Heidelberg

Ein Glaubensflüchtling prägte das Stadtbild

Charles Bélier ließ 1592 das Gebäude des Hotel Ritter errichten. Er war Calvinist aus Tournai.

20.08.2022 UPDATE: 21.08.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 1 Sekunde
Schon zur Bauzeit war eine so reich verzierte Fassade nicht üblich. Das Gebäude am Marktplatz – damals ein Wohnhaus – stach damit heraus. Foto: Philipp Rothe

Von Julia Lauer

Heidelberg. Das Hotel Ritter befindet sich im ältesten Gebäude Heidelbergs, das bis heute steht – und das Motiv zahlreicher Postkarten ist. Es war der wohlhabende Tuchhändler Charles Bélier, der das Haus mit der prächtigen Fassade im Jahr 1592 errichten ließ. Charles Bélier war Hugenotte – und damit Glaubensflüchtling. Was ist ansonsten über diesen Mann bekannt? Eine Spurensuche.

> Woher Charles Bélier kam: Charles Bélier stammte aus Tournai, einer calvinistischen Hochburg. Der Ort in der Nähe von Lille liegt heute auf der belgischen Seite der belgisch-französischen Grenze. Damals befand er sich in den Spanischen Niederlanden, einem Gebiet, das Belgien, die Niederlande, Luxemburg und den äußersten Norden Frankreichs umfasste und das spanischer Herrschaft unterstand. Der katholische König Philipp II. ließ dort Protestanten als Ketzer verfolgen.

> Heidelberg als Zufluchtsort: In der calvinistisch geprägten Kurpfalz fand Charles Bélier Zuflucht – als ein Flüchtling von vielen. Ob er direkt aus Tournai nach Heidelberg kam, weiß man nicht. Hugenotten jedenfalls prägten Heidelberg damals mit, es gab eine wallonische Kirchengemeinde, und die französischsprachigen Calvinisten waren in vielen Berufen vertreten. "Sie wurden als Ärzte, Goldschmiede, Maurer oder Universitätsprofessoren tätig", schrieb der Historiker Christoph Mauntel von der Universität Tübingen in einer Festschrift, die das Hotel Ritter vor fünf Jahren herausgab.

> Wann Bélier nach Heidelberg kam: Der früheste Beleg für Béliers Aufenthalt in Heidelberg stammt aus dem Jahr 1588, wie Hans-Martin Mumm 2006 im Jahrbuch zur Geschichte der Stadt berichtete. Frühere Autoren hatten Bélier schon eher in der Neckarstadt vermutet. So hatte der Heidelberger Johannes Hormuth 1833 die These vertreten, Bélier sei bereits 1572 nach Heidelberg geflüchtet. "Da es aber bislang keinen Beleg für einen Aufenthalt in Heidelberg vor 1588 gibt, ist zu vermuten, dass Hormuth einfach das Jahr der Bartholomäusnacht, den Höhepunkt der Calvinistenverfolgung in Frankreich, als Fluchtjahr angenommen hat", kommentiert Mumm diese Datierung. Im Kirchenbuch der wallonischen Gemeinde in Heidelberg sei Bélier 1572 jedenfalls noch nicht genannt. Eine Flucht aus Tournai sei ohnehin nach 1581 wahrscheinlicher, so Mumm: In jenem Jahr stürmten spanische Truppen Tournai.

Auch interessant
Heidelberg: Hotel und Restaurant "Ritter" ist wieder da
: Heidelberger "Hotel zum Ritter St. Georg" wird 425 Jahre alt (plus Fotogalerie)

> Wie Bélier in Heidelberg lebte: Als Bélier sich in Heidelberg niederließ, war die Stadt vom Adel geprägt und auf dessen Bedürfnisse ausgerichtet. Bélier war kein Adeliger, er arbeite in dem Beruf, der schon seinen Vorfahren zu Wohlstand verholfen hatte. "Bélier selbst war Tuchhändler und wohnte 1588 zunächst zur Miete", so der Historiker Christoph Mauntel. Das Wohnhaus befand sich am Marktplatz – nicht weit entfernt von dem Gebäude, das er später kaufte. Das Heidelberger Einwohnerverzeichnis führte ihn in der Mietwohnung gemeinsam mit seiner Frau Francina Soreau, einem Kind, zwei Jungen und einer Magd.

> Wie Bélier zum Hausbesitzer wurde: Charles Béliers Schwiegervater stammte aus Antwerpen und war als Tuchhändler in Frankfurt erfolgreich geworden. Er starb 1590. Durch die Hinterlassenschaften des Schwiegervaters war Charles Bélier ein Bauvorhaben dieser Größenordnung möglich: "Als Woll- und Tuchhhändler mochte er auch in Heidelberg reich geworden sein, aber ein Haus in so bevorzugter Lage und in dieser Pracht zu erstellen, war nur mit diesem Erbe realisierbar", schätzte Mumm die damaligen Verhältnisse ein.

> Wie Bélier das Haus gestaltete: Die Fassade des Gebäudes, zur Zeit seiner Errichtung noch ein bürgerliches Wohn- und Geschäftshaus, fiel auch damals schon aus der Reihe. Die Eheleute "kauften das Grundstück Hauptstraße 178, übernahmen den Keller eines Vorgängergebäudes und gaben eine Fassade in Auftrag, wie sie sich kein anderer Bürger leisten konnte", schrieb Mumm. Die Inschriften ließ Bélier auf Latein anbringen. Auch er und seine Frau sind an der Fassade zu sehen: in Form eines Doppelporträts auf der rechten Seite des Hauses im zweiten Obergeschoss.

> Was es mit dem "Ritter" auf sich hat: "Hotel zum Ritter Sankt Georg" lautet der Name des Hotels, das heute in dem Gebäude untergebracht ist. An der Fassade befindet sich in der Tat eine Ritterbüste. Dass es sich dabei um Sankt Georg handelt, ist aber wohl ins Reich der Legenden zu verweisen. Es habe zwar eine Laienbruderschaft dieses Namens in Tournai gegeben, deren Mitglieder sich 1566 an Bilderstürmen beteiligten. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass ein Glaubensflüchtling, der als Jugendlicher in seiner Heimatstadt womöglich selbst als Bilderstürmer aktiv war, eine Heiligenfigur zur Giebelkrönung seines Hauses auswähle, so Mumm. Die Deutung des Ritters als Sankt Georg sei wohl eher Teil der Verkaufsstrategie eines Wirts im 17. Jahrhundert gewesen als eine Tournaier Tradition.

> Was noch über Bélier bekannt ist: Charles Bélier betätigte sich nicht nur als Kaufmann, er war auch ein engagierter Bürger. So stellte er sich etwa als Pfleger in den Dienst des Spitals in der Hauptstraße 97 und wurde 1611 Bürgermeister von Heidelberg. Er besaß ein weiteres Haus in der Nachbarschaft sowie einen Garten in der Plöck. Vermutlich hatte er eine Tochter und einen Sohn.

Charles Bélier an der Fassade des von ihm erbauten Hauses. Foto: pr
Dieser Artikel wurde geschrieben von:
(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.