Jüdische Vorfahren in Waibstadt

New Yorker reist für 72 Stunden für Besuch des Grabs an

Es ist das einzige, was noch existiert. David Stenn reiste für 72 Stunden aus New York an, um die Grabstätten seiner jüdischen Vorfahren zu besuchen.

24.06.2022 UPDATE: 26.06.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden
Ein besonderer Moment für David Stenn (links) auf dem jüdischen Friedhof, auf dem er die von Norbert Eckert restaurierten Grabsteine seiner Vorfahren besuchte und von Marion Guttmann über die Erinnerungsarbeit des Vereins und der Realschule informiert wurde. Foto: Berthold Jürriens

Von Berthold Jürriens

Waibstadt. "Es ist das einzige, was noch geblieben ist. Es gibt nichts anderes mehr", antwortet David Stenn auf die Frage, warum er die fast 200 Jahre alten und stark verwitterten Grabsteine seiner jüdischen Vorfahren habe restaurieren lassen. Am vergangenen Mittwoch ging für den US-Amerikaner auf dem jüdischen Friedhof im Mühlbergwald eine mehr als 25-jährige Spurensuche vorerst zu Ende.

Alles habe mit seiner Großmutter begonnen, die das Kind deutscher Eltern war. Diesen gelang damals rechtzeitig die Ausreise aus Nazi-Deutschland. "Und obwohl meine Großmutter in den USA geboren wurde, war ihr Charakter eher typisch deutsch", erzählt der in Chicago geborene Drehbuchautor, Produzent und Schriftsteller mit einem Lächeln. Er habe seine Großmutter immer bewundert für ihre Stärke, ihren Familiensinn und ihre Ordnung. Sie sei eine bemerkenswerte Frau gewesen, an die er nur gute Erinnerungen habe. "Sie sprach auch noch Deutsch, was ich leider nicht beherrsche", bedauert er.

Zu Beginn seiner Nachforschungen habe es noch kein Internet gegeben. "Das war harte Arbeit und es war schwierig, etwas zu finden." Doch nach und nach offenbarte ihm die Familiengeschichte Namen wie Hirsch, Schwab oder Prager, verschiedene Orte im Elsass und in Süddeutschland, darunter Merchingen, Leutershausen (Bayern), Hemsbach und auch Waibstadt. Die Familienmitglieder, die auf dem Waibstadter Friedhof begraben liegen, stammen aus Tairnbach. Als er seiner Urgroßmutter bei Recherchen ein Bild eines ihr bekannten deutschen Ortes gezeigt habe, sagte diese: "Es sieht genauso aus wie früher. Nur die Häuser haben keine Nazi-Flaggen mehr."

Viele seiner Vorfahren seien bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ausgewandert. "Sie waren immer sehr stolz darauf, deutsche Juden zu sein und nicht aus irgendeinem anderen Land zu kommen", habe er immer wieder gehört. Seine Familie sei wohl eine der wenigen jüdischen Familien, die keine Verwandten während der Shoah verloren hat. "Die letzten noch in Deutschland lebenden Verwandten hat man in den 1930er- Jahren durch die Übernahme von Bürgschaften gegenüber der US-Regierung in die USA geholt."

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Dies sei für ihn ein besonderer und emotionaler Moment, gestand Stenn, als er zum ersten Mal die restaurierten Grabsteine sah. Einen Tag zuvor war Stenn aus New York angereist, um in gerade einmal 72 Stunden die Grabmäler seiner Vorfahren im Süden Deutschlands zu besuchen. "Eigentlich wollte ich schon 2020 kommen, aber die Pandemie hat es nicht möglich gemacht. Aber es ist für mich sehr wichtig, hier zu sein." Mit dem Restaurator Norbert Eckert aus Bad Mergentheim hatte der US-Amerikaner schon früh Kontakt aufgenommen, um die Grabstätten zu finden und anschließend die vielen Grabsteine restaurieren zu lassen.

"Das war schon eine besondere Aufgabe und Herausforderung", erinnerte sich Eckert, der an diesem Tag den amerikanischen Besucher auch auf den jüdischen Friedhof in Merchingen begleitet hatte. "Die Steine, die ich vorsichtig restauriert habe, waren teilweise stark verwittert und die Inschriften bröckelig." Auch die handwerkliche Herangehensweise wurde dabei genau festgehalten, und jede Maßnahme in Wort und Bild dokumentiert. Eckert ist bei seiner Suche in Waibstadt auf Siegfried Bastl vom Verein Jüdisches Kulturerbe im Kraichgau gestoßen, der, gemeinsam mit seinem Vorstandskollegen Hans-Peter Gruber, die Grabsteine von Stenns Vorfahren mit dem Namen Prager auf dem jüdischen Friedhof identifizieren konnte. Keine leichte Aufgabe, denn immerhin handelt es sich bei dem Kulturdenkmal um den zweitgrößten jüdischen Friedhof Baden-Württembergs mit mehr als 2500 Grabsteinen. Acht jüdische Gemeinden hatten den Verbandsfriedhof zunächst gemeinsam errichtet. Bis zum Jahr 1860 waren es etwa 80 Gemeinden, die ihre Toten dort bestatteten. In den Jahren 1985 und 1986 fand seitens der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg eine fotografische Erfassung der Grabsteine statt. "Gerade bei solchen Recherchen helfen wir gerne", sagte Bastl.

Über die Vereinsarbeit und das Schulprojekt "Judentum im Kraichgau" der Realschule informierte Vorstandsmitglied Marion Guttman, die im Gespräch erfuhr, dass die vielen in den USA lebenden Juden denken würden, dass nichts Jüdisches mehr existieren würde, wie zum Beispiel Friedhöfe aus der Vorkriegszeit. "Dort glaubt man, dass die Nazis alles vernichtet hätten", habe ihr Stenn erzählt. Menschen aus seinem Umfeld wären überrascht gewesen, dass es noch Gräber seiner Vorfahren geben würde. "Und gerade diese Gräber sind für meine Familie und für mich wichtig, da sie das Einzige sind, was in der alten Heimat noch von der Familie existiert."

Abschließend bedankte er sich für diese "wertvolle Arbeit" der Projektgruppe und des Vereins, die mit Gedenkfeiern, der Verlegung von Stolpersteinen oder dem Erhalt des Mausoleums einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung an das vergangene jüdische Leben und die Kultur leisten würden.

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