Fünf Gründe für den Aufwärtstrend von 1899 Hoffenheim

Warum Trainer Nagelsmann und seine fast gleichaltrigen "Hoffe"-Jungs noch unbesiegt sind

17.10.2016 UPDATE: 18.10.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 46 Sekunden

Umsetzung ist alles: Rudy (v.l.), Nagelsmann, Demirbay und Rupp vor dem Anpfiff. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Es ist eine kleine Überraschung, dass derzeit mit dem 1. FC Köln, Aufsteiger RasenBallsport Leipzig und der TSG 1899 Hoffenheim drei Teams auf den internationalen Plätzen stehen, die als Kandidaten fürs breite Erstliga-Mittelfeld galten. TSG-Cheftrainer Julian Nagelsmann (29) war nach dem emotionalen 2:1 (1:0) gegen den Sportclub Freiburg bemüht, den Blick auf die Tabelle nicht überzubewerten und sprach von einer "klassischen Momentaufnahme."

Unübersehbar ist: "Hoffe" hat einen deutlichen Entwicklungssprung gemacht und nach sieben Spieltagen bereits so viele Punkte gesammelt wie nach Abschluss der letztjährigen Vorrunde, nämlich 13. Die RNZ hat fünf maßgebliche Gründe für den Aufwärtstrend gefunden, die eng mit dem Charisma des jüngsten Bundesliga-Coaches und der Personalpolitik vor der Saison 2016/17 verknüpft sind.

> Mentalität: Sieht man einmal vom ersten Wahnsinns-Halbjahr 2008/2009 und dem Herbstmeister-Titel sowie einem längeren Zwischenhoch unter Trainer Markus Gisdol ab, hatte Hoffenheim stets eine Mentalitätsdiskussion. Oft fehlte der TSG eine Jetzt-erst-recht-Haltung. "Die Mannschaft lässt nicht nach, sie schlägt zurück, und ist immer ein wenig unzufrieden - und das ist gut so", sagte Manager Alexander Rosen am Samstag in der Mixed Zone, "ich spüre diese Gier, Galligkeit, Lust auf mehr." Beste Beispiele: Beim FSV Mainz 05 lag die TSG mit 0:3 (27.) und 1:4 (43.) zurück, um am Ende noch ein 4:4 zu erreichen. Gegen den FC Schalke 04 kassierten die Kraichgauer ein frühes Gegentor (4.) und drehten die Partie noch vor der Pause. "Im Schalke-Spiel haben wir unsere bisher beste Leistung gezeigt", so Torhüter Oliver Baumann. Die Moral stimmt also.

> Taktische Flexibilität: Grundsätzlich geht es Nagelsmann darum, Grundordnungen zu finden, um den Gegner unter Druck zu setzen. Von einem flachen 4-4-2-System hält er nichts. Ob 3-5-2 oder 4-3-3, seine bevorzugten Varianten, sie sind nicht in Stein gemeißelt. Gegen den SC Freiburg stellte Nagelsmann zweimal die Grundordnung um. Diese Experimentierfreude, Reaktions- und Anpassungsfähigkeit an den jeweiligen Spielverlauf erfordert wache, blitzschnell umdenkende Profis. Der Ideenfundus und Mut des Trainers sind beachtlich. Morgens im eigenen Badezimmer hat er nach eigener Aussage die besten Einfälle. "Das Entscheidende ist wie immer im Leben aber die Umsetzung", gibt sich Nagelsmann als Pragmatiker.

> Defensive Stabilität: In den ersten beiden Spielen (sechs Gegentore) mangelte es noch an der Feinjustierung. Allmählich aber greift die Umstellung auf drei Innenverteidiger. Neuzugang Kevin Vogt wurde vom defensiven Sechser zum "verhinderten Libero" in der Zentrale umfunktioniert. Mit dem Ruhrpottler Vogt und den Hessen-Buben Niklas Süle und Benjamin Hübner hat sich zuletzt eine funktionierende Einheit etabliert. Und wenn die Außenbahnen durch die flinken Flitzer Jeremy Toljan und Pavel Kaderabek dicht sind, besteht wenig Änderungsbedarf. Ein konstanter Baumann und eine engmaschige Kette bilden den Abwehrriegel. Positiv: Die TSG lässt wenig zu, weder aus dem freien vertikalen oder horizontalen Spiel heraus noch bei Standardsituationen. Einziges Manko: Die späten Gegentreffer gegen Leipzig (2:2) und in Darmstadt (1:1).

> Sturm und Drang: Nach dem Weggang von Kevin Volland war es um so wichtiger, die Leihgabe Andrej Kramaric (Leicester City) fest und langfristig bis 2020 an den Dorfverein zu binden. Dafür zahlte die TSG rund zehn Millionen Euro Ablösesumme. Offenbar eine sich lohnende Investition. Der Kroate verfügt über eine exzellente Technik, Tempo, Spielwitz und Durchsetzungsvermögen. Er glänzt als Torschütze und Vorlagengeber. Sturmtank Sandro Wagner ist ein kongenialer Partner, verkörpert Präsenz und Willensstärke. Er mobilisiert die Teamkollegen, das eigene Publikum und mitunter sogar Nagelsmann. Ein echter Kerl - kantig, abgezockt, meinungsstark. Solch einen vermeintlichen "bad guy" hat die Fußballfirma gebraucht. Mit Mark Uth (Muskelbündelriss im Oberschenkel) hat Hoffenheim ein weiteres Schlitzohr in der Hinterhand. Die verschiedenen Typen ergänzen sich prima.

> Der Nagelsmann-Effekt: Die erste Kabinenansprache im Februar, die Erfolgsserie und der Nichtabstieg haben dem Trainertalent Glaubwürdigkeit und Autorität verliehen. Nagelsmann wirkt unverkrampft, selbstbewusst, erstaunlich reif und professionell. In einem Interview der Frankfurter Allgemeinen sagte er kürzlich: "Wir sollten uns im Fußball nicht zu wichtig nehmen." Und: "Ich brauche den Bundesliga-Fußball nicht für mein Lebensglück." Er hängt am Kraichgauklub, und die TSG hängt an ihm. Eine symbiotische Beziehung. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, dem manchmal eigenwilligen Markus Gisdol und dem starrsinnigen Huub Stevens, hat Nagelsmann eine Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Lockerheit erreicht. Er ist ein belebendes Element und verfügt über eine hohe Führungs- und Fachkompetenz. Dadurch erreicht Nagelsmann die Mannschaft. Sie sind fast gleichaltrig: Spieler wie Trainer reifen gemeinsam, wachsen an den Aufgaben und Herausforderungen. Nagelsmanns Worte fruchten, sind Gesetz. Und die Ergebnisse helfen allen enorm ...

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