Aue statt Argentinien. Der schöne Rurik (r.) erwies sich als nicht alltagstauglich. Auch heute in Fürth verzichtet Sandhausen auf ihn. Foto: vaf
Von Wolfgang Brück
Sandhausen. Gabriela Lopes war hin und weg. "Wie ist es möglich, dass ein Mensch so schön sein kann", seufzte die brasilianische Schauspielerin. Zahlreiche Geschlechts-Genossinnen waren sich mit der Senhora einig: Rurik Gislason ist der am besten aussehende Spieler bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland.
Jetzt, zwei Jahre danach, ist nichts mehr schön. Gislason steht beim SV Sandhausen vor einem stillen Abschied.
Sein letztes Spiel bestritt der 32-jährige Angreifer Ende Februar beim 0:2 gegen den Karlsruher SC. Seit Wochen fehlt der 53-malige Nationalspieler in der Aufstellung des Zweitligisten. Wie die Rhein-Neckar-Zeitung erfuhr, ist der Isländer nicht mehr bei der Mannschaft. Trainer Uwe Koschinat spricht von "Trainings-Rückstand." Gislason soll sich nach Vorgaben von Athletik-Coach Dirk Stelly individuell fit machen. Beim Auswärtsspiel am heutigen Freitag (18.30 Uhr/Sky) in Fürth wird er fehlen. Es ist unwahrscheinlich, dass er noch einmal für den SV Sandhausen spielen wird.
Stieg ihm der Ruhm zu Kopf?
Ende des Monats läuft der Vertrag aus. Schon im Winter wurde dem Profi mitgeteilt, dass sein Arbeitspapier nicht verlängert wird.
Die Entscheidung ist nachvollziehbar. In 55 Zweitliga-Spielen für den SV Sandhausen hat Gislason nur drei Tore erzielt. Das ist bitter wenig für einen Stürmer, der den Anspruch auf internationale Klasse und – so darf man vermuten – die damit verbundene Entlohnung hat.
Die Kurpfälzer hätten wissen können, dass sie sich mit dem Spitzenverdiener, der im Winter 2018 kam, keinen Torjäger ins Haus holen würden. In 30 Spielen für den 1. FC Nürnberg war ihm kein einziges Tor gelungen.
Mit dem Wechsel nach Sandhausen schaffte er es aber, noch auf den WM-Zug aufzuspringen. In Russland stellten 27 Minuten beim 1:1 gegen Lionel Messis Argentinier sein Leben auf den Kopf. Ein Sturm der Begeisterung brach über ihn herein. Für den "schönsten Spieler" der Weltmeisterschaft wurde ein Hashtag eingerichtet: #sexyrurik. Die Zahl seiner Anhänger auf Instagram explodierte. Von 30 000 auf 1,3 Millionen. Bis zu 400 Mails erreichten den Zweitliga-Spieler täglich, Heirats-Anträge inklusive. Er bekam Angebote, als Model zu arbeiten.
Als Gislason aus Nürnberg kam, war er freundlich und offen, so wie man es von Skandinaviern kennt. Auch wenn er stets das Gegenteil versicherte, der plötzliche Ruhm scheint nicht spurlos an ihm vorbei gegangen zu sein. Letzten August kam es zu einem Vorfall, der eigentlich nicht zu dem sympathischen Nordländer passte. Gislason ließ sich im Training zu einem Revanchefoul hinreißen. Trainer Uwe Koschinat suspendierte ihn für ein Spiel.
Weniger robust ging der WM-Star in der Zweiten Liga zu Werke. Sein letztes Tor datiert vom 1. April 2018 beim 1:1 gegen St. Pauli, liegt demnach mehr als zwei Jahre zurück. Die Leistungen wurden dünner und dünner. Trotzdem gab Koschinat ihm immer wieder eine Chance, tolerierte, dass er nicht der laufstärkste war, probierte es im Zentrum, statt auf dem Flügel. Ohne Erfolg. In dieser Saison bestritt Gislason 13 Spiele, nur vier über 90 Minuten. Auch Krankheiten und Verletzungen warfen ihn zurück.
Ein tiefer Einschnitt war der Tod seiner Mutter Ende April. Sie starb mit 66 Jahren in der Universitätsklinik in Reykjavik an Krebs. Der Sohn begleitete sie in ihren letzten Tagen. "Meine Mutter hat für mich und die Familie die Welt bedeutet", schrieb Rurik auf Instagram.
"Rurik hatte Sonderurlaub, war lange Zeit weg. Der Verein hat ihm jede nur mögliche Unterstützung gewährt", versichert der Trainer. Man merkt Koschinat an, dass ihm die Entscheidung nicht leicht gefallen ist. Doch der Abstiegskampf verlangt Profis, die sich mit ganzem Herzen und voller Kraft einsetzen. "Dieses Gefühl", sagt Koschinat, "haben mir andere mehr gegeben."
Rurik Gislason brachte einen Hauch der großen weiten Fußball-Welt ins kleine Sandhausen. Doch der Alltag ist nicht Argentinien, sondern Aue, nicht Messi, sondern Männel. Für die Begeisterung von Senhora Lopes gibt es keine Punkte.
Der Ruhm ist verblasst. Die Zahl seiner Follower gesunken. Nach der WM hat ihm der Verein eine Rechnung geschickt. Der neue Star hatte im Überschwang weit mehr Trikots verschenkt, als es das Kontingent des Zweitligisten vorsieht.
Zwei Jahre danach fühlt sich manches wie ein großer Irrtum an.