Die Tomate und ihr Bodyguard

"Pflanzengeflüster": Die Schweizer Bio-Aktivistin Florianne Koechlin gastierte in Heidelberg

29.11.2016 UPDATE: 09.12.2016 06:00 Uhr 1 Minute, 21 Sekunden

Florianne Koechlin. Foto: Friederike Hentschel

Von Heribert Vogt

Heidelberg. Durch den Bestseller "Das geheime Leben der Bäume" des Försters Peter Wohlleben ist man für überraschende Seiten der Natur so hellhörig geworden, dass man nun bereit war für die DAI-Veranstaltung "Pflanzengeflüster", bei der die Schweizerin Florianne Koechlin "Streifzüge durch wissenschaftliches Neuland" bot. Die Biologin ist eine ausgewiesene Aktivistin für die Flora, etwa die Projekt-Initiatorin der Rheinauer Thesen zu Rechten von Pflanzen.

Koechlin tauchte mit frappierenden Phänomenen ein in die Welt der Pflanzenkommunikation. Demnach weiß etwa die Tomate, von welchem Feind sie angegriffen wird, sodass sie den richtigen "Bodyguard" produziert. Kommunikation und Koordination von Verhalten erfolgen über Duftstoffe: "Bekannt sind rund 2000 ‚Duftstoffvokabeln‘ von 900 Pflanzenfamilien. Und die Pflanzen teilen ein ‚Grundvokabular‘ von 5 bis 10 Duftstoffen." Zudem verfügt jede Pflanzenart über einen speziellen "Dialekt".

Ob Pflanzen Musik "hören" können, ist jedoch ungewiss. Sie können allerdings verschiedene Hertz-Frequenzen wahrnehmen und darauf reagieren. Koechlin: "Pflanzen nehmen die Umwelt extrem sensibel wahr." Über Photorezeptoren reagieren sie etwa auf Licht. Sie haben auch Photozellen in der Erde, der Stengel fungiert als Glasfaserkabel. Die Bäume eines Waldes bilden ein riesiges unterirdisches Netz. Die Pilz-Wurzel-Symbiose ist größer als der Wald und wird auch als "Wood Wide Web" bezeichnet. Sie bildet unter dem Boden einen dynamischen Marktplatz mit Kooperationen, Nachrichtenaustausch und wechselseitige Warnungen.

Fazit: "Die Pflanze ist Beziehung." Denn sie kann nicht davonlaufen. Und der Mensch ist Teil des Beziehungsnetzes. Tomaten etwa können sich offenbar auch erinnern, weil ihre Abwehrmechanismen immer effizienter und schneller werden. Nach Koechlin wurden die Pflanzen bisher als Bio-Automaten gesehen, die nur ihrem genetischen Programm folgen. Nun wird erkannt: Sie kommunizieren, verhalten sich und bilden Allianzen nach dem Motto Geben und Nehmen. Das Bild der Pflanzen kehrt sich um: Sie werden als Lebewesen eingestuft und aus der mechanistischen Falle geholt. Ungeklärt sind die Fragen nach Intelligenz, Bewusstsein und Schmerzempfinden.

Aus diesem Umdenken ergeben sich Chancen für die Landwirtschaft, etwa durch Mischkulturen oder den Einsatz von Pflanzengerüchen gegen Schädlinge. Aber über diese Nützlichkeit hinaus fragte Koechlin auch nach der Würde von Pflanzen, mit denen der Mensch in der Evolution viel gemeinsam hat. Dabei sprach sie sich gegen die Industrialisierung und Patentierung von Pflanzen aus.