Notfälle

Lawinen-Drama in Südtirol: Fünf Deutsche tot

Eine Bergtour an Allerheiligen wird zur Katastrophe: Den Abgang einer Lawine im Ortler-Gebirge überleben nur zwei Kletterer. Rätsel gibt auf, warum die Seilschaften so spät noch beim Aufstieg waren.

02.11.2025 UPDATE: 02.11.2025 04:58 Uhr 2 Minuten, 44 Sekunden
Nach dem Lawinenunglück in Südtirol
Über dem Ortlergebirge hingen am Wochenende dichte Wolken.

Sulden (dpa) - Bei einem der schlimmsten Lawinenunglücke der letzten Jahre in den Alpen sind fünf deutsche Bergsteiger ums Leben gekommen. Die beiden Frauen und drei Männer wurden an Allerheiligen unter dem Gipfel der 3.545 Meter hohen Vertainspitze in Südtirol von einer Schneelawine erfasst. Alle fünf konnten nur noch tot geborgen werden. Zwei Männer - ebenfalls Deutsche - überlebten das Unglück. Der Hergang ist noch unklar. Offen ist vor allem, warum die Seilschaften so spät am Nachmittag noch beim Aufstieg waren.

Unter den Todesopfern ist ein 17-jähriges Mädchen, das mit seinem Vater auf dem Weg nach oben war. Der Mann wurde ebenfalls getötet. Ihre beiden Leichen konnten erst am Sonntag geborgen werden. Die Suche hatte am Abend wegen der Dunkelheit unterbrochen werden müssen. Bei den drei anderen Todesopfern handelt es sich nach Angaben der Bergwacht um eine 21 Jahre alte Frau sowie zwei Männer von ebenfalls 21 beziehungsweise 58 Jahren. 

Zu ihrer Herkunft machten die italienischen Behörden zunächst keine Angaben. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu nur, die deutsche Botschaft in Rom arbeite "mit Hochdruck" daran, den Sachverhalt aufzuklären.

Bergwacht: Lawine vermutlich von oberster Seilschaft ausgelöst

Nach Angaben der Bergwacht waren die Deutschen unabhängig voneinander in drei Gruppen unterwegs - eine Dreier-Seilschaft und zwei Seilschaften jeweils zu zweit. Das Unglück ereignete sich der Bergwacht zufolge kurz vor 16.00 Uhr in der Nordwand unterhalb des Gipfels auf etwa 3.200 Metern Höhe. 

Vermutet wird, dass die Lawine von der Seilschaft ausgelöst wurde, die am weitesten oben war: dem Vater mit Tochter. Nach italienischen Medienberichten versuchten die beiden dann noch, die anderen Bergsteiger in der Wand mit Schreien zu warnen.

Rätselhaft war zunächst, warum die drei Gruppen kurz vor Einbruch der Dunkelheit noch aufstiegen. "Ich verstehe das auch nicht", sagte der Sprecher der Bergrettung Sulden, Olaf Reinstadler, der Deutschen Presse-Agentur. "Die haben extrem lang nach oben gebraucht. Wenn man so spät am Nachmittag noch beim Aufstieg ist, wird das um diese Jahreszeit sehr schwierig. Der Abstieg hätte dann bis in die Nacht gedauert."

Die Bergsteiger hatten sich bereits am Morgen auf den Weg gemacht. Skier hatten sie nach Auskunft der Bergwacht keine dabei.

Aufstieg gilt als lang und anstrengend

Der Aufstieg zur Vertainspitze im Ortler-Gebirge gilt als lang und anstrengend, aber technisch nicht besonders schwierig. Am Wochenende hingen in den Bergen dichte Wolken. Die Lawine ging herunter, als es fast schon zu dämmern begann. Nach Auskunft der Bergrettung bestand keine besonders große Lawinengefahr. Reinstadler sagte, möglicherweise habe sich die Lawine infolge starker Verwehungen gelöst, weil Neuschnee noch nicht ausreichend mit dem Untergrund verbunden gewesen sei. 

In der Region fiel vor einigen Tagen der erste Neuschnee der Saison. Tagsüber sind die Temperaturen dort für die Jahreszeit noch recht hoch. Nachts ist es in der Höhe schon sehr kalt. Die beiden Überlebenden wurden noch am Samstag mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus nach Bozen gebracht. Sie hatten nach dem Unglück Alarm geschlagen und die Bergrettung informiert. Lebensgefahr besteht für sie nicht.

Praktisch kaum ein Entkommen

Die Vertainspitze oberhalb von Sulden ist wegen ihrer Rundumsicht aus mehr als 3.500 Metern Höhe ein viel bestiegener Gipfel. Ihre Nordwand gilt als "hochalpine Eistour", für die Seil und eine komplette Ausrüstung fürs Eisklettern erforderlich sind. Die Lawine löste sich nach bisherigen Erkenntnissen etwa hundert Meter unter dem Gipfel. Die Deutschen wurden davon offensichtlich völlig überrascht. Für die Kletterer, die an dieser Stelle mit Steigeisen und Eispickeln unterwegs waren, gab es praktisch kaum ein Entkommen.

Das Unglück gehört zu den schlimmsten in den Alpen der vergangenen Jahre. Im Juli 2022 kamen bei einem Gletscherabbruch an der Marmolata in den Dolomiten elf Bergsteiger aus Italien und Tschechien ums Leben. Sie wurden von einer Eis- und Felslawine begraben. Damals wurden zwei Deutsche verletzt. Als Hauptursache für das Unglück wurden hohe Temperaturen genannt, die zu einer Wasserschicht unter dem Gletscher führten.

Hundert Tote allein in diesem Sommer

Südtirol gehört rund ums Jahr unter deutschen Urlaubern zu den besonders beliebten Gebieten. Höchster Berg der Region ist der Ortler mit 3.905 Metern. In den italienischen Alpen kamen in diesem Sommer nach Angaben der Bergrettung bis Ende August etwa hundert Menschen ums Leben. Im Vergleich zu früheren Jahren sind seit einiger Zeit deutlich mehr Bergsteiger in den Dolomiten und den anderen Gebirgen unterwegs. Häufige Ursachen für Unfälle sind mangelnde Vorbereitung und Unerfahrenheit.

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