Claudia Roth im RNZ-Interview: "Man sollte sich vor die Sportler stellen"

Grünen-Parteichefin Claudia Roth fordert politische Signale, aber keinen Olympia-Boykott - In NSA-Affäre: Rückendeckung für Steinmeier

12.08.2013 UPDATE: 12.08.2013 06:00 Uhr 3 Minuten, 23 Sekunden
Von Sören S. Sgries

Mannheim. Erst diskutierte Grünen-Chefin Claudia Roth (Foto: dpa) mit ihrem Mannheimer Parteifreund Gerhard Schick vor rund 200 Gästen über Minderheitenrechte, dann zeigte sie auf dem Christopher Street Day (CSD) in Mannheim Flagge für die Schwulenrechte. Im Interview kritisiert Roth die russische Anti-Homo-Politik und spricht auch über Konsequenzen aus der NSA-Affäre.

Sie sind in der Region, um sich solidarisch zu zeigen mit den Schwulen und Lesben beim CSD. Ist solche Unterstützung immer noch wichtig und notwendig?

Ja. Wir haben ganz viel erreicht, aber wir wollen nicht nur ein bisschen gleiche Rechte in unserer Demokratie, nicht nur ein bisschen Würde. Frau Merkel hat sich immer nur dann bewegt, wenn das Bundesverfassungsgericht die entsprechenden Vorgaben gemacht hat. Doch immer noch werden Einschränkungen aufrechterhalten. Immer noch sitzt die Union in ihren borniert-reaktionären Schützengräben und will verhindern, dass die Gleichstellung - beispielsweise beim Adoptionsrecht - kommt.

Harte Worte in einem insgesamt doch aufgeschlossenen Land: Für die Teilnahme an der gleichen Veranstaltung würden Sie in Russland im Gefängnis landen.

Ja, würde ich. Aber ich würde trotzdem hingehen. Menschenrechte sind nicht innere Angelegenheiten, sondern sind universell zu verteidigen.

2014 stehen die Olympischen Winterspiele in Sotschi an. Wie muss man da reagieren?

Es muss von deutscher politischer und sportpolitischer Seite die klare Haltung eingenommen werden, dass eine Diskriminierung wegen der sexuellen Identität nicht akzeptiert wird. Nicht bei den Olympischen Spielen und auch sonst nicht. Es kann doch nicht sein, dass schwule Sportler und Besucher in Russland Angst haben müssen, dass sie abgeführt werden. Ich erwarte, dass der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, Thomas Bach, dagegen hält - ebenso wie der Innenminister oder der Außenminister. Die olympischen Gremien müssen jetzt klar machen, wie sie den Schutz von homosexuellen Besuchern und Sportlern sicherstellen wollen.

Ist ein Olympia-Boykott eine Option?

Da ist immer die Frage, wem ein Boykott nützt. Sportler, die sich jahrelang auf dieses Ereignis vorbereitet haben, leiden darunter. Ich finde eher, man sollte hingehen zu solchen Großereignissen und sich sehr deutlich vor schwule und lesbische Sportler und Sportlerinnen stellen. Sport ist kein politikfreier Raum. 

Nächstes Thema: Diesen Montag wird Kanzleramtsminister Ronald Pofalla wieder vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium erscheinen müssen. Ist weitere Aufklärung zu erwarten?

Bisher musste die Merkel-Regierung scheibchenweise dazu getrieben werden. Jetzt versucht Merkel, den Schwarzen Peter Frank-Walter Steinmeier zuzuschieben. Aber nach den Anschlägen von 9/11 eine Geheimdienstzusammenarbeit zu vereinbaren und mit einem klaren Verdacht Daten auszutauschen, ist etwas grundsätzlich anderes, als wenn 80 Millionen Menschen permanent ausgespäht und unter Generalverdacht gestellt werden. Die Bundesregierung versucht, abzulenken. Wenn sie davon nichts wusste, macht Frau Merkel keinen guten Job. Und wenn sie es wusste, hat sie dazu beigetragen, dass in Deutschland systematischer Rechtsbruch betrieben worden ist.

Peer Steinbrück hat anklingen lassen, die Kanzlerin habe eventuell ihren Amtseid verletzt. Teilen Sie diesen Vorwurf?

Mit den Dimensionen dieses Skandals fängt der Boden unserer Demokratie an zu wackeln. Da erwarte ich auch von Frau Merkel, dass sie nicht nur ihr Talent als Gärtnerin beweist und versucht, Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Momentan deutet sich an, dass die ersten Vermutungen, die ersten Zahlen sehr hochgespielt waren.

Es wird versucht, das so anzudeuten. Aber selbst wenn es nur ein Bruchteil der Kommunikationsdaten waren, die überwacht wurden, dann wird das Recht auf informelle Selbstbestimmung in Frage gestellt. In einer Demokratie mit ihrem Grundprinzip der Freiheit kann es keine absolute Sicherheit geben. Und in einer Demokratie darf auch der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Generalschlüssel benutzt werden, um alle Rechte mit Füßen zu treten. 

Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) warf den Bürger zu sorglosen Umgang mit ihren Daten bei Facebook, Google und Co. vor. Haben wir selbst Schuld?

Das wäre in etwa so, wie zu sagen, wer nachts durch eine dunkle Straße läuft, ist selbst schuld, überfallen zu werden. Es ist selbstverständlich die Aufgabe eines demokratischen Staates, die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Natürlich muss ich mit jeder Kommunikation aufpassen, aber gerade auch im Internet müssen die Grundrechte geschützt werden.

Sie haben schon Steinmeier in Schutz genommen. Die Kritik von Seiten der Linken teilen Sie also nicht?

Teile der Linken haben so etwas wie einen Pawlowschen Reflex: Immer soll Rot-Grün irgendwie schuld sein. Dafür gibt die Linke dann auch einmal den willigen Helfer von Schwarz-Gelb. Kritikpunkte an Frank-Walter Steinmeier gibt es sicher auch - ich kritisiere etwa den Umgang mit dem Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz, ein dunkles deutsches Kapitel. Aber jetzt zu sagen, Steinmeier sei der größte Heuchler und habe alles eingeleitet, das ist eine Unverschämtheit. Das sagt übrigens auch Christian Ströbele, ein Mann, der in den entsprechenden Gremien sitzt, der sich wirklich auskennt - und der sich ganz sicher nie mit Kritik zurückhält. 

Rot-Rot-Grün - als Koalition, als tolerierte Minderheitenregierung - ist damit undenkbar?

Vor allem ist eines denkbar, und das ist Rot-Grün. An diesem Ziel halten wir klar fest, auch wenn jetzt andere gerne über Koalitionen spekulieren. Aber wir sind wie keine andere Partei eine Partei der Inhalte. Wir sitzen nicht in irgendwelchen Schützengräben oder fühlen uns als der geborene Juniorpartner, sondern wir orientieren uns daran, mit wem wir unsere Inhalte am besten durchsetzen können.

Ausgeschlossen wird nichts?

Selbstverständlich reden wir mit allen, aber wir setzen eindeutig und ganz klar auf Rot-Grün. Und: Sich von Herrn Gysi tolerieren zu lassen, wäre nun wirklich keine Grundlage für eine stabile Politik.