Wiesloch

Die Tafel hat jetzt doppelt so viele Kunden

Die Wieslocher Tafel macht das Beste aus der Ausnahmesituation. 100 Helfer sind dabei ehrenamtlich im Einsatz.

27.06.2022 UPDATE: 28.06.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden
Marianne Kammer (v.li.), Angelika Alber, Sonja Huth, Traudl Holleber und Ayhan Boyraz von der Wieslocher Tafel. Foto: Hebbelmann

Von Sabine Hebbelmann

Wiesloch. Steigende Lebensmittelpreise, höhere Energiekosten – viele Menschen kommen nicht mehr über die Runden und sind auf die Tafeln angewiesen. Im Wieslocher Tafel-Laden hat sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine die Zahl der Kunden auf 240 verdoppelt, während zugleich die Supermärkte weniger Waren zur Verfügung stellen.

Bei einem Vor-Ort-Besuch der Rhein-Neckar-Zeitung schilderte das Vorstandsteam die herausfordernde Situation: Schon mit Corona begann eine schwere Zeit, auch weil die überwiegend älteren Helferinnen und Helfer besonders gefährdet sind. Das machte Sonja Huth, Initiatorin und Vorsitzende des Vereins, deutlich. Knapp fünf Wochen war der Laden geschlossen, zeitweise wurden Einkaufsgutscheine ausgegeben, externe Helfer rekrutiert und vorgepackte Tüten aus der Tür heraus übergeben. Kaum entspannte sich die Corona-Lage, begann der Krieg.

Die Supermärkte reduzierten das Angebot und änderten die Lagerhaltung. "Gab es bisher einen zeitlichen Puffer, verkaufen die Märkte nun meist bis zum letzten Tag des Mindesthaltbarkeitsdatums", erzählte Ayhan Boyraz, der als Fahrer mit einem Beifahrer die teilnehmenden Supermärkte abklappert. Er ergänzte: "Wir nehmen nur das mit, was wir selbst essen würden. Hier im Laden wird dann noch einmal sortiert." Ist das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten, wird die Ware extra gekennzeichnet und verschenkt. Ansonsten werden fünf bis zehn Prozent des Ladenpreises berechnet.

Weniger Ware, mehr Kunden – in dieser schwierigen Lage hat die Bürgerstiftung Wiesloch der Tafel ein Budget zur Verfügung gestellt, mit dem sie Produkte von Supermärkten ordern kann. "Nun können wir ein bisschen mehr von den Dingen kaufen, an denen wir Mangel haben, wie Butter, Olivenöl, Wurst, Fischkonserven, Reis und Nudeln", freut sich die Vorsitzende.

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Normalerweise ist der Zukauf von Lebensmitteln für Tafeln ausgeschlossen. Das habe mit der Satzung des Bundesverbandes und der Gemeinnützigkeit zu tun und habe steuerliche Gründe, erläuterte Huth. Eine Sondergenehmigung soll noch bis Ende Juli gelten.

Der Laden öffnet Dienstagvormittag und Freitagnachmittag, regulär jeweils für drei Stunden. Zu den Kunden zählen Rentner, Arbeitslose, Geringverdiener und Geflüchtete – letztere inzwischen überwiegend aus der Ukraine. "Da hängen jeweils ganze Familien dran, im Schnitt drei bis vier Personen, auch Großfamilien", erzählte Traudl Holleber. Sie kommen nicht nur aus Wiesloch, sondern auch von benachbarten Gemeinden.

"Durch den Andrang dehnten sich die Ladenzeiten auf das Doppelte aus – für die Helfenden eine Riesenbelastung", berichtete Huth und nannte die Gründe: Coronabedingt dürfen nicht mehr als sechs Kunden gleichzeitig in den Verkaufsraum. "Unsere Kunden aus der Ukraine sprechen weder Deutsch noch Englisch, entsprechend lange dauert es, sich verständlich zu machen", ergänzte sie. Weil ältere Kunden nicht so lange stehen könnten, seien sie weggeblieben. "Dabei brauchen sie das Angebot mindestens genauso."

Der Verein musste sich etwas einfallen lassen. Seit Ende Mai dürfen die Kunden nur noch ein Mal pro Woche einkaufen. Ausgenommen sind Großfamilien mit mindestens vier Kindern. Das habe zu einer deutlichen Entspannung geführt. Zwei russischstämmige Familienväter haben spontan angeboten, zu dolmetschen. Außerdem hat der Verein ein Merkblatt auf ukrainisch herausgegeben. Darin stellt er unter anderem klar, dass sich die Helfenden freiwillig engagieren und dass der Laden kein Vollversorger ist. Es sei ihnen ein Anliegen, bedürftigen Menschen, egal woher sie kommen, zu helfen. "Das, was wir bekommen, teilen wir so ein, dass es für alle reicht", betonte Marianne Kammer.

Die in fünf Farben unterschiedenen Kundenkarten gewährleisten, dass es gerecht zugeht und lange Wartezeiten vermieden werden. Auf einem Jahresplan wird jeder Farbgruppe innerhalb der Öffnungszeiten eine halbe Stunde zugewiesen. Die Reihenfolge wechselt jede Woche. Das ausgeklügelte System habe sich seit vielen Jahren bewährt und komme dem Laden gerade auch in der aktuellen Situation zugute, berichtete Huth.

"Wir haben rund 100 engagierte Helferinnen und Helfer, die Stimmung ist sehr gut, jeder ist freundlich", berichtete Angelika Alber. Ein Mann aus Rauenberg komme jede Woche mit einem Kofferraum voller Sachen, die sie sonst nicht bekommen würden. Auch Geldspenden sind willkommen. Die Nebenkosten steigen, die Ladenmiete muss bezahlt und zwei Kühlfahrzeuge unterhalten werden.

"Die Unterstützung aus der Bevölkerung ist toll", freute sich Huth und stellte trotz der Ausnahmesituation fest: "Wir sind auf einem guten Weg."

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