Hoffenheim-Trainer Nagelsmann im RNZ-Interview: Eine Kiste Weißbier als Bayerntrainer

Julian Nagelsmann über Taktik und Verbesserungsmöglichkeiten bei der TSG Hoffenheim, Popularität, persönliche Werte und Reformen im Fußball.

06.01.2017 UPDATE: 07.01.2017 06:00 Uhr 4 Minuten, 56 Sekunden

Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann: "In der Rübe sind noch so viele Kapazitäten, die ungenutzt sind!" Foto: APF

Von Frank Enzenauer

Zuzenhausen. Hoffenheims Heiler ist ein vielbeschäftigter Mann und äußerst begehrter Gesprächspartner. Außerhalb der offiziellen Sprechzeiten bei Pressekonferenzen mussten Journalisten regionaler Tageszeitungen ungefähr so lange auf ein Interview mit Julian Nagelsmann warten wie Kassenpatienten auf einen Facharzttermin. Nach dem Trainingsauftakt 2017 jedoch stand der 29-jährige Trainer der TSG 1899 Hoffenheim "eine Halbzeit lang" für einen Wortwechsel zur Verfügung.

Schlagfertig, locker, tiefenentspannt war an diesem Kältetag in kleiner Runde Nagelsmann, der im Februar vergangenen Jahres die Bundesligaprofis der TSG auf dem vorletzten Tabellenplatz übernommen hatte und sie in dieser Saison ohne Niederlage - sechs Siege, zehn Unentschieden - auf den fünften Rang hievte. Julian Nagelsmann spricht wie er denkt - schnell.

Herr Nagelsmann, Sie haben angekündigt, jetzt vorrangig am Defensivverhalten zu arbeiten. Dabei sind 17 Gegentore in 16 Spielen doch gar nicht so mies.

Stimmt, aber es gab zu viele Situationen, wo der Gegner zu Torchancen kam. Ich habe mir verschiedene Spielszenen während des Weihnachtsurlaubs in Saalbach genau angeschaut, ich hatte ja reichlich Zeit, weil meine Familie die ganze Zeit mit Fieber im Bett lag. Weil wir unser eigenes Spiel noch dominanter gestalten wollen, dürfen wir dem Gegner nicht zu viel Fläche erlauben. Wir sind noch nicht so in den Handlungsmustern drin, wie ich mir das vorstelle.

Befürchten Sie, dass die TSG wie in der Vergangenheit einen Leistungsabfall in der Rückrunde erleidet?

Was in der Vergangenheit passiert ist, kann ich nicht so gut beurteilen. Klar, andere Mannschaften können im Winter aus finanziellen Gründen personell nachlegen, und ich gehe davon aus, dass Dortmund, Leverkusen und Gladbach 2017 mehr Punkte holen werden.

Sie haben sich selbst als Risikotrainer bezeichnet. Aber Sie weigern sich, die Europapokal-Teilnahme öffentlich als Ziel zu benennen. Doch nicht so mutig?

Das hat nichts mit Mut zu tun. Nur plakativ irgendwas hinauszuposaunen, ist nicht meine Art. Ein mutiger Trainer zeichnet sich dadurch aus, dass seine Mannschaft mutigen Fußball spielt.

Und der FC Bayern wird wieder Meister?

Davon gehe ich aus, dass die rot-weißen Fans auch in diesem Mai auf dem Münchner Marienplatz feiern werden.

Bleibt die Bayern-Dominanz auf Dauer oder bieten die stark steigenden TV-Gelder anderen Klubs neue Chancen, im Titelkampf anzugreifen?

Das TV-Geld wird doch Eins-zu-Eins in Spielergehälter oder Transfers investiert. Nur als Beispiel: Gegen uns haben die Bayern Douglas Costa, Thomas Müller und David Alaba eingewechselt - ich vermute, diese drei Spieler verdienen mehr als mein ganzer Kader zusammen. Das sind andere Welten, da haben wir in Hoffenheim nichts verloren.

Wäre also eine Hoffenheimer Europapokal-Teilnehme sportlich genauso wertig wie heuer die Meisterschaft für den FC Bayern?

Das kann man so unterschreiben.

Fehlt Ihnen nicht auch eine euphorische Stimmung bei der TSG Hoffenheim?

Ich finde es schon schade, dass unser Stadion nicht so oft ausverkauft ist. Aber man muss bedenken, wir sind immer noch ein junger Bundesliga-Verein. Es dauert noch, dass die Fans mit uns aufwachsen. Das ist ein Prozess. Und unser Fußball muss auch immer Entertainmentcharakter haben. Nur mit Maloche wirst du unser Stadion nicht voll kriegen.

Sie mussten in den zurückliegenden Monaten Reportern aus England, Italien, Frankreich, den USA, Brasilien, Japan und, und, und Interviews geben. Hat Sie dieses weltweite Interesse überrascht?

Nicht wirklich. Wäre ich Journalist, würde es mich auch brennend interessieren, was da gerade in Hoffenheim geschieht.

Gab’s auch Interviewanfragen aus China?

Das weiß ich gar nicht genau. Ich glaube schon.

Wie bewerten Sie, dass neuerdings chinesische Clubs internationale Stars und Sternchen mit irrwitzigen Millionengagen locken?

Ich weiß gar nicht, woher die Kohle überall herkommt. Ich beschäftige mich nicht so sehr mit dem chinesischen Fußball.

England würde Sie aber reizen.

Ich muss nicht zwingend ins Ausland. Ich finde, Deutschland ist ein schönes Land, ich fühle mich hier wohl.

Wie gehen Sie mit Ihrer neuen Popularität um? Können Sie sich noch frei und unbeobachtet bewegen, etwa in der Heidelberger Altstadt?

Da hat mich mal ein VfB-Fan angesprochen. Und während des Sommertrainingslagers geriet ich in einer Kneipe mal in eine Gruppe von Fans des 1. FC Köln. Ich hab‘ gedacht, ich hätte ein Allerweltsgesicht - aber die Leute erkennen mich. Nicht schlimm, die Leute sind sehr freundlich zu mir.

Also noch keine unangenehme Situation erlebt?

Nein. Das war alles nicht bedrohlich. In den Thermen in Sinsheim gehe ich nun aber nicht mehr so gern in den Nacktbereich.

Sie sind mittlerweile eine öffentliche Person. Würden Sie sich, wie es Ihr Freiburger Kollege Christian Streich nach der Trump-Wahl und der Internet-Hetze gegen Flüchtlinge getan hat, auch politisch positionieren?

Ich sage meine Meinung eher im kleinen Kreis. Ich finde zwar Streichs Aussagen sehr gut, halte mich aber trotzdem zurück, weil die Politik nicht mein Fachgebiet ist. Ich stehe aber für Werte ein.

Die da wären?

Freude am Leben zu haben! Ich finde es nämlich sehr traurig, was die Menschen aus dieser schönen Welt machen und wie sie dabei sind, den Planeten zu zerstören. Diese nicht enden wollende Gier macht vieles kaputt, und diese Haltung hat überhaupt nichts, wie jetzt manche vermuten könnten, mit Geld zu tun. Schon früher als Student, als ich 125 Euro im Monat verdient habe, war mein Motto: Wir alle sollten das Leben nicht so schwer nehmen.

Taugen Sie zum Vorbild?

Ich mag diesen Begriff nicht so gerne. Vorleben - dieses Wort gefällt mir viel besser. Man tut, was man sagt. Dann ist man glaubwürdig, und nur so kann man übrigens eine Mannschaft führen.

Ist der Fußball im taktischen Bereich ausgereizt?

Es wird in den nächsten zehn Jahren keine riesigen Entwicklungsschritte geben, aber Positionswechsel könnten häufiger möglich werden. Warum soll denn ein Innenverteidiger nicht kurzfristig die Sechser-Position einnehmen oder der Sechser die Spielmacherrolle?

Es gibt ja schon unzählige Datensammlungen über jeden einzelnen Spieler. Braucht ein Trainer noch mehr Daten?

Die Fülle der Daten muss man filtern und auf die eigene Spielphilosophie übertragen. Mehr taktische als athletische Daten wären wichtig, man könnte somit die Gedächtnisleistung der Spieler trainieren, die Handlungsschnelligkeit verbessern. In der Rübe sind noch so viele Kapazitäten, die ungenutzt sind!

Und an welche Veränderungen denken Sie, wären Sie Fifa-Regelhüter?

Ich würde auf jeden Fall das Timeout einführen, für jeden Trainer einmal pro Halbzeit. Dann muss der Videobeweis her, wie das Hawk-Eye im Tennis - für mich ist es der falsche Ansatz, den Videobeweis den Schiedsrichtern zu überlassen. Läuft dabei etwas falsch, dann sind sie doch auch wieder die Deppen. Und vor allem: Es muss eine Zeitstrafe im Fußball geben! Es kann nicht sein, dass ein und derselbe Spieler acht taktische Fouls begeht und er sieht dann irgendwann in der 80. Minute die Gelbe Karte. Nein, er sollte nach einem klaren taktischen Foul für fünf Minuten vom Platz! Und ich würde mehr Wechsel erlauben. Die Kader werden immer größer werden und wenn du nur dreimal wechseln darfst, hast du als Trainer viele unzufriedene Spieler, zudem sind die Eingreifmöglichkeiten eines Trainers ins Spielgeschehen beschränkt.

Der Trainerjob scheint ohnehin schwieriger geworden zu sein. Schon sieben Trainerentlassungen in dieser Bundesliga-Saison.

Sorry, da sind die Medien mitschuldig. Der Bewertungszeitraum ist sehr kurz geworden, nach zwei Spieltagen wirst du schon zum Trainer des Jahres ausgerufen, nach sechs Spieltagen zum Loser der Saison. Diese Aufgeregtheit erhöht den Druck auf Vereinsentscheider.

Aber Sie brauchen in Hoffenheim doch keine Angst haben.

Wenn ich 17 Mal nacheinander verliere, bin ich hier auch kein Trainer mehr. Aber nein, ich habe keine Angst. Ich bin nicht so profilneurotisch, dass ich Trainer bleiben muss. Ich würde auch einen Job außerhalb des Fußballs finden. Das Wichtigste ist, dass ich meine Familie ernähren kann.

Herr Nagelsmann, wir haben öfter über die Bayern geredet. Wir wetten mit Ihnen um eine Kiste Weißbier, dass Sie spätestens 2019 Trainer des FC Bayern sind.

(lacht) Diese Wette nehme ich an. Wer zahlt aber wann?

Wir bezahlen die Kiste, wenn Sie bis dahin kein Bayerntrainer sind.

Okay, als Bayerntrainer könnte ich mir das ja dann leisten.

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