Heidelberger hat einen Zwilling und zwei Zwillingsbrüder
"Wir können immer aufeinander zählen": Ein Gespräch über Unterschiede, Verwechslungen und Neid.
Von Robin Höltzcke
Heidelberg. Markus Freitag ist in einer ganz besonderen Familie aufgewachsen. Denn der 60-Jährige hat einen eineiigen Zwillingsbruder – und dazu noch zwei vier Jahre jüngere Brüder, die ebenfalls eineiige Zwillinge sind. Einmal im Jahr fahren die vier gemeinsam in Urlaub. Freitag ist gelernter Gärtner, sein Zwilling Christof ist Schreiner. Die jüngeren Zwillinge, Benedikt und Johannes, sind Techniker und Jurist. Im RNZ-Interview berichtet der Heidelberger von seinen Erfahrungen in dieser außergewöhnlichen Familienkonstellation.
Herr Freitag, mit einem eineiigen Zwilling und einem weiteren Zwillingsbruderpaar groß zu werden, war sicher alles andere als langweilig. Hatten Sie und Ihre Brüder gemeinsame Interessen?
Genau, es war immer etwas los bei uns zu Hause. So etwas wie Langeweile kannten wir nicht. Zu meinem direkten Zwilling Christof habe ich ein noch engeres Verhältnis als zu meinen Zwillingsbrüdern Benedikt und Johannes, die 1966, vier Jahre nach uns, geboren sind. Christof und ich interessierten uns mehr für die Kunst und Musik, Benedikt und Johannes waren mehr technisch orientiert. Diese Unterschiede teilen wir noch heute. Meine "kleinen" Brüder etwa können Stunden über Autos reden. Was wir aber alle lieben, ist das Wandern. Einmal im Jahr machen wir deshalb einen Geschwisterurlaub in den Bergen Europas und wandern gemeinsam.
Hatten Sie denn immer ein gutes Verhältnis zueinander – oder gab es auch Unstimmigkeiten?
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Natürlich haben wir uns als Kinder immer wieder gestritten. Aber das hielt nie lange an. Ich erinnere mich noch, dass Benedikt mich aufgezogen hat, weil ich geflickte Jeans trug. "Wie du wieder rumläufst", sagte er. Die beiden haben einfach einen anderen Geschmack. Der Tod unseres Vaters vor sieben Jahren und der Tod unserer Mutter vor vier Jahren hat uns noch mehr zusammen gebracht.
In Ihrer Familie gab es schon früh einen Schicksalsschlag. Ihr Bruder Dominikus, der drei Jahre nach Ihnen auf die Welt kam, ist kurz nach der Geburt verstorben. Haben Sie eine Erinnerung an ihn?
Ich kann mich erinnern, dass ich ein Bild von Dominikus gemalt habe. Und als Dreijähriger bin ich einmal zu seinem Grab auf den Handschuhsheimer Friedhof gegangen – habe aber meiner Mutter nicht Bescheid gesagt. Als ihr auffiel, dass ich weg war, hat sie die Polizei gerufen. Eine Streife hat mich gefunden und ich war mächtig stolz, im Polizeikäfer nach Hause gebracht zu werden.
Wie war denn das Verhältnis zu Ihren Eltern, haben sie denn alle Kinder immer gleich behandelt?
Unsere Eltern probierten natürlich, das Gleichgewicht zu halten. Doch mein Vater Dieter hatte zu den jüngeren Geschwistern einen besseren Draht. Ich kann mich noch erinnern, dass mein Vater mir und Christof jeweils eine goldene Taschenuhr zum 18. Geburtstag schenkte. Denn das hatte mein Vater auch von seinem Vater bekommen. Damals konnte ich nicht so viel mit der Uhr anfangen, aber heute schätze ich sie sehr als Erinnerung. Als Benedikt und Johannes 18 wurden, schenkte er ihnen auf deren Wunsch einen Computer.
Worin liegen die Unterschiede bei Ihnen als Zwillingspaare?
Es gab Momente, in denen wir sehr unterschiedlich reagiert haben. Etwa als wir von einer Spanienreise zurückkamen und bei der Rückkehr bemerkten, dass unsere Meerschweinchen gestorben waren. Christof und mir liefen sofort die Tränen. Benedikt und Johannes weinten nicht, und wir dachten, dass sie nichts empfinden würden. Sie verarbeiten aber Trauer einfach anders als Christof und ich. Wenn ich mich mit meinen Brüdern vergleiche, denke ich eher an die Unterschiede als an die Gemeinsamkeiten.
Eineiige Zwillingspaare sehen sich ja sehr ähnlich – so ist es auch bei Ihnen und ihrem Bruder Christof. Kam es auch vor, dass sogar Ihre eigenen Eltern Sie verwechselt haben?
Unsere Eltern konnten uns immer gut auseinanderhalten. Doch mit anderen Leuten kam es schon häufig zu amüsanten Situationen. Als der Direktor bei der Abiturzeugnisverleihung am Englischen Institut Christof aufrief, sind wir beide aufgestanden und nach vorne gegangen. Das sorgte für Verwirrung – und Gelächter. Lustig war auch, als ich auf ein Gruppenfoto eines Wohnprojekts sollte. Mein Bruder Christof war auch da, und mein Vordermann rief ihm zu: "Los, Markus, komm auch auf das Bild!" Ich tippte ihm von hinten auf die Schultern und sagte: "Ja, hier bin ich." Alle paar Monate kommt es vor, dass man uns verwechselt. Wenn ich auf der Straße angesprochen werde, ist es manchmal schwer, herauszufinden, ob derjenige Christof meint oder mich.
Sie wohnen also noch alle vier in Heidelberg?
Außer Johannes, der in München lebt, sind wir alle in Heidelberg.
Und sind Ihre Familien auch so groß?
Nein, die sind kleiner ausgefallen. Christof hat keine Kinder und wir anderen Brüder haben jeweils ein Kind. Obwohl ich mir eigentlich mehr Kinder gewünscht hätte.
Was nimmt man für das Leben mit, wenn man mit so vielen Geschwistern aufwächst?
Das miteinander Teilen ist für mich eine ganz wichtige Erfahrung, die ich durch unser Geschwisterleben gelernt habe. Dazu gehört für mich auch, dass man nicht neidisch aufeinander ist. Ich bin dankbar dafür, dass ich mit meinen Brüdern gut klar komme, wir uns gegenseitig wertschätzen und immer aufeinander zählen können. Wir haben alle ein sehr inniges Verhältnis zu unserer Mutter gehabt, die uns ein tiefes Gottvertrauen und die Lebensfreude mitgegeben hat.