Positionspapier

Ärzte wollen weniger Tierversuche

"Es gibt Reduktionspotenzial" - Keine Versuche in der Ausbildung notwendig

27.04.2017 UPDATE: 28.04.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 48 Sekunden

Rund 2,8 Millionen Versuchstiere zählt die Statistik für Deutschland. 70 Prozent davon sind "Labormäuse". Foto: Philipp Rothe

Von Nicolas Lewe

Stuttgart/Tübingen. In einem jetzt veröffentlichten Positionspapier kommt die Landesärztekammer Baden-Württemberg zu dem Schluss, dass nicht alle Tierversuche zwingend notwendig sind. "Es gibt Reduktionspotenzial, das im Sinne des Tierwohls genutzt werden muss", heißt es wörtlich. Andererseits gäbe es auch medizinische Bereiche, in denen Tierversuche nach jetzigem Forschungsstand unverzichtbar sind.

Vergangene Woche hatte das Max-Planck-Institut (MPI) für biologische Kybernetik in Tübingen unter großem Jubel der Tierschützer das Ende der öffentlich viel kritisierten Affenversuche verkündet. Nicht-menschliche Primaten machen dem Positionspapier der Mediziner zufolge jedoch unter den Versuchstieren deutschlandweit weniger als 0,1 Prozent aus. Die Forschung an Menschenaffen (Orang-Utans, Bonobos, Gorillas und Schimpansen) ist in Deutschland ohnehin gesetzlich verboten. Mehr als 70 Prozent der Versuchtiere sind laut Landesärztekammer für den Zweck der Tierversuche gehaltene Mäuse.

Die Gesamtzahl der Versuchstiere ist rückgängig - von rund 3,1 Millionen im Jahr 2012 auf 2,8 Millionen in den Jahren 2014 und 2015. Zum Vergleich: Laut Statistik wurden alleine 2012 in Deutschland 754 Millionen Nutztiere geschlachtet.

Tierversuche in der medizinischen Ausbildung sind heute nach Meinung der Landesärztekammer obsolet. Florian Dehmelt, akademischer Mitarbeiter an der Uniklinik Tübingen, wurde im Vorfeld der Veröffentlichung des Positionspapiers als Experte angehört. Im Gespräch mit unserer Zeitung beschreibt er die Technik im Bereich der medizinischen Ausbildung als weit fortgeschritten, viele klinische Fähigkeiten können dem Experten zufolge heute an Puppen oder anhand von Computersimulationen erlernt werden. Aber, auch das ist ihm wichtig zu betonen: "Nicht alle Tierversuche lassen sich ersetzen." Vor allem nicht in der Grundlagenforschung, in der mit 40 Prozent ein Großteil der Versuche an Tieren stattfindet, und auch nicht bei der Medikamentenzulassung. Das Risiko, dass es zu Todesfällen bei menschlichen Probanden komme, sei einfach zu hoch.

Reduktionspotenzial gibt es nach Einschätzung des Experten hingegen bei den gesetzlich vorgeschriebenen Tests von Chemikalien in Alltagsgegenständen wie beispielsweise Kinderspielzeug, wo bestimmte Stoffe Hautreizungen hervorrufen können. Dehmelt: "Das allgemeine Lebensrisiko ist oft akzeptabel. Für 99,9 Prozent Sicherheit braucht es aber natürlich mehr Tierversuche als für eine nur 99-prozentige Sicherheit."

Es gehe hierbei um das menschliche Ermessen, das auch andere Lebensbereiche wie zum Beispiel die Gentechnik betrifft. "Die Angst vor Gentechnik führt zu mehr Tierversuchen", so der Experte. Gleiches gelte für Futtermittel, für Lebensmittel, für den Infektionsschutz, für den Pflanzenschutz und den Schutz vor möglichen Tierseuchen. Die menschliche Einschätzung der Gefahr für seine Lebensrealität kann die Zahl der Tierversuche im jeweiligen Bereich erhöhen oder reduzieren.

Bisher alternativlos, das macht die Landesärztekammer in ihrem Papier deutlich, sind Tierversuche neben der prämedizinischen Forschung auch bei der Entwicklung von modernen Impfstoffen - etwa gegen Polio, Tuberkulose, Meningitis oder Ebola. Tierversuche sind aus Sicht der Wissenschaft "zumindest im Prinzip sinnvoll", wie es Dehmelt formuliert. Ein Beispiel aus der jüngeren Forschung sei der Hirnschrittmacher für Parkinson-Patienten, der zuvor an Affen getestet wurde. Inzwischen werde dieser bei über 150.000 Menschen weltweit eingesetzt.

Update: 28. April 2017, 20 Uhr

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