Heidelberg

Nach den Vorwürfen lässt die Doppelspitze die Leitung des DAI ruhen

Zehn Angestellte fordern in anonymem Schreiben Absetzung der Geschäftsführung des Deutsch-Amerikanischen Instituts. Das führte bereits zu ersten Konsequenzen.

27.01.2022 UPDATE: 03.02.2022 06:00 Uhr 5 Minuten, 58 Sekunden

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Während die Untersuchung der anonymen Vorwürfe von Mitarbeitern gegen die Doppelspitze des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) durch die Heidelberger Kanzlei Wellensiek angelaufen ist, ziehen sich die beiden DAI-Geschäftsführer vorerst zurück. In einer Sitzung des Verwaltungsrats der Schurman-Gesellschaft – des Trägervereins des DAI – am Dienstag boten beide an, ihre Leitungsfunktion so lange ruhen zu lassen, bis die Untersuchung der Vorwürfe abgeschlossen ist. Kommissarisch übernimmt nun ein Mitglied des Schurman-Verwaltungsrats die Leitung des Kulturhauses: der Jurist Dietrich Firnhaber.

Hintergrund

DAI-Programm läuft weiter

rie. Die Untersuchung der Vorwürfe von etwa der Hälfte der Mitarbeiter des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) gegen die Leitung des Hauses beeinträchtigt das Kulturprogramm nicht. "Das Tagesgeschäft des DAI läuft wie

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DAI-Programm läuft weiter

rie. Die Untersuchung der Vorwürfe von etwa der Hälfte der Mitarbeiter des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) gegen die Leitung des Hauses beeinträchtigt das Kulturprogramm nicht. "Das Tagesgeschäft des DAI läuft wie geplant weiter", so eine DAI-Sprecherin. Auch der kommissarische Führungswechsel habe "keinerlei Auswirkungen auf das Programm und das aktuelle Tagesgeschäft".

Die beiden Geschäftsführer lassen ihre Leitungsfunktion ruhen, solange die Untersuchung der Vorwürfe durch die Kanzlei Wellensiek läuft. Der Jurist Dietrich Firnhaber aus dem Verwaltungsrat des DAI-Trägervereins Schurman-Gesellschaft hat die Leitung kommissarisch übernommen. Laut der Sprecherin sind die beiden Geschäftsführer aber "weiterhin im DAI anwesend und führen ihr Tagesgeschäft weiter". Dies beinhalte "vor allem die Aufgaben der aktuellen Programmleitung und Programmplanung".

Zwei Termine im DAI wurden indes aus anderen Gründen abgesagt: Johanna Pinks Vortrag ("Der Koran heute") am Sonntag fällt aus, weil Pink erkrankt ist. Gabriele Berrer-Wallbrechts Vortrag ("Reisen – Wesen des Islams") am Montag wurde wegen der Pandemie auf 16. Mai verschoben.

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Oberbürgermeister Eckart Würzner und Ex-Kulturbürgermeister Joachim Gerner bestätigten diese Entwicklung der Rhein-Neckar-Zeitung am Mittwoch auf Nachfrage. Würzner ist Vorsitzender des Verwaltungsrats der Schurman-Gesellschaft, Gerner steht dem Vorstand des Trägervereins vor. "Wir danken den beiden Geschäftsführern für das Angebot, die Leitung ruhen zu lassen", sagte Würzner. Es gehe nun darum, Ruhe in die Angelegenheit zu bringen. Die Prüfung der Vorwürfe müsse sauber und ruhig ablaufen. "Alles soll in Gänze aufgeklärt werden", so Würzner, "damit eines der wichtigsten Kulturhäuser unserer Stadt keinen Schaden nimmt." Am Mittwochmorgen habe man auch die Mitarbeiter informiert, dass nun interimsmäßig ein neuer Leiter übernehmen werde.

Würzner dankte Dietrich Firnhaber für dessen Bereitschaft, die kommissarische Leitung des Kulturhauses ehrenamtlich zu übernehmen. Der Jurist und Top-Manager arbeitet bei der Covestro AG, einem Werkstoffhersteller mit Sitz in Leverkusen. Firnhaber ist nun bis zum Ende der Untersuchung am DAI für die Bereiche Personal, Finanzen und Organisation verantwortlich.

Die Untersuchung der Vorwürfe durch die Kanzlei Wellensiek ist indes in vollem Gange. Nach RNZ-Informationen führen zwei Anwälte seit Dienstag im Stammhaus in der Sofienstraße Einzelgespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

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Zehn Angestellte des Kulturhauses hatten vor rund zwei Wochen in einem anonymen vierseitigen Schreiben an die Schurman-Gesellschaft, den DAI-Freundeskreis und Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson weitreichende Vorwürfe gegen die Geschäftsführung des Kulturhauses geäußert. Unter anderem war darin die Rede von "Mobbing und Misswirtschaft" sowie der "Missachtung von Arbeitnehmerrechten". Daraufhin hatte der Verwaltungsrat am 24. Januar die Kanzlei Wellensiek mit der Untersuchung beauftragt. Laut Anwalt Dirk Adam soll diese im März abgeschlossen werden.

Update: Donnerstag, 3. Februar 2022, 6.00 Uhr


"Mobbing", "Misswirtschaft" und "toxische Atmosphäre" im DAI?

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Zehn Angestellte des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) Heidelberg erheben umfassende Vorwürfe gegen die zweiköpfige Geschäftsführung der Kultur- und Bildungseinrichtung. Die Gruppe hat als Initiative "Rettet das DAI" vergangene Woche einen anonymen Brief an die Schurman-Gesellschaft als Trägerverein des Kulturhauses, an den Freundeskreis des DAI sowie an Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson geschickt. Beide Vereine stellten sich daraufhin hinter die Leitung des Hauses, haben aber eine externe Untersuchung eingeleitet.

In dem vierseitigen Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, ist die Rede von "Mobbing und Misswirtschaft" sowie von der "Missachtung von Arbeitnehmerrechten". Ein Satz aus dem Schreiben lautet: "Unsere Arbeitsverhältnisse sind von einer toxischen Atmosphäre, autokratischer Führung und dem Fehlen jeglicher Struktur und sachlicher Gesprächsführung geprägt." Den Geschäftsführern wird Fehlverhalten in zahlreichen Fällen vorgeworfen.

Die Angestellten fordern in ihrem Brief die Absetzung der DAI-Doppelspitze, die Einrichtung eines Betriebsrats sowie die Klärung des Sachverhalts durch einen neutralen Dritten. Die Beschäftigten geben an, dass "alle Versuche, die massiven Probleme mit der Leitung zu klären", gescheitert seien. Die kulturelle Arbeit des DAI liege ihnen "sehr am Herzen", heißt es weiter. Auch deshalb habe man die Situation "lange Zeit ertragen". Schließlich schreibt die Gruppe: "Eine Zukunft des DAI in würdevoller Zusammenarbeit, Transparenz und finanziell wie kulturell verantwortungsvollem Wirken in unserer Stadt, sehen wir nur mittels der Abberufung" der beiden Direktoren "von allen Leitungsfunktionen und einer restlosen Aufklärung der Vorgänge gegeben". Bei den zehn Beschäftigten, die sich namentlich an die RNZ wandten, handelt es sich um knapp die Hälfte der Mitarbeiter im Stammhaus in der Sofienstraße.

Die Geschäftsführer des DAI antworteten zwar nicht direkt auf die RNZ-Anfrage zu den Vorwürfen in dem anonymen Brief. Eine Sprecherin erklärte aber, dass beide in die von der Schurman-Gesellschaft und dem Freundeskreis abgegebenen Stellungnahmen eingebunden gewesen seien. Beide Vereine stellten sich auf RNZ-Anfrage ausdrücklich hinter die Leitung des Kulturhauses. In ihren Erklärungen hieß es, man spreche "der Geschäftsführung des DAI sein volles Vertrauen aus" und werde "der Sache durch die Einleitung einer unabhängigen Untersuchung zeitnah" nachgehen.

Oberbürgermeister Eckart Würzner – er ist Vorsitzender des Verwaltungsrates der Schurman-Gesellschaft – sowie Kulturbürgermeister Erichson erklärten auf RNZ-Anfrage in einer gemeinsamen Stellungnahme: "Es ist für uns selbstverständlich, dass die Vorwürfe restlos aufgeklärt werden müssen." Dafür gebe es "klare Kontrollstrukturen innerhalb des DAI", die mit der eingeleiteten Untersuchung bereits greifen würden. Auch Würzner und Erichson sprachen der DAI-Spitze ihr "volles Vertrauen" aus.

Die angekündigte Untersuchung der Vorwürfe wurde bei Sitzungen am vergangenen Wochenende auf den Weg gebracht. "In den jeweiligen Gremien wurde einstimmig beschlossen, eine unabhängige und neutrale Kanzlei mit einem Compliance-Verfahren zur Aufklärung und Begutachtung der erhobenen Vorwürfe zu beauftragen", schrieben der Vorsitzende des Vorstands der Schurman-Gesellschaft, Ex-Kulturbürgermeister Joachim Gerner, sowie Siegbert Moraw vom Freundeskreis-Vorstand, der RNZ am Montag. Weiter heißt es: "Mit großer Mehrheit wurde die Kanzlei Wellensiek als neutrale, objektive und unabhängige Instanz zur Durchführung des Verfahrens bestimmt." Der Rechtsanwalt Dirk Adam werde die Untersuchung übernehmen.

Adam erklärte gegenüber der RNZ am Dienstag, dass die Untersuchung bereits am Montag gestartet sei. Das genaue Verfahren und die einzelnen Schritte könne er aktuell nicht offenlegen, "um die Untersuchung und Begutachtung in ihrem objektiven Gehalt nicht negativ zu beeinflussen", so der Anwalt. Und weiter: "Es wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, um den Maßgaben der ,rückhaltlosen Aufklärung’ zu genügen." Man arbeite "mit mehreren Berufsträgern gleichzeitig an diesem Projekt" und habe sich zum Ziel gesetzt, die Begutachtung bereits im März abzuschließen. Erklärtes Ziel sei es, einen möglichen Reputationsschaden für die bisher überaus erfolgreiche Institution DAI durch eine rasche Aufklärung gering zu halten.

Kleine Randbemerkung: Der bekannte Heidelberger Insolvenzverwalter Jobst Wellensiek, Seniorsozius der beauftragten Kanzlei, ist Mitglied des DAI-Freundeskreises. Darin sieht Anwalt Dirk Adam allerdings keine Hürde für eine unabhängige Untersuchung. Adam schreibt: "Die passive Mitgliedschaft unseres sehr geschätzten 90-jährigen Seniorpartners, der an der in meinem Referat betreuten Begutachtung und (forensischen) Prüfung nicht selbst mitwirkt und auf diese qua Satzung und Berufsrecht auch nicht beeinflussend einwirken kann (und will), ist kein rechtlicher oder tatsächlicher Hinderungsgrund für eine neutrale Begutachtung durch unsere Sozietät."

Nach RNZ-Informationen soll es in der Sitzung von Vorstand und Verwaltungsrat der Schurman-Gesellschaft am Sonntag auch Stimmen gegen die Beauftragung einer Heidelberger Kanzlei gegeben haben. Um eine unabhängige Untersuchung sicherzustellen, hätten sich Teilnehmer in der Sitzung dafür ausgesprochen, ein Zweitangebot von außerhalb Heidelbergs einzuholen. Sie seien aber überstimmt worden.

Die Anwaltskosten für die Untersuchung sollen nach RNZ-Informationen im fünf- oder sogar sechsstelligen Bereich liegen. Rechtsanwalt Adam erklärte gegenüber der RNZ, er könne dazu aktuell keine Aussage treffen. Die Frage, wer die Kosten trage, hänge "nicht zuletzt vom Ergebnis der Begutachtung ab". Zudem prüfe man potenzielle Erstattungspflichten durch eine sogenannte D&O-Versicherung – das ist eine Art Haftpflichtversicherung, die eine Einrichtung für ihre Organe und ihre leitenden Angestellten abschließen kann.

Die RNZ fragte auch bei Schurman-Vorstand Joachim Gerner nach, wer die Kosten der Untersuchung trägt. Eine Antwort blieb aus. Nach RNZ-Informationen wurde von den beratenden Gremien die Idee aufgebracht, die Kosten zwischen Schurman-Gesellschaft, Freundeskreis und der "New School of Life gGmbH" aufzuteilen.


Hintergrund: Das DAI

> Das Deutsch-Amerikanische Institut (DAI) Heidelberg in der Sofienstraße 12 ging in den 1970er-Jahren aus dem Amerikahaus hervor. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in vielen Städten Amerikahäuser, um die Demokratisierung der Deutschen anhand des Vorbilds Amerika voranzubringen. Heute ist das DAI eine breit aufgestellte Kultur- und Bildungseinrichtung mit umfangreichem Veranstaltungsprogramm, Sprachkursen und einer englischsprachigen Bibliothek. Zudem unterhält das DAI drei englischsprachige Kindergärten und seit September 2021 eine Schule. Träger der Aktivitäten des DAI sind zwei Vereine: die Schurman-Gesellschaft und der Freundeskreis des DAI Heidelberg. Finanziert wird das DAI von der Stadt Heidelberg (rund 800.000 Euro jährlich), Land und Bund (zusammen rund 400.000 Euro) und den selbst erwirtschafteten Einnahmen. Auch Zuwendungen des Freundeskreises aus dessen Mitgliedsbeiträgen fließen in DAI-Projekte.

> Die Schurman-Gesellschaft e.V. ist der gemeinnützige Trägerverein für das Veranstaltungsprogramm und die sonstigen Aktivitäten im DAI-Stammhaus in der Sofienstraße. Vereinszweck ist laut Satzung "die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens" sowie "der dauernden Freundschaft zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Volk". Zur Erreichung seiner Ziele unterhält der Verein das DAI. Vorsitzender des vierköpfigen Vereinsvorstands ist der ehemalige Kulturbürgermeister Joachim Gerner (SPD). Zudem hat der Verein einen aktuell 15-köpfigen Verwaltungsrat, der die Leitung des DAI wählt und abberufen kann. Ihm sitzt Oberbürgermeister Eckart Würzner vor.

> Der Freundeskreis des DAI Heidelberg e.V. hat knapp 5000 Mitglieder. Die Ärztin Peta Becker von Rose ist Vorsitzende des Vereins. Auch einer der beiden Geschäftsführer des DAI sitzt im Vorstand. Das im Heidelberg Innovation Park entstehende "Begeisterhaus", wo auch die internationale Schule des DAI untergebracht ist, ist ein Freundeskreis-Projekt. Zudem war der Verein für die Kindergärten zuständig – bis zur Gründung einer neuen gemeinnützigen Gesellschaft vor einem Jahr.

> Die Heidelberg New School of Life gGmbH wurde im Februar 2021 als neue Trägergesellschaft für die drei DAI-Kindergärten und die Internationale Schule gegründet. Der Freundeskreis ist Gesellschafter. Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH sind die beiden Geschäftsführer des Deutsch-Amerikanischen Instituts.

Update: Donnerstag, 27. Januar 2022, 20 Uhr