Studie des ZEW Mannheim

Wenn die Polizei geht, wittern die Diebe neue Chancen

Mehr Einbrüche und Auto-Diebstähle bei Posten-Schließung

22.10.2018 UPDATE: 23.10.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden

Im Zuge einer 2004 in Baden-Württemberg angestoßenen Polizeireform wurde die Zahl der Polizeiposten im Land um rund 200 reduziert. Foto: Bernd Weißbrod

Von Sören S. Sgries

Heidelberg/Mannheim. Was passiert eigentlich, wenn der Polizeiposten um die Ecke schließt? Blüht das Verbrechen auf? Dieser Frage geht eine Studie des Mannheimer "Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung" (ZEW) nach. Das Ergebnis: Das Sprichwort "Kaum ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf den Tischen" trifft höchstens teilweise zu. Die Gesamtzahl der Verbrechen steigt zwar nicht, aber Kriminelle verlagern anscheinend ihre Aktivitäten, so die Schlüsse der Wissenschaftler Sebastian Blesse und André Diegmann.

Die Polizeiposten-Reform 2004

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die strukturell bedingte Schließung zahlreicher Polizeiposten in Baden-Württemberg zwischen 2004 und 2011. Unter den CDU-Innenministern Thomas Schäuble (1996-2004) und Heribert Recht (2004-2011) hatte die Landesregierung eine effizientere Aufstellung der Polizei im Land beschlossen. Unter anderem sollten (zu) kleine Polizeiposten auf dem Land geschlossen werden. Im Blick hatte man vor allem Standorte, an denen weniger als vier Beamte stationiert waren.

Am Ende des Reformprozesses waren von ursprünglich 574 (2004) Polizeiposten noch 367 (2011) übrig. Von diesen waren zwar weiterhin 67 mit weniger als vier Beamten besetzt, schreiben die ZEW-Autoren. Im Durchschnitt aber sei der Personalstand von vier auf sechs Personen angehoben worden. Auch soll sich an der örtlichen Zuständigkeit der Beamten wenig verändert haben. Sie waren nur formell an einem anderen Ort stationiert. Die Entfernung zur nächsten Polizeistation ist für die Bevölkerung durch die Schließung der rund 200 Posten gewachsen: im Durchschnitt um sechs Kilometer.

Veränderungen bei den Straftaten

Anders als man es vielleicht erwarten würde: Die Gesamtzahl der registrierten Straftaten blieb konstant. Auch im Bereich der Gewaltkriminalität änderten sich die Zahlen laut den ZEW-Autoren nicht. Wissenschaftlich wird das unter anderem damit erklärt, dass für solche Verbrechen eine rationale Entscheidung höchstens marginal eine Rolle spielt. Wichtiger sind das soziale Umfeld und die Persönlichkeit des Täters. Kurz gesagt: Wer, beispielsweise, betrunken ausrastet und eine Wirtshausschlägerei beginnt, macht sich normalerweise keine Gedanken mehr, ob er dafür von der Polizei zur Rechenschaft gezogen werden könnte.

Was sich allerdings massiv verändert: die Zahlen bei den Eigentumsdelikten. Autodiebstahl sowie Wohnungs- und Kellereinbrüche sind demnach in den Gemeinden um zwölf Prozent bis 17 Prozent gestiegen, bei Motorraddiebstählen ist eine Zunahme um acht Prozent zu verzeichnen. Deutlich rückläufig waren Fahrraddiebstähle: 13 Prozent weniger wurden verzeichnet. Daher gibt es insgesamt keine Veränderung der Gesamtzahl der registrierten Straftaten.

"Kriminelle verlagern durch die geringere Polizeipräsenz ihren Fokus vom Diebstahl von Gütern mit typischerweise niedrigem Geldwert, wie beispielsweise Fahrrädern, auf den Diebstahl hochwertigerer Güter wie Autos", sagt dazu Studienautor Sebastian Blesse.

Die Theorie der Wissenschaftler dazu: Im Vorfeld der Schließung eines Polizeipostens wird in der Öffentlichkeit lebhaft über die daher befürchteten Sicherheitsrisiken diskutiert. In der Folge sinkt die Angst vor Verfolgungsdruck. Kriminelle fühlen sich ermutigt, ihr "Glück" auch einmal bei höherwertigen Diebesgütern zu versuchen. Der Fahrraddieb denkt also, ohne Polizei vor Ort könne er sich auch einmal am teuren Pkw versuchen.

Folgen für die Polizeiarbeit

Was sind die Folgen für die praktische Polizeiarbeit? Zunächst einmal stellen die ZEW-Wissenschaftler fest: Die Arbeit der Polizei ist durch die Reform nicht schlechter geworden. Bei der Aufklärungsrate gebe es keinen Unterschied. Auch sehen die Wissenschaftler keinerlei Hinweise darauf, dass durch die Schließung der Polizeiposten irgendeine Art von "Anreiz" geschaffen worden sei, dass Menschen erstmals kriminell werden. Tatsächlich gibt es sogar einen deutlichen positiven Befund: Landesweit seien die "Öffnungszeiten" der Polizeistationen um 7,5 Prozent verlängert worden.

Problematisch bleibt aber der Befund, dass Kriminelle sich neuen Straftaten zuwenden. "Eine größere Entfernung zu örtlichen Polizeidienststellen bewirkt eine Verhaltensänderung und beeinträchtigt die abschreckende Wirkung von Strafverfolgung", sagt Blesse.

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