Innenminister Reinhold Gall. Foto: dpa
Von Alexander Albrecht und Julie Dutkowski
Heidelberg. Die deutsche Fußball-Nationalelf spielt am Freitag im EM-Viertelfinale gegen Griechenland. Zehntausende Fans fiebern und feiern beim Public Viewing mit Jogis Jungs. Innenminister Reinhold Gall sagt im Interview, was er von diesen Massenveranstaltungen in Baden-Württemberg hält und mahnt Teilnehmer an Autokorsos zur Vorsicht.
Deutschland ist im EM-Fieber. Der Friedrichspark in Mannheim hat regelmäßig 5000 Zuschauer beim Public Viewing. Auf dem Fandorf in Heilbronn werden heute Abend bis zu 20.000 Fans erwartet. Wie sicher ist Public Viewing im Land?
Public Viewing ist grundsätzlich sicher. Wir hatten seit der WM 2006 etwa 633 solcher Veranstaltungen im Land und stellen erfreulicherweise fest: Es geht überwiegend friedlich zu. Das heißt natürlich nicht, dass gar nichts passiert.
Wie sieht Ihre bisherige EM-Bilanz aus?
Die Polizei hat einige Straftaten, die häufig unter Alkohol begangen wurden, festgestellt und auch Menschen festgenommen. Auch bei Autokorsos.
Was ist da bislang passiert?
Seit Beginn der EM gab es mehrere Hundert Autokorsos landesweit. Deshalb habe ich darauf hingewiesen, dass von ihnen eine erhebliche Gefährdung ausgeht. Wir hatten in dem Zusammenhang bisher mindestens fünf Schwerverletzte.
Autokorsos wird man nicht verbieten können. Inwieweit kann die Polizei Kontrollen personell schultern?
Personell ist die Fußball-EM für die Polizei eine immense Herausforderung. Wir hatten allein bei den Veranstaltungen am vergangenen Wochenende mehr als 2200 Polizeikräfte im Einsatz mit fast 10.000 Einsatzstunden. Die Polizei ist aber nur begrenzt belastbar. Deshalb appelliere ich an die Teilnehmer von Autokorsos, bestimmte waghalsige und rücksichtslose Aktionen zu überdenken. Ich halte es für falsch, im Siegestaumel ganze Straßen zu blockieren.
Sorge bereitet Ihnen auch die Situation in den deutschen Stadien. Beim Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin stürmten Hunderte Fans noch vor dem Abpfiff das Spielfeld, in Karlsruhe kam es nach der Partie gegen Regensburg zu schweren Ausschreitungen. Sind die Fußball-Tempel noch sicher?
Die Stadien sind grundsätzlich sicher. Aber es kann gefährlich werden, wenn Pyrotechnik angezündet wird. Die Stadien sind überdacht und die Raketen kommen alle wieder runter - schneller als an Silvester. Viele Zuschauer tragen heutzutage Trikots aus Kunststoff, die schnell entflammbar sind. In der Menge kann das brenzlig werden.
Trotzdem wird immer wieder Pyrotechnik in die Stadien geschleust. Sind die Ordnungsdienste überfordert oder ist hier die Polizei gefragt?
Die Polizei ist enorm viel unterwegs, Krawalle gibt es mittlerweile sogar in der fünften Liga. Wir haben in der vergangenen Saison fast 21.000 Beamte in den Stadien eingesetzt, mehr kann die Polizei nicht leisten. Sie führt Gespräche mit den Ordnungsämtern und den Vereinen, und entwickelt Strategien. Ich finde, wir sind da gut aufgestellt.
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Ich würde beim Einsatz der Ordner ansetzen und überprüfen: Wie sind diese geschult? Wie agieren sie? Welche Aufgaben haben sie? Außerdem würde ich Pyrotechnik in den Stadien verbieten. Da war der Deutsche Fußball Bund zu großzügig und hat versucht, mit Fangruppen eine Vereinbarung zu treffen. Und bei der aktuellen Lizenzvergabe bittet bereits mancher Verein um eine Ausnahmegenehmigung bei der Einhaltung von Sicherheitsstandards. Meine Polizeiexperten und ich werden uns daher noch vor den Sommerferien mit den Verantwortlichen für die Stadien zusammensetzen.
Was erhoffen Sie sich von diesem Sicherheitsgipfel?
Ich möchte herausarbeiten, was die Verantwortlichen selbst dazu beitragen können, um die Sicherheit in den Stadien zu erhöhen. Da geht es um Zugangskontrollen, um das Verbot von Pyrotechnik und die Bereitschaft, Stadionverbote konsequent durchzusetzen. Wenn rund 11.000 Prüfverfahren von der Polizei eingeleitet wurden und nicht mal 1000 Verbote ausgesprochen werden, dann stimmt da wohl etwas nicht. Bei 14.000 gewaltbereiten Fans in Deutschland, davon etwa 1400 in Baden-Württemberg, sollten die Sportfunktionäre mehr auf die Polizei hören.
Die Polizeieinsätze bei Fußballspielen verschlingen sehr viel Geld. Sollte man Vereine an den Kosten beteiligen?
Wenn wir uns bundesweit auf eine Regelung verständigen könnten, wäre ich sofort dabei. Aber wo Borussia Dortmund oder der FC St. Pauli zuhause sind, ist das ein hoffnungsloses Unterfangen. Abgesehen davon: Wo ist denn eine Grenze zu ziehen? Wenn ich den SSV Ulm oder Heidenheim mit den Kosten der Polizeieinsätze belaste, können diese Vereine ihre Lizenz gleich zurückgeben. Und aus dem Ärmel heraus zu sagen, nur der VfB Stuttgart, der SC Freiburg oder der Karlsruher SC sollen für die Einsätze aufkommen, das geht auch nicht. Es muss auch rechtssicher sein, was wir da tun. Ich appelliere daher an die Profiligen, mehr in präventive Projekt zu investieren als bisher. Die Länderinnenminister haben jüngst zusammen mit dem Bundesinnenminister den Deutschen Fußball Bund an seine Verantwortung erinnert. Wir erwarten ganz klar, dass sich Vereine und der Verband hier mehr engagieren. Ansonsten werden wir überdenken, ob es überhaupt Aufgabe der Länder ist, gegen Fußballkrawalle vorbeugend zu wirken.
Kürzlich sagten Sie, dass Baden-Württemberg in Sachen Fußball und Sicherheit auf einem "Abstiegsplatz" liegt. Das klingt nicht beruhigend.
Deshalb habe ich ja schon reagiert und auf der jüngsten Versammlung des Württembergischen Fußballverbandes entsprechende Maßnahmen angemahnt. In der abgelaufenen Runde haben die Missstände eskaliert. Die Zahl der verletzten Zuschauer hat sich verdoppelt und die Zahl der verletzten Polizisten sogar mehr als verdreifacht. Es kann nicht sein, dass sich Fans dann bei uns über zu geringe Freiräume beklagen.