Wie werden wir sprechen?

Sprachforscher sind sich sicher: Die aktuelle Zuwanderung wird sich nur gering auswirken

25.04.2016 UPDATE: 12.05.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 27 Sekunden

Von Constanze Werry

Sprache kommt von Sprechen. Als Sprecher können wir neue Wörter erschaffen - andere wiederum verschwinden langsam aus dem Sprachgebrauch. Wie jede lebendige Sprache ist auch das Deutsche einem stetigen Wandel unterworfen. Gerade das ist einerseits das Faszinierende - andererseits macht es dieses ständige Fließen so schwierig, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Wir wollen es trotzdem versuchen.

"Es gibt viele unbekannte Faktoren, die die Entwicklung von Sprache beeinflussen - zum Beispiel elektrische Geräte oder auch Ereignisse", erklärt Dr. Annette Trabold, Sprachwissenschaftlerin am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. "Wer hätte schon gedacht, in welchem Maß wir heute Smartphones nutzen. Und der 11. September ist zu einem Synonym für Terror geworden."

Neue Erfindungen und neue Ereignisse führen also zu neuen Wörtern - sogenannten Neologismen - und Lehnwörtern, die wir in unseren Sprachgebrauch aufnehmen. "Man denke zum Beispiel an QR-Code, Hugo - den Cocktail -, Arabellion, Whistleblower, Hashtag, twittern und surfen - das inzwischen nicht mehr nur das Wellenreiten meint", so Trabold.

Auch wenn zahlreiche Wortneuschöpfungen wieder aus unserem Sprachgebrauch verschwinden, halten sich doch etliche davon auch längerfristig. Entgegen dem mehrheitlichen Empfinden schrumpft unser Wortschatz nicht etwa - er wächst!

Neben Erfindungen und Ereignissen lassen unter anderem neue Berufe, Fachsprachen oder auch etwa Trendsportarten unseren Wortschatz immer umfangreicher werden. "Die Sprache wird differenzierter - auch weil zum Beispiel unsere Arbeitswelt immer differenzierter wird", so Trabold. Auch Fremdwörter - vor allem aus dem Englischen - werden intensiv genutzt.

"Die deutsche Sprache ist sehr integrationsfreudig", erklärt Trabold. Das liege vor allem an der Wortbildung. So reicht oft das Anhängen der Endung "-en", um aus einem englischen Substantiv ein eingedeutschtes Verb zu machen - wie etwa bei "chatten".

Auch Migrationsbewegungen können, müssen aber nicht, eine Sprache beeinflussen. "Um 1900 emigrierten viele Polen ins Ruhrgebiet - davon ist sprachlich aber nicht viel übrig geblieben", erklärt Prof. Helmut Glück, Sprachwissenschaftler an der Universität Bamberg. Anders bei der vergleichsweise geringen Zahl an Hugenotten, die im 17. Jahrhundert nach Deutschland kamen. "Viele unserer Begriffe aus dem französischen Lehnwortschatz stammen aus dieser Zeit." Das liege unter anderem daran, dass viele Hugenotten angesehene und gesuchte Berufe ausübten. Für die Zukunft geht Glück trotz verstärkter Migrationsbewegungen aus dem arabischen Raum von einer anderen Entwicklung aus. "Weder Türkisch noch Arabisch sind sehr prestigeträchtig und haben deshalb wohl auch weniger Einfluss", so Glück.

Absehbar ist, dass es künftig weniger Dialekte und dafür mehr Regiolekte geben wird. "Die wenigsten Menschen bleiben ihr Leben lang an einem Ort", erklärt Trabold. Dadurch werden dialektale Eigenheiten abgeschliffen. Vokabular, Grammatik und Aussprache werden durch überregionale oder hochsprachliche Elemente geglättet. "Durch das Wechseln zwischen Dialekten entsteht ein gegenseitiger Austausch", erläutert Prof. Heike Wiese, Germanistin an der Universität Potsdam. Auch bei Mehrsprachigkeit gebe es diesen Wechsel - und Neues könne entstehen.

Einen erheblichen Einfluss auf unsere Sprache hat auch unser Kommunikationsverhalten. Noch nie wurde so viel kommuniziert wie heute - und in der näheren Zukunft wohl sogar noch mehr. Das liegt vor allem an sozialen Netzwerken und Plattformen wie Whatsapp oder Facebook. Doch auch wenn dort vor allem geschrieben wird, ist nicht zu erwarten, dass wir in Zukunft vermehrt sprechen wie wir schreiben - eher das Gegenteil ist der Fall. "Gesprochenes wird hier verschriftlicht", erläutert Glück. Langfristig gesehen könnte sich die Schriftsprache mehr zu gesprochener Sprache hin ausrichten. Die Technik könnte dabei wie ein Katalysator wirken. Denn schon jetzt gibt es recht gute Texterfassungsprogramme, die gesprochenes Wort in Schrift umsetzen. Und es wird fleißig getüftelt.

Vor einer "Verrohung" der Sprache müsse man aber keine Angst haben, so Wiese. "Es gibt einfach mehr Variationen in der Schriftlichkeit. Eine E-Mail an die Schwester wird auch in Zukunft anders klingen als das Anschreiben an eine Behörde", gibt sich Wiese zuversichtlich. Der Sprachforscher: "Die Menschen erwerben einfach zusätzliche Kompetenzen. Der Umgang mit der Sprache wird kreativer und entspannter - und darauf freue ich mich."