Von Jan Draeger
Beniamino Brogi – wer ist das? Möglicherweise haben Sie diesen Namen noch nicht gehört. Aber an diesem Sonntag werden Sie den 37-Jährigen aus der Toskana kennenlernen: Im Jubiläums-Tatort spielt er den Pizzeria-Besitzer Luca Modica, der von der kriminellen, kalabrischen ’Ndrangheta erpresst wird. Unserem Mitarbeiter Jan Draeger erzählt Brogi von einem Fünf-Sekunden-Auftritt in einem Hollywood-Film – und wie er während der Kartoffel-Ernte die Zusage für den Tatort bekam.
Signore Brogi, den Tatort gibt es seit 50 Jahren. Und nach wie vor holt er jeden Sonntag viele Millionen Deutsche an die Fernseher. Gibt es etwas Vergleichbares in Italien?
Leider nicht. In Italien gibt es nur die Nationalmannschaft oder Gesangswettbewerbe, die dieses Potenzial haben. Aber weil der Tatort jeden Sonntag läuft, kann man das nicht vergleichen. Diese Krimiserie schafft es, den Alltag der Menschen in Deutschland zu begleiten. Übrigens gibt es seit einem Jahr auch Tatorte, die in Italien gesendet werden.
Sind italienische Fernseh-Kommissare anders als ihre deutschen Kollegen?
Die deutschen Tatort-Kommissare könnten unsere Nachbarn sein, einfach ganz normale Menschen. In Italien haben die Kommissare immer noch einen starken Helden-Charakter.
Sie leben seit fast 15 Jahren in Deutschland. Wo haben Sie Ihren ersten Tatort gesehen?
Durch den Tatort habe ich teilweise Deutsch gelernt. Einer meiner besten Freunde in Berlin lud mich damals jeden Sonntagabend ein. Wir waren immer sechs oder acht Leute. Erst wurde gekocht und dann Tatort geschaut.
Ein festes Ritual also.
Ja. Mir kam das damals seltsam vor. Ich fragte mich: Was kann an einer Krimiserie so besonders sein? Da das Essen aber immer sehr gut war, bin ich hingegangen. Wenn der Tatort begann, durfte nicht mehr geredet werden. Ich konnte damals kaum ein Wort deutsch. Deswegen musste ich mich voll konzentrieren, damit ich der Handlung folgen konnte. Dabei vergaß ich oft mein Essen auf dem Teller. Nur trinken war möglich, dabei konnte ich auf den Fernseher schauen. Am Ende war ich halb besoffen und hatte von dem Tatort kaum etwas verstanden. (lacht)
Und nun dürfen Sie selber in einem Tatort mitspielen. Wie kam es dazu?
Ich wurde von dem Casting-Direktor angefragt, bekam eine Szene vorgegeben und filmte mich selber dabei. Das war im Juli des vergangenen Jahres.
Und?
Zwei Wochen später – ich erntete gerade Kartoffeln im Garten meines Vaters in der Toskana – meldete sich meine Agentin und sagte: "Du hast die Rolle!"
Sie spielen den Pizzeria-Besitzer Luca Modica in Dortmund. In Ihrem Lebenslauf steht, dass Sie sowohl den sizilianischen als auch den toskanischen Dialekt beherrschen …
Meine Mutter ist in der Nähe von Palermo aufgewachsen. Mit meinen Großeltern ist sie dann aber Ende der 50er-Jahre in die Toskana ausgewandert. Ich spreche heute 100 Prozent toskanisch, kann aber den sizilianischen Dialekt verstehen.
Welchen Dialekt sprechen Sie im Tatort?
Einen kalabrischen Dialekt. Von dem ich aber fast nichts verstanden hätte, wenn ich nicht einen Coach genommen hätte, um den Text zu lernen.
Als Luca Modica müssen Sie sich in dem Tatort mit der Mafia, der ’Ndrangheta, einlassen…
Ich würde vorsichtig sein, ihn deshalb als böse zu bezeichnen. Diese Figur ist sehr vielfältig.
Deutsche spielen in Hollywood-Filmen nicht selten Nazis oder andere Böse, italienische Schauspieler werden im deutschen Fernsehen für das Mafia-Milieu eingesetzt. Machen es sich die Besetzungsbüros damit nicht etwas zu einfach?
Wir ausländische Schauspieler werden vielleicht eher als Kontrastmittel benutzt. Mir würde es gut gefallen, mal einen Nazi zu spielen. Oder ein Deutscher spielt einen Mafioso. Die Figuren müssen wirklich an die Werte der Bösen glauben, es darf keine Entschuldigungen geben.
Knallig gelbe Sportwagen und schöne Frauen – ist das nicht ein bisschen viel Klischee für Italiener auch in diesem Tatort?
Das Klischee wird nur angedeutet. Gut gefällt mir, dass die Organisierte Kriminalität sehr nüchtern dargestellt wird. Der Film erzählt die pure Wahrheit. Denn die Organisierte Kriminalität beschränkt die Freiheit, macht Familien kaputt. Wenn man sich mit ihr einlässt, ist es egal, ob man ein schönes Auto hat, letztendlich wird man ärmer an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.
Ist Ihnen die ’Ndrangheta mal in der Realität begegnet?
Nein. In der Toskana bewegt sich die Mafia ähnlich wie in Deutschland: Sie agiert unsichtbar, infiziert die Wirtschaft, kauft Immobilien. Manchmal hört man von einem Unternehmer, der festgenommen wurde, weil er etwas mit denen zu tun hatte. Oder eine Bar wurde geschlossen. Mit dem Handel von Kokain macht sie ihr Geld. Aber auch Geldwäsche und Schutzgeld-Erpressungen gehören zu ihrem Geschäft. Sie ist keine Gang, sondern ein Unternehmen, das weltweit tätig ist.
War das Ihre erste Mafia-Rolle in Deutschland?
Ja. Ich passe vom Aussehen her vielleicht nicht direkt ins Mafia-Milieu.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie Schauspieler wurden?
Der Wunsch war immer da. Aber anstatt mich mit 18 Jahren an einer Schauspielschule zu bewerben, fand ich es erst mal spannender, Theaterwissenschaft zu studieren und in einem Theater als Beleuchter zu arbeiten. Ich wollte alle Facetten dieser Branche genau kennenlernen.
Kommen Sie aus einem künstlerischen Elternhaus?
Nein. Mein Vater ist Therapeut und meine Mutter war Krankenschwester in der Psychiatrieabteilung. Meine Eltern haben mir früh beigebracht, dass es wichtig ist, sich nicht zu fragen was passiert, sondern warum etwas passiert. Geboren und aufgewachsen bin ich in einem kleinen Ort zwischen Florenz und Arezzo.
Heute leben Sie in Berlin …
Wenn man aus der Provinz kommt, hat man immer das Gefühl, das alles zu klein ist. In dem Song "Smalltown" von Lou Reed und John Cale heißt es frei übersetzt: "Das einzige Sichere, wenn du aus der Provinz kommst, ist, dass du davon weglaufen willst." Mit Anfang 20 war ich an dem Punkt, alles verändern zu wollen.
Und wie?
Ich dachte erst mal, ich studiere Schauspiel in Mailand oder Rom. Aber das wäre kein großer Sprung gewesen, eher ein Humpeln. Es ging mir nicht nur um einen Jobwechsel, sondern um etwas Größeres: eine andere Kultur kennenzulernen, auch eine andere Gesellschaft und eine andere Art sich auszudrücken.
Und dann haben Sie sich in Berlin am Europäischen Theater-Institut beworben?
Ja, es war Mai, schönes Wetter und alle waren gut drauf. Ich dachte: Das ist es!
Sie sprachen kein Deutsch. Wie sollte das mit dem Vorsprechen klappen?
Ich habe zwei Monologe auswendig gelernt. Freunde von mir nahmen das auf, damit ich es wieder und wieder anhören konnte. Ich fühlte mich wie ein Baby, das durch die Worte, die es hört, zu sprechen lernt.
Was haben Sie von dem Beruf des Schauspielers erwartet?
Viel Spaß und Freiheit. Aber auch die Möglichkeit, Menschen so tief wie möglich kennenlernen zu können. Beim Schauspiel geht es um den Menschen: Wie wir sind, wie wir uns ausdrücken und warum wir etwas machen. Und das zeigen wir, in dem wir eine Geschichte erzählen, mit der wir die Leute unterhalten oder zum Nachdenken anregen.
Wo wird man Sie nach dem Tatort sehen?
Nächstes Jahr kommt der Kinofilm "Die Geschichte meiner Frau" mit Lea Seydoux und Louis Garrel heraus. Ich spiele einen italienischen Offizier, einen nicht einfachen, aber guten Menschen. Gedreht hat ihn die Berlinale- Gewinnerin von 2017, die Ungarin Ildikó Enyedi.
2016 waren Sie bei der Hollywood-Produktion "The First Avenger: Civil War" mit Scarlett Johansson und Chris Evans dabei.
Das war ein ganz kurzer Auftritt: Ich spielte einen Reporter auf dem Potsdamer Platz in Berlin. Ich laufe nur vier, fünf Sekunden durchs Bild. Kein Projekt, wo ich mich mit einer Rolle auseinandergesetzt habe.
Aber ein Hauch von Hollywood?
Ich konnte sehen, wie man diesen großen Zirkus auf die Beine bringt. Hollywood wird, was Film betrifft, oft als Vorbild gesehen. Aber ich finde, dass auch der europäische Film oder Independent-Filme Vorbilder sein können.
Haben Sie ein schauspielerisches Vorbild?
Gian Maria Volonté. Er war in Italien ein bisschen das, was Bruno Ganz in Deutschland war. Ein alter Meister. Es gibt aber auch jüngere Kollegen, die ich in Deutschland bewundere. Wie Franz Rogowski und Albrecht Schuch. Da fühle ich mich mitgenommen.