Zwillinge verloren

Wie Stefanie Kraus trotz des Schmerzes Mut machen will

Stefanie Kraus hat ihre Zwillinge verloren und ihre Trauer in ihrem Buch "Das Schicksal hat einen anderen Plan" verarbeitet.

27.05.2022 UPDATE: 28.05.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 25 Sekunden
Stefanie Kraus (rechts) hat ihre Trauer mit ihrer Familie und auch durchs Schreiben bewältigt. Foto: Dana Maiterth

Von Friedemann Orths

Zuzenhausen. Ihr Baby starb in ihren Armen. Stefanie Kraus hat einiges durchgemacht. Wenn sie von den vergangenen Jahren erzählt, schweift der Blick immer wieder ab, mal zögert sie, denkt nach, holt auch mal tief Luft oder seufzt. Kraus hat ihre beiden Zwillinge verloren. Tobias kam tot zur Welt, sein Brüderchen Philipp schaffte es zwar, doch auch er kam viel zu früh. Nach elf Monaten Kampf auf der Intensivstation für Frühchen starb er wenige Tage vor seinem 1. Geburtstag. Doch dann wurde Kraus erneut schwanger und brachte vor einem Jahr und drei Monaten Linda zur Welt. In ihrem Buch "Das Schicksal hatte einen anderen Plan" hat sie alles aufgeschrieben.

Seit sie 30 ist, wollte die 42-Jährige aus Zuzenhausen Mutter werden. Das ist bei ihr nur durch Samenspende oder künstliche Befruchtung möglich, denn Kraus liebt eine Frau: Mit ihrer Ehefrau Sabrina hat sie schon ein Kind, die fünfjährige Lilli, die Sabrina Kraus geboren hat. Das zweite Kind sollte dann von Stefanie Kraus geboren werden. Doch bis es endlich durch Samenspenden klappte, vergingen rund acht Jahre. Dann kam die Nachricht: Es werden Zwillinge. "Das wäre mega gewesen, Zwillinge waren mein Traum", sagt Kraus.

Doch dann kam alles anders. "Irgendetwas stimmt nicht", sagte der Frauenarzt in der 17. Schwangerschaftswoche. Krankenhaus. Geplatzte Fruchtblase. Tobias wog nur 200 Gramm. "Ich hatte ihn auf dem Arm", sagt Kraus. Philipp überlebte "wie durch ein Wunder", aber dann setzten doch die Wehen ein – wieder viel zu früh, wieder Krankenhaus. "Das war so schlimm", erzählt Kraus. Philipp kam in den Brutkasten, umringt von Schläuchen und Maschinen, er wurde beatmet. Kraus wich nicht von seiner Seite, lebte elf Monate bei ihrem Sohn in der Uniklinik Heidelberg. Bis Philipp starb. Multiples Organversagen. "Ich habe ihm gesagt, wenn er nicht mehr kann, ist es okay, wenn er geht", erinnert sich Kraus. Philipp hat das Krankenhaus nie verlassen.

Die Familie erlebte etwas, das sich wohl niemand vorstellen kann, dem es nicht selbst widerfahren ist. Tochter Lilli, die Philipp im Krankenhaus kennengelernt hat, fragte einmal, wann er denn "da raus" kommt, um mit ihr zu spielen. Da stand die Familie vor Philipps Grab. "Plötzlich muss man für ein Kind eine Beerdigung organisieren": eine Sterbeurkunde beantragen, ein Kind "wieder abmelden". Kraus und ihre Frau mussten herausfinden, wie es im "Abschiedsraum" der Frühchenstation aussieht.

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Doch in Zeiten der Trauer, der Leere, der Hoffnungslosigkeit konnte Stefanie Kraus auf ihre Freunde und Familie zählen: Ihre Frau Sabrina sei viel stärker als sie, die Beziehung wurde während Stefanie Kraus’ Zeit im Krankenhaus aber auch strapaziert. "Wir mussten um die Ehe kämpfen", sagt sie. Doch die Familie hat so viel durchgestanden, das schweißt auch zusammen. Mittlerweile sind Stefanie und Sabrina Kraus acht Jahre verheiratet. Auch Eltern und Schwiegereltern standen ihnen bei, kümmerten sich um Lilli. Stefanie Kraus begann eine Therapie.

Und sie begann, zu schreiben. "Ich habe einfach angefangen – und weiter und weiter und weiter", erzählt sie. Zwei Jahre hat sie geschrieben, mal pausiert, weil es so weh tat, alles ein zweites Mal mitzumachen. Dabei ist Schreiben gar nicht ihre Stärke. Doch es half – und ihre Freundin Kristin, die sich um Kommata und alles andere kümmerte. So ist "Das Schicksal hatte einen anderen Plan" entstanden, das die Geschichte erzählt. Während ihrer Zeit im Krankenhaus hat sie viel in Internetforen über ähnliche Schicksale gelesen und sich ausgetauscht. Dabei hat sie aber nie ein Happy End gefunden. Auch deshalb will sie mit ihrem Buch Betroffenen Mut machen und zeigen, dass man nach schweren Schicksalsschlägen auch wieder aufstehen kann. "Dieses Buch ist so geschrieben, wie ich bin", steht im Vorwort von Kraus’ Werk.

Wer ihr aber noch mehr bei der Trauerbewältigung geholfen hat, ist Linda. Ihre zweite Schwangerschaft war für Kraus zwar "der reinste Horror", weil sie ständig Angst hatte, dass wieder etwas passiert. Doch als Linda gesund in ihren Armen lag, war da nur noch pures Glück. "Ich habe keine Ahnung, wie mein Leben weitergegangen wäre", wäre Linda nicht geboren worden, sagt Kraus. Sie wurde nochmal schwanger, weil sie sich künstlich befruchten ließ. Etwa 5000 Euro hat das gekostet, denn anders als bei heterosexuellen Ehepaaren zahlt die Krankenkasse das bei lesbischen nicht.

Und da sind da noch die Elefanten: Vier Stück bilden eine Kette auf Kraus’ Unterarm, sie tragen die Namen der vier Kinder des Paares. Mit dem Tattoo hat Kraus ihre Familie auf ihrer Haut verewigt. Denn Elefanten sind der Glücksbringer der Familie. Alles begann damit, als Kraus in der Heidelberger Uniklinik lag. Jeden Morgen hörte sie die Elefanten aus dem Zoo tröten, was für sie immer ein Glanzlicht war. Als sie dann Tobias verlor, brachte die Krankenschwester das tote Kind in einem Tuch zu ihr. Es war mit Elefanten bedruckt. "Das war irgendwie ein Zeichen für uns", erzählt Kraus. Daraufhin gehörten die Tiere irgendwie zur Familie, und Philipp wurde von einem Stoff-Elefanten "beschützt". Bei seiner Beerdigung hat Kraus sogar eine Wolke ausgemacht, die wie ein Elefant aussah. Da ihr das sowieso keiner glauben würde, hat sie den Beweis aber gleich fotografiert. Jetzt steht auch eine Elefanten-Figur auf Philipps Grab.

"Ich will nicht, dass meine Söhne vergessen werden", sagt Kraus. Auch deshalb hat sie dieses Buch geschrieben. Auf die Frage, ob sie die Schicksalsschläge stärker gemacht haben, antwortet sie bestimmt: "Nein." Aber dann fügt sie an: "Ich bin froh, dass jetzt alles gut ist, irgendwie."

Info: "Das Schicksal hatte einen anderen Plan" ist bei Amazon erhältlich oder kann auch im Bücherland in Sinsheim gekauft werden.

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