen wollen. Stellen wir uns Folgendes vor: Dünne Goldbleche werden gemeinsam mit Kochsalz auf 1000 Grad erhitzt. Dabei reagiert das Salz in Form von Chlorwasserstoff mit Sauerstoff und mit dem in der Goldlegierung vorhandenen Silber. Das Silber wird als Silberchlorid abgeschieden mit der Folge, dass sich der Goldanteil im verbleibenden Material erhöht. Das Verfahren nennt man Zementation.

Es könnte auch schon in der Bronzezeit vor mehr als 3000 Jahren bekannt gewesen sein. Und wenn man das Verfahren mehrmals hintereinander anwendet, dann ließe sich damit ein hoher Reinheitsgrad von Gold erreichen. Das ist nur eines der Argumente, welche die Befürworter einer Echtheit des Goldfundes aus dem bayerischen Bernstorf bei Freising vorbringen. "Es ist aber, auch wenn es sich nicht so anhört, ein Riesenunterschied, ob wir von 99,7 Prozent Reinheit sprechen oder von 99,99 Prozent", sagt Professor Ernst Pernicka vom Mannheimer Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie, das den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen angegliedert ist.

Der Aufwand wächst exponentiell sprunghaft an, je näher man an die 100-Prozent-Marke heranwill. "Irgendwann lohnt sich der Aufwand nicht mehr. Und für den bronzezeitlichen Menschen hätte es sich schon gar nicht gelohnt. Das Metall verändert in diesen Bereichen weder sein Aussehen noch seine offensichtlichen Eigenschaften. In heutigen Zeiten der Elektronik-Produkte mag das anders sein". Eine solche Reinheit von 99,99 Prozent Gold hatte Pernicka aber 2014 auf eigene Initiative hin in Goldproben aus Bernstorf nachgewiesen und deshalb auf neuzeitliches Gold geschlossen.

Jetzt ging es neben viel Geld - immerhin wurden dem Finder und dem Grundbesitzer 600.000 Euro für den Fund gezahlt - auch um die Wissenschaftsehre. Also ließ man ein weiteres Gutachten anfertigen, und das kam zu ganz anderen Ergebnissen als Pernicka. "Das übliche Verfahren in einem solchen Fall ist eine dritte Schiedsuntersuchung durch ein unabhängiges Institut", so der Chemiker Pernicka, der lange Jahre Ausgrabungserfahrung in Heinrich Schliemanns Troja aufweisen kann und der die weltberühmte Himmelsscheibe von Nebra in Mannheim auf ihre Echtheit untersucht hat.

Das beauftragte Institut, das den Schiedsrichter spielen sollte, war die Bundesanstalt für Materialprüfung in Berlin (BAM). Die dortigen Wissenschaftler ließen sich viel Zeit bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse Ende 2016, doch dann wurde der Pernicka-Befund bestätigt. Man fand auch in Berlin einen extrem geringen Silbergehalt der Proben in Höhe von durchschnittlich nur 104 ppm (parts per Million), das bedeutet ein Zehntausendstel, also 99,999 Prozent Goldgehalt. Das entspricht modernem Industriegold, wo es annähernd identische 102 ppm sind.

Das freilich gefiel weder dem Finder Manfred Moosauer noch Rupert Gebhard, dem Leiter der Archäologischen Staatssammlung München, wo sich die Goldfunde befinden. Denn 99,99 Prozent Goldanteil kommen nur in so genanntem Reinstgold vor und sind nach Meinung von Pernicka nur mit Hilfe der Elektrolyse zu erreichen, die erst 1878 erfunden wurde. Seither scheut sich Pernicka nicht mehr, auch das böse F-Wort in den Mund zu nehmen. Fälschung. "Soll man mir doch ein bronzezeitliches Fundstück aus einer gesicherten Grabung mit einem solchen Reinheitsgrad vorlegen", schlägt Pernicka vor.

Die beiden Autoren einer 320-seitigen "einzigen Verteidigungsschrift" - so die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) - Rupert Gebhard, Leiter der Archäologischen Staatssammlung München, und Rüdiger Krause, zuständiger Grabungsleiter aus Frankfurt, bezweifeln die Methode Pernickas. Verunreinigungen oder eine inhomogene Verteilung des Goldes in den Proben könnten zu falschen Ergebnissen führen. Dasselbe wirft Pernicka der Gegenseite vor. Echt. Falsch. Echt. Falsch. Seit Jahren geht es nun hin und her. Es wird um die Seriosität der Forschung gestritten und um die wissenschaftliche Reputation. Regionales Marketing spielt eine Rolle und nationale Identität.

Dabei ist es gar nicht so selten, dass historische Grabungsfunde durch Laien per Zufall oder durch gezielte Raubgräberei ans Tageslicht kommen, die ohne ausreichende wissenschaftliche Dokumentation der Fundumstände dann beurteilt und zeitlich eingeordnet werden müssen. Auch im Fall der so genannten Bernstorf-Funde, die ab 1998 in Bayern ausgegraben wurden, war das so.

"Es gibt keine in situ Aufnahmen der Funde", betont Pernicka. Und es gibt einige Ungereimtheiten bei der makroskopischen Begutachtung der Stücke. Verbrennungen und Faltungen der extrem dünnen Bleche werfen Fragen zu ihrer Funktion auf, die Pernicka in seinem Fälschungsvorwurf nach eigener Einschätzung bestätigen. Doch auch Pernicka muss zugeben, dass ein potenzieller Fälscher kein Laie gewesen ist. Es war jemand, der sich mit bronzezeitlichem Material auskannte und der Fehler, die man hätte machen können, weitgehend vermied. Aber eben nicht alle. Pernicka bezeichnet ihn deshalb auch nur als "begabt". Den "Super-Fälscher" der FAZ sieht er nicht am Werk.

Prof. Pernicka verweist neben seiner chemischen Analyse auch auf die gleichzeitig abenteuerlichen wie mysteriösen Fundumstände der Goldstücke, die nicht von professionellen Archäologen gefunden wurden, sondern von zwei Hobbyarchäologen des Freisinger Archäologen-Vereins. Manfred Moosauer, anerkannter Arzt in seiner Gemeinde, hatte gemeinsam mit einer Kollegin in einer Art Notgrabung bei einer bronzezeitlichen Wallanlage, die von Zerstörung bedroht war, nach und nach 21 Goldblech-Stücke geborgen.

Selbst Pernicka möchte nicht von einer bewussten Irreführung sprechen, aber die Fundumstände bleiben dubios. Bis hin zu einer Szene, die in einem Aktenvermerk von Dr. Martin Pietsch vom Bayrischen Landesamt für Denkmalpflege nach viereinhalb Jahren rückblickend festgehalten wurde: "Am 21. August 1998 erschien Moosauer mit einer Bekannten, von der er sagte - sinngemäß - sie habe hellseherische Fähigkeiten. Sie habe das Gefühl, es sei noch etwas zu finden und zeigte auf eine Stelle etwa fünf Meter entfernt von der ersten Fundstelle. Innerhalb kürzester Zeit wurde an dieser Stelle ein weiteres Goldblech gefunden."