Lars Castellucci

"Einer Normalisierung des Suizids müssen wir vorbeugen"

Der Bundestag muss das Thema Sterbehilfe neu regeln - SPD-Politiker Castellucci über seine Vorstellungen

21.04.2021 UPDATE: 22.04.2021 21:30 Uhr 2 Minuten, 37 Sekunden
Lars Castellucci, 47.  Foto: dpa

Von Sören S. Sgries

Berlin/Heidelberg. Im vergangenen Jahr kippte das Bundesverfassungsgericht das seit 2015 bestehende Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe. Bemängelt wurde, dass der Mensch "ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben" haben müsse und dazu auch Hilfe in Anspruch nehmen dürfe. Das verhindere aber die Rechtslage. Am Mittwoch wurde im Bundestag über die bisher drei Anträge für eine Neuregelung diskutiert. Hinter einem davon steht eine Gruppe um den früheren Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Lars Castellucci, SPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Rhein-Neckar.

Herr Castellucci, warum kümmern Sie sich derzeit so intensiv um die Frage, wie "assistierter Suizid" ermöglicht werden könnte?

Der Suizid, die freiwillige Selbsttötung, ist in Deutschland noch nie verboten gewesen. Und bei etwas, das nicht verboten ist, kann man auch Hilfe annehmen – das ist die Rechtslage. Letztes Jahr hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der sogenannten geschäftsmäßigen Suizidhilfe, des "Geschäftemachen mit dem Tod", gekippt. Deswegen sind wir gefordert, eine neue Regelung zu finden.

Ist das allein dem Bundesverfassungsgericht geschuldet, oder halten Sie das auch prinzipiell für richtig? Soll sich wirklich jeder das Leben nehmen dürfen?

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Jeder Mensch hat das Recht, auch in dieser Frage eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Die Selbstbestimmtheit ist aber anfällig. Es kann sein, dass man durch inneren Druck gefährdet ist – durch eine Erkrankung, durch eine Depression. Oder durch äußeren Druck, wenn beispielsweise Menschen den Eindruck gewinnen, sie seien in der Gesellschaft überflüssig. Hier sind wir gefordert, Schranken zu setzen und klar zu regulieren.

Wird der Suizid dann auch für Gesunde eine ganz normale Option werden?

Einer gesellschaftlichen Normalisierung des Suizids müssen wir vorbeugen. Denn wenn es normal wird, dann werden auch die "freiwilligen", also die selbstbestimmten Entscheidungen anders aussehen, als es heute der Fall ist. Das Wichtigste ist mir, dass wir in allererster Linie dafür sorgen, dass die Menschen in jeder Situation gut beraten sind. Dass wir schauen, dass sich die palliative Versorgung verbessert, dass wir in der Hospizarbeit vorankommen. Wir müssen massiv in die Prävention investieren. In Wiesloch steht ein Hospiz, für das Dietmar Hopp großzügig gespendet hat. Es darf aber nicht von der Großzügigkeit von Milliardären abhängen, ob die Bevölkerung gut versorgt ist. Das müssen wir als Gesetzgeber besser hinbekommen.

Und wenn trotzdem der Wunsch nach dem Suizid aufkommt?

Wenn man Hilfe bekommt, wird dieser Wunsch wieder weniger. Deswegen ist die Beratung durch Spezialisten, beispielsweise durch Ärzte wichtig. Es ist aber auch wichtig, dass wir Fristen setzen, die Kurzschlusshandlungen verhindern.

Die große Sorge, die es gibt: Dass Unternehmen entstehen, die die Sterbehilfe zum Geschäft machen. Das wollen Sie weiterhin unterbinden?

Ja. Geschäftsmäßige Sterbehilfe wollen wir nicht. Gleichzeitig können wir aber nicht sagen, die Menschen haben zwar ein Recht auf Suizid, aber wir unternehmen alles, damit sie gar keine Möglichkeiten mehr haben. Deswegen bin ich persönlich zwar für ein Werbeverbot für entsprechende Organisationen oder Vereine. Die Informationen, wo man im Zweifel Hilfe bekommen kann, welche Ärzte unterstützen, die muss es aber geben. Da waren wir 2015 zu einschränkend.

Nicht von jedem Hausarzt kann man verlangen, dass er beim Suizid hilft.

Das Beste ist, wenn man einen Hausarzt oder Hausärztin hat, der man vertraut und mit der man alles besprechen kann, was die eigene Gesundheit und das eigene Leben betrifft. Ob jemand bei einem Suizid hilft, bleibt aber eine Gewissensentscheidung.

Wenn der Entschluss steht, wendet man sich an professionelle Suizid-Helfer?

Wie eine flächendeckende Beratungsinfrastruktur aussehen könnte, dazu sind wir im Gespräch. Ich möchte jedenfalls nicht, dass die Hilfe zum Suizid am Ende leichter erreichbar wird als ein Tagespflegeplatz. Wir dürfen als Gesellschaft niemandem das Gefühl geben, überflüssig zu sein.

Es gibt derzeit drei unterschiedliche Entwürfe zu dieser Frage. Was ist der entscheidende Punkt, in dem sich Ihrer von den anderen abhebt?

Wir plädieren stark dafür, dass wir einer gesellschaftlichen Normalisierung vorbeugen müssen. Unser Ansatz: Wir verbleiben im Strafrecht. Den ursprünglichen Paragrafen 217, der die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid unter Strafe stellt, den belassen wir. Aber er wird ergänzt um einen weiteren Artikel, unter welchen Voraussetzungen Abweichungen von diesem grundsätzlichen Verbot möglich sind. Dazu beraten wir weiter.