Auf taube Ohren

Die Wirtschaftsweisen legen ihr Gutachten vor - Die Politik reagiert nicht gerade begeistert

14.11.2013 UPDATE: 14.11.2013 07:45 Uhr 1 Minute, 30 Sekunden
Wirtschaftsweise vor leicht konsterniertem Kabinett: Christoph Schmid und seine Kollegen warnen Bundeskanzlerin Merkel vor Mindestlöhnen, Mietpreisbremse und einem künstlich aufgebauschten Investitionsbedarf. Foto: dpa
Von Christoph Slangen, RNZ Berlin

Berlin. Der Chef der Wirtschaftsweisen klingt wie ein strenger Lehrer: "Mit Umverteilen und Ausruhen auf Erfolgen wird es nicht getan sein", sagt Christoph Schmidt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Adressat der Mahnung: Die schwarz-roten Koalitionsunterhändler. Mindestlohn, Mietpreisbremse, milliardenteure Rentenversprechen - was sich in den Koalitionsverhandlungen zusammenbraut, ist den Top-Ökonomen der Republik höchst suspekt.

Noch nicht in trockenen Tüchern, kassiert die potenzielle Koalition bereits Zeugnisnote mangelhaft vom geballten wirtschaftlichen Sachverstand. Das 503-seitige Jahresgutachten unter dem Titel "Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik" wurde gestern vor der Hauptstadtpresse in Berlin präsentiert. Zuvor hatten die Wirtschaftsweisen es der Kanzlerin überreicht. Die reagierte aus Schmidts Sicht "sehr gelassen und souverän". Angela Merkel sagte: "Wir werden die Hinweise ernst nehmen." Sie kämen zum richtigen Zeitpunkt, aber nicht alle Hinweise könne man eins zu eins umsetzen.

Eigentlich sehen die Wirtschaftsweisen die ökonomische Lage des Landes durchaus positiv: Immerhin 0,4 Prozent Wachstum in diesem Jahr und 1,6 Prozent im kommenden prognostizieren sie. Ein "lang angelegter Konjunkturaufschwung" scheine zu kommen. Doch die Politik könne die gute Wettbewerbsposition Deutschlands verspielen, so die Sorge. "Reformen zu verwässern oder zurückzudrehen" sei das falsche Rezept. Die Agenda-Reformen hätten den Arbeitsmarkt fit gemacht - mit einem flächendeckenden Mindestlohn gehe man ein großes Risiko ein: "Leichtfertig" würden Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt, vor allem in den neuen Ländern. Vier der fünf Wirtschaftsweisen sehen das so. Peter Bofinger von der Uni Würzburg jedoch hat ein Minderheitsvotum abgegeben und die Präsentation des Gutachtens vor der Bundespressekonferenz wird zeitweilig zum professoralen Streitgespräch in puncto Mindestlohn. Die geplante Mietpreisbremse lehnen alle Wirtschaftsweisen ab - so könne man die mangelnde Nachfrage nicht befriedigen, sondern vergraule Investoren, lautet die Analyse.

Auch der Forderung nach höheren Steuern erteilen die Sachverständigen eine Absage. Professor Lars Feld von der Uni Freiburg argumentiert, dass es zwar durchaus Investitionsbedarf etwa in die Infrastruktur gebe. Doch werde mit "viel zu hohen Zahlen" operiert. Längst nicht jede Schule oder jedes Bürgerhaus müsse renoviert werden - angesichts der demografischen Entwicklung müsse es stattdessen auch einen "gewissen Rückbau" geben.

So fallen Vorhaben der schwarz-roten Unterhändler, die vor allem auf SPD-Wahlversprechen zurückgehen, bei der Elite der Top-Ökonomen mehrheitlich durch. Kein Wunder, dass DGB-Chef Michael Sommer das Jahresgutachten als Ratschläge "aus der Mottenkiste des Frühkapitalismus" geißelte. Christoph Schmid sagt nüchtern: "Hoffen wir, dass wir gehört werden."