Tulpen-Fieber

Die wichtigsten Fakten über die Blumenzwiebeln

Die Geschichte von Blumenzwiebeln, die so teuer wurden wie Villen in allerbester Lage

23.01.2018 UPDATE: 27.01.2018 06:00 Uhr 4 Minuten, 4 Sekunden
Fotos: thinkstock/Uni Leiden

Wenn das schnelle Geld winkt, bleibt der gesunde Menschenverstand ja gerne auf der Strecke. Aber wenn selbst Schweinehirten in höchstriskante spekulative Termingeschäfte investieren, dann hätte man es doch eigentlich kommen sehen müssen, das dicke Ende, oder? Das zumindest fragt sich der anonyme Autor der "Samenspraeck", einer Satire, die 1637 gleich nach dem Platzen der ersten Spekulationsblase der Neuzeit von dem Haarlemer Drucker Adriaen Roman verbreitet wurde.

Was war los? Die Preise für Tulpen waren damals innerhalb kürzester Zeit durch die Decke geschossen und schraubten sich in immer atemberaubendere Höhen. Auf dem Gipfel des Tulpenfiebers wurde für einzelne Blumenzwiebeln 10.000 Gulden geboten - der damalige Gegenwert der teuersten Villen in bester Amsterdamer Grachtenlage. Was sich wie ein Schildbürgerstreich anhört und zum Lehrstück über Börsencrashs, fehlgeleitete Marktentwicklungen, zügellose Finanzspekulationen und die Dummheit der Massen geworden ist, fing ganz harmlos an.

Hintergrund

Die Preisentwicklung der teuersten Tulpe aller Zeiten "Semper Augustus" laut dem zeitgenössischen Amsterdamer Chronisten Nicolaes van Wassenaer:

1623 kostete eine Zwiebel der seltenen "Semper Augustus" über 1000 Gulden. Zehn Jahre später war jede der Zwiebeln schon

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Die Preisentwicklung der teuersten Tulpe aller Zeiten "Semper Augustus" laut dem zeitgenössischen Amsterdamer Chronisten Nicolaes van Wassenaer:

1623 kostete eine Zwiebel der seltenen "Semper Augustus" über 1000 Gulden. Zehn Jahre später war jede der Zwiebeln schon 5500 Gulden wert. Und 1637 wurden für drei Zwiebeln zusammen atemberaubende 30.000 Gulden geboten.

Zum Vergleich: Das Jahresdurchschnittseinkommen lag damals in den Niederlanden bei 150 Gulden. 10.000 Gulden waren die teuersten Villen in bester Amsterdamer Grachtenlage wert, mitsamt eigenem Kutschenhaus und repräsentativem Garten.

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Im Abendland waren Tulpen lange unbekannt. Das änderte sich Mitte des 16. Jahrhunderts, als einige Zwiebeln über die Türkei nach Europa gelangten. Einer der ersten Europäer, der die exotischen Blumen zu Gesicht bekamen, war Charles de l’Écluse (später: Carolus Clusius), der niederländisch-flämische Hofbotaniker Maximilians II. in Wien. Dieser erforschte und kultivierte sie nicht nur, sondern verbreitete die Zwiebeln auch unter Gelehrten und ausgewählten Pflanzenliebhabern. Wäre es dabei geblieben, hätte der ganze Tulpenwahnsinn wahrscheinlich nie stattgefunden.

Doch nach der Rückkehr in seine Heimat pflanzte Charles de l’Écluse die Tulpen im ältesten botanischen Garten der Niederlande an, dem Hortus Academicus der Uni Leiden. Und die Tulpenzwiebeln fielen hier auf fruchtbaren Boden - in doppelter Hinsicht. "Für die Zucht war der angeschwemmte Boden bestens geeignet, der sich um Haarlem herum findet", meint die walisische Gartenexpertin Anna Pavord. Aber nicht nur das: Die Niederländer begeisterten sich für die neuen Blumen so sehr, dass die Tulpen (zusammen mit den damals ebenfalls neuen Hyanzinthen und Narzissen) ein ganz neues Zeitalter der Gartenkunst einleiteten, die "Orientalische Periode".

Nun sprach sich die Schönheit und Exklusivität der Blumen in den gesamten Niederlanden herum - und weckte Begehrlichkeiten. Bald schon waren es nicht mehr nur Gelehrte und Liebhaber, die die Tulpenzwiebeln tauschten, auch Aristokraten und gut betuchte Bürger wollten sich mit den exquisiten Blumen schmücken.

Doch es gab ein Problem: Tulpen sind eigensinnig, sie lassen sich nicht auf die Schnelle vervielfachen. Der zügigste Weg ist die vegetative Vermehrung über sogenannte Tochterzwiebeln, und selbst die nimmt mehrere Monate in Anspruch. Zudem gelten Tulpenzwiebeln als recht fäulnisanfällig. Mit anderen Worten: Die Nachfrage überstieg bald das Angebot. "So viele fragen danach", beschwerte sich Carolus Clusius in einem Brief an seinen Freund Justus Lipsius, "dass ich all meiner Schätze beraubt wäre, wollte ich jeder Anfrage nachkommen." So gab Clusius dann auch längst nicht alle seine Kostbarkeiten freiwillig ab. Wiederholt suchten Diebe seine Beete heim und stahlen alles, was ihnen in die Hände fiel.

Der erste Tulpenexperte: Charles de l’Écluse, der niederländisch-flämische Hofbotaniker Maximilians II. in Wien. Das Porträt hat wahrscheinlich Jacob de Monte gemalt.​ Foto: dpa

Im Laufe der Jahre versuchten sich aber auch immer mehr Züchter an den begehrten Exoten, und immer öfter entstanden so neue interessante Sorten. Doch ausgerechnet die besonders beliebten gestreiften Blüten wollten sich nicht so einfach reproduzieren lassen - ihre Musterung wird durch einen von der Blattlaus übertragenen Virus verursacht - was aber erst im 20. Jahrhundert herausgefunden wurde.

Um 1630 gab es in den Niederlanden berufsmäßige Blumenzüchter, aber die wenigsten produzierten im großen Stil. Die Preise zogen an - und es kam, wie es kommen musste: Angesichts des knappen Angebots und der hohen Nachfrage witterten Spekulanten das schnelle Geld. Sie boten die Tulpenzwiebeln, die erst in der nächsten Saison geerntet werden konnten, schon im Voraus zum Kauf an. Ja, man konnte sogar Anteile an einzelnen besonders seltenen Exemplaren erwerben.

Natürlich war das Ganze hochspekulativ, schließlich wusste ja niemand, ob sich die Zwiebeln auch wirklich wie erwartet entwickeln oder in der Erde einfach verfaulen würden. In die Hände spielte den Spekulanten allerdings, dass die Niederlande damals eines der reichsten Länder der Welt waren. Das Geld lag also praktisch auf der Straße. Und so trat das Tulpen-Fieber Anfang Dezember 1634 in seine heiße Phase ein. Denn es genügte nicht mehr nur, auf schöne exotische Blumen zu spekulieren. Nun wurden die Zwiebeln nach Gewicht verkauft - eine Wette auf Wachstum im doppelten Sinne. Die neue "Anlagestrategie" sprach sich rasch herum. "Wer nur irgendwie konnte, investierte in Tulpenzwiebeln. Viele riskierten mangels Startkapital ihren Besitz", meint der britische Historiker Mike Dash. In den zeitgenössischen Flugblättern werden Weber erwähnt, die sogar ihre Webstühle verpfändeten, um mit Tulpenzwiebeln spekulieren zu können. Kein Wunder also, dass die Preise förmlich explodierten.

Der absolute Höhepunkt des Tulpenfiebers lässt sich exakt datieren: Es war der 5. Februar 1637. An diesem Tag kamen in Alkmaar die Tulpenzwiebeln des verstorbenen reichen Schankwirtes Wouter Winkels unter den Hammer, der eine der bekanntesten und besten Sammlungen der gesamten Niederlande zusammengetragen hatte. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil der Winkelschen Zwiebeln: Es gab sie wirklich und nicht nur auf dem Papier. Kein Wunder also, dass es für die angereisten Spekulanten, Händler, Floristen und Züchter kein Halten mehr gab: Jeder wollte die besten Stücke haben und so überboten sie sich allesamt gegenseitig. Die teuersten Zwiebeln der Auktion, zwei "Viceroys", gingen für 4203 Gulden und 3000 Gulden über den Tisch, eine "Admiral van Enckhuizen" aus der Sammlung brachte es vorab schon auf 5200 Gulden. Insgesamt fanden auf der Versteigerung 99 Posten Tulpenzwiebeln für zusammen 90.000 Gulden einen Käufer.

Angesichts derartiger Summen dämmerte es aber schon so manchem Anwesenden, dass sich die Preisspirale nicht ewig in die Höhe drehen wird. Wobei das böse Erwachen dann allerdings schneller kam als erwartet: Schon auf der nächsten großen Auktion in Haarlem fand nicht eine einzige der teuren Zwiebeln einen Käufer. Aus der anfänglichen Sorge der Verkäufer wurde schnell Angst, rasch machte sich Panik breit. "Es dauerte nur wenige Tage", meint Mike Dash, "bis diese Panik auf den Rest der Niederlande übergesprungen war". Jeder wollte nur noch schnell verkaufen, verkaufen, verkaufen.

Die Preise fielen ins Bodenlose, teilweise um 95 Prozent. Käufer weigerten sich, die Ware abzunehmen und zu bezahlen. Die Behörden unternehmen alles, damit sich die zerstrittenen Parteien außergerichtlich einigen konnten, dennoch mussten sich die Gerichte noch über Jahre hinweg mit den Folgen der geplatzten Spekulationsblase befassen. Einige der Spekulanten, wie etwa der bekannte Landschaftsmaler Jan van Goyen, wurden durch das Tulpenfieber ruiniert, andere kamen noch einmal mit einem blauen Auge davon. Unterm Strich aber ist den Niederländern ihre Liebe zur Tulpe geblieben. Heute sind sie in der Tulpenproduktion mit einem Anteil von über 80 Prozent unangefochtener Weltmarktführer.