"Der Emanzipation in Israel droht Gefahr"

Die Kriminalisierung von Sexualdelikten schreitet voran, doch verdrängen orthodoxe Gruppen Frauen zunehmend aus der Öffentlichkeit

08.12.2011 UPDATE: 08.12.2011 09:02 Uhr 1 Minute, 25 Sekunden
Von Gil Yaron, RNZ Jerusalem

Jerusalem. So richtig freute sich niemand, als Mosche Katsav (Foto: dpa) am Mittwoch um 10.08 Uhr hinter den hohen Mauern des Maasiyahugefängnisses verschwand. "Es ist das traurige Ende eines Lebenswegs, der vom Aufnahmelager ins höchste Amt im Staat führte", kommentierte Oppositionsführerin Tzippi Livni den Werdegang Katsavs, der als Kind verarmter Einwanderer aus dem Iran ins Land gekommen war. Dennoch sah sie wie die meisten israelischen Kommentatoren Katsavs siebenjährige Haftstrafe als Beweis dafür, dass in Israel alle vor dem Gesetz gleich seien: "Dieser Tag gibt denjenigen Hoffnung, die ein Israel frei von Korruption und Verbrechen sehen wollen", so Livni. Israels Frauenbewegung deute die Verurteilung Katsavs wegen Vergewaltigung als moralischen Sieg: "Alle Menschen mit Macht müssen jetzt innehalten. Der einzige legitime Pfad widersetzt sich sexueller Ausbeutung, Vergewaltigung, dem Missbrauch von Autorität", sagte Livni.

Augenscheinlich errang die Frauenbewegung in Israel tatsächlich große Erfolge. Neben Livni als Oppositionsführerin wurde die Journalistin Schelly Jehimovicz an die Spitze der Arbeiterpartei gewählt. Die Richterin Dorit Beinisch hat den Vorsitz im höchsten Gerichtshof, unlängst wurde erstmals eine Generalin ernannt. In der Kriminalisierung von Sexualdelikten habe Israel "in den vergangenen Jahren bedeutende Fortschritte gemacht", konstatiert Mordechai Kremnitzer vom Israelischen Institut für Demokratie. War es einst Usus, Sekretärinnen zu begrapschen, können Küsschen inzwischen Ministerkarrieren beenden. Doch Kremnitzer ist besorgt: "Der Emanzipation droht Gefahr."

Religiöse Schulen trennen Jungen und Mädchen bereits in der ersten Klasse. In Jerusalem versuchen Transportunternehmen, Männer und Frauen in Bussen zu trennen. Zu den religiösen Feiertagen im Herbst verlangten religiöse Randgruppen getrennte Bürgersteige in Jerusalem. Der Rabbiner Uri Ayalon startete eine Medienkampagne, als er bemerkte, dass Frauen aus dem Stadtbild Jerusalems verschwinden. Dass Unternehmen in der Heiligen Stadt nicht mit Postern spärlich bekleideter Frauen Werbung machen, ist nicht neu. Doch inzwischen werden selbst sittsame Werbekampagnen umgemünzt und Frauen mit neutralen Gegenständen ersetzt.

Experten wähnen zwei widersprüchliche Ursachen hinter diesem Trend. Rabbiner Ayalon sieht "die Ultra-Orthodoxie in einer Identitätskrise. Internet, der Arbeitsmarkt und Medien setzen die Jugend fremden Einflüssen aus, vor denen die Eltern sie abschirmen wollen. Ihre Schwäche macht sie militanter", so Ayalon. Kremnitzer hingegen erkennt einen Machtzuwachs der Orthodoxen: "In der Koalition Benjamin Netanjahus haben sie so viel Einfluss wie noch nie."