Kolumne "Netzfischer"

Die Welt ist ein Stammtisch

Über die Debattenkultur und den Rechtsruck im Internet

27.07.2017 UPDATE: 23.09.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 5 Sekunden

Von Reinhard Lask

Der Umgangston im Netz sei unterirdisch, beklagen derzeit viele. Ein Rechtsruck sei zu spüren, sagen andere. Beides ist richtig, aber warum ist das so? Das Erste hat mit dem Zweiten zu tun. In den Anfangszeiten des Internets war der Umgangston im Prinzip auch nicht so viel besser. Da wurde gepöbelt, beschimpft und massiv getrollt, also eine Diskussion nur geführt, um zu provozieren. Da man in Netz anonym schreiben kann, schreibt man auch Dinge, die man keinem ins Gesicht sagen würde.

Mitte der 90er Jahre tummelten sich meist technikbegeisterte Männer im Netz. Mit der Erweiterung des Internets um Social-Media-Plattformen und mit der Etablierung von Smartphones erweiterte sich das Publikum: Das Internet wurde zum "Jedermann-Netz". Gerade auf Facebook sind der Hochschulprofessor und der Schulabbrecher nur einen Klick voneinander entfernt und können miteinander reden. Die ganze Welt trifft zusammen - logisch, dass es da auch rummst. Und es rummst andauernd.

Der Vorteil am "sozialen Netz" ist, dass man innerhalb von Sekunden mit Menschen in Kontakt kommt, die "am anderen Ende der Welt" sitzen. Geographisch - aber auch politisch. Damit sind wir beim Rechtsruck. Denn ob es einen "Rechtsruck" gibt, ist fraglich. Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Wenn Rechtsruck meint, dass es immer mehr Menschen gibt, die so denken, ist das vermutlich so nicht richtig. Umfragen zur politischen Einstellung zeigen seit Jahrzehnten einen stabilen Anteil von Bürgern, die zum Beispiel eine klar ausländerfeindliche Einstellung haben. Das Potenzial schwankt da um die 15 Prozent.

Nun gibt es aber auch einen Effekt, der mit dem Internet zu tun hat: Diese Menschen werden nun sichtbar und treffen in den sozialen Medien aufeinander.

Das "Netz 2.0", in dem jeder Texte, Fotos oder Videos verbreiten kann, war lange eine Art Freiraum. Zwar sind Hass-Kommentare, Diffamierungen, Beleidigungen so alt wie das Netz selbst, doch es dauerte Jahre, bis die Einsicht reifte, dass es Moderatoren braucht und Gesetze auch im Netz durchgesetzt werden müssen. Was da im Netz passierte, hatte anfangs nur jene beschäftigt, die auch dabei waren. Wer im Internet beleidigt wurde und das nicht mitbekam, den hat es nicht gestört. So war es bis etwa 2005. Danach traten die sozialen Medien ihren Siegeszug an.

Heute ist man ohne Smartphone ein Exot. Wer sich nicht per Whats App verabredet, auf Facebook oder Instagram postet, ist gerade als Jugendlicher schon sehr out. Doch selbst die Generation 50 plus ist im Netz aktiv, informiert sich, kommentiert - und streitet. Dabei kann man feststellen, dass es nicht vom Alter abhängt, ob jemand beim Kommentieren höflich ist oder pöbelt.

Doch zurück zum "Rechtsruck": Mit der Vernetzung ist leider nicht das eingetreten, was sich Netz-Utopisten erhofft hatten: Es scheint keine aufgeklärtere, schrankenlose Öffentlichkeit zu geben, sondern immer mehr "Filterblasen", also Gruppen, die sich im Netz von anderen abschotten. Hierdurch erklärt sich auch der vermeintliche "Rechtsruck": Wer früher Gleichgesinnte suchte, musste herausfinden, wo man sich traf, musste auch physisch dort erscheinen.

Anders gesagt: Seinen Stammtisch findet man heute im Netz, nicht mehr (nur) in der Kneipe. Dieser Stammtisch bringt alle möglichen Interessen zusammen - und eben nicht nur die politisch und sozial ausgewogenen. Sondern auch rassistische, pädophile und extreme. Das ist die Schattenseite der Vernetzung: Sie bringt alle zusammen, die vorher "allein" waren - und schafft neue Gruppengefühle. Gemeinsam bekommt man plötzlich eine Stimme, die nicht mehr nur am Stammtisch in der Eckkneipe hörbar ist, sondern überall.

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