Von Eric Schmidt
Sinsheim. Wenn es weh tut beim Boxen, ist er zur Stelle: Dr. Volker Rudi, Vorsitzender des Boxclubs Sinsheim, ist als Ringarzt im Einsatz und hat in seiner Karriere 950 Amateur- und 130 Profikämpfe begleitet. Nun musste der 57-Jährige in einem Hotelzimmer in Zürich den Bodyguard von Mike Tyson verarzten. Wie es dazu kam? "Ich habe einen Anruf von Tysons Manager erhalten", erzählt Rudi im Interview mit der RNZ.
Herr Rudi, wie geht es dem Leibwächter von Mike Tyson?
Inzwischen wieder gut. Das hoffe ich jedenfalls.
Was genau ist passiert?
Ich war in Zürich, weil ich Mike Tyson bei der seiner Mike-Tyson-Tour im Hilton erleben wollte. Ein paar Stunden vor der Veranstaltung bin ich dann auf ein Zimmer in ein anderes, geheim gehaltenes Hotel gerufen worden. "Ein Notfall", hat Tysons Manager zu mir gesagt. Es ging um den Bodyguard von Tyson.
Der Bodyguard hatte hoffentlich nichts Schlimmeres.
Er hatte eine Entzündung am Ellenbogen. Ich habe ihn dann behandelt, 20 Minuten lang. Mir war es am Ende fast peinlich. Das ganze Team von Mike Tyson hat mich angestrahlt, weil ich den Mann wieder hergestellt habe. Tyson hatte ja diese Veranstaltung am Abend. Der Bodyguard war wieder fit und konnte seine Arbeit machen.
Tyson wird Sie nicht so schnell vergessen, oder?
Das kann schon sein. Er hat "Thank you, thank you very much" zu mir gesagt. Als Dankeschön hat mit der Bodyguard noch ein Shirt und eine Mütze mit Original-Unterschrift geschenkt. Das ist schon etwas Besonderes. Was Geld betrifft, ist Tyson ja nicht so geizig - er hat viel gespendet. Bei Autogrammen ist er dagegen nicht so großzügig.
Es war Ihre erste persönliche Begegnung mit Mike Tyson. Mal ehrlich: Was haben Sie über ihn gedacht, bevor Sie ihn kennen lernten?
Dass er quirlig ist. Unruhig. Gefährlich. Nicht einschätzbar. Nicht kalkulierbar.
Und wie haben Sie ihn als Boxer gesehen?
Entfesselt. Er war nicht beherrschbar, nicht zähmbar, nicht berechenbar. Sein explosiver Kampfstil hat mir immer gefallen - zumal Tyson nicht allzu groß ist. Das hat mich fasziniert, wie so ein kleiner Boxer mehrfacher Weltmeister werden konnte. Insofern war ich ein Fan von ihm. Die ganzen anderen Sachen, die er gemacht hat, der Ohrenbiss gegen Holyfield, die Gewalt, die Diebstähle - davon kann man natürlich kein Fan sein. Er saß wegen Vergewaltigung im Gefängnis; bis heute beteuert er seine Unschuld.
Wie haben Sie ihn jetzt in Zürich erlebt?
Er ist ein geläuterter Mensch. Ein anderer Mensch. Ein ruhiger Mensch. Ein nachdenklicher Mensch. Mich hat die tiefe ruhige Stimme beeindruckt. Das war nicht gespielt. Ich will nicht sagen, dass er bürgerlich ist. Aber er ist in der Gesellschaft angekommen.
Was hat Sie ganz besonders beeindruckt?
Mike Tyson wurde bei der Veranstaltung gefragt, warum er so böse war in seinem Leben? Da wurde er plötzlich laut und hat geantwortet: "I was poor!" Er war arm. Wir im Publikum sind alle erschrocken, ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich davon erzähle. Tyson hatte als Zwölfjähriger schon 30 Verhaftungen. Wenn er in den Bus einstieg, sprach der Busfahrer eine Warnung aus: "Mike Tyson ist im Bus." So schlimm war er. "I was poor": Dieser Satz kam wie ein Schlag, wie eine rechte Gerade. Tyson hat einen richtigen Retroflash bekommen. Das muss man sich vorstellen: Nach all den Jahrzehnten und den Millionen von Dollar, die er in seiner Karriere verdient hat, ist diese Armut noch derart in ihm präsent, dass er so explosiv reagiert.
Kann jemand wie Mike Tyson ein Vorbild sein?
Jemand, der unten war, der gestrauchelt ist und sich bemüht hat, wieder in die Gemeinschaft zu kommen, ist ein Vorbild. Mit Fleiß, mit gutem Willen und Kampf kann man es packen. Er war drei Jahre im Gefängnis, auch danach hat er es wieder geschafft, Fuß zu fassen. In Las Vegas macht er jetzt große Shows, er spielt Theater und gibt Veranstaltungen wie die Mike-Tyson-Tour. Er will von seinem Leben erzählen, und das tut er. Als er gefragt wurde, wie das Ohr geschmeckt hat, in das er im Kampf gegen Holyfield gebissen hat, hat er gesagt: "Shit".
Was machen Sie jetzt mit dem Tyson-Käppi und dem Tyson-Shirt?
Einmal anschauen pro Woche. Und dann irgendwann für einen guten Zweck versteigern.
Und der Boxclub Sinsheim? Hat er auch einen Mike Tyson in seinen Reihen?
Das nicht. Aber wir haben viele gute Talente. Wir haben ein junges Mädchen, die geht ab wie eine Rakete. Wir haben einen Jungen aus Eppingen, einen Achtjährigen - da fliegen die Fäustle, das ist klasse. Wir haben 16 Vizemeister unter acht Jahren und fünf Baden-Württemberg-Meister und noch zahlreiche Turniersieger. Ich bin zufrieden. Für so eine kleine Stadt bei einem so kleinen Verein ist das wirklich gut.