Ticken Sie richtig? - Die Sekunde muss neu definiert werden

Alles, was wir bisher an der Wand hängen hatten oder am Arm trugen, ist zu ungenau. Wir brauchen eine optische Uhr, die in 14 Milliarden Jahren nur eine Sekunde falsch geht. Wen interessiert das, werden Sie fragen. RNZ-Autor Christian Satorius zum Beispiel.

29.03.2014 UPDATE: 29.03.2014 05:00 Uhr 3 Minuten, 3 Sekunden
Von Christian Satorius

Wie lange dauert eine Sekunde? Kommt drauf an, könnte man sagen, denn die Antwort hängt von der Zeit ab - und zwar von der Zeit, in der die Frage gestellt wird. Bis 1967 war alles ganz einfach: Eine Sekunde war als "86.400. Teil eines mittleren Sonnentages" definiert (24 Stunden mal 60 Minuten mal 60 Sekunden sind insgesamt 86.400 Sekunden).

Das klingt zwar logisch, stimmt aber mit der Praxis leider so nicht überein. Die Erde dreht sich nämlich keineswegs absolut gleichförmig, vielmehr gibt es etliche Einflussfaktoren (Gezeitenreibung, Blattwachstum der Bäume etc.), die die Geschwindigkeit der Erdrotation und somit die Länge eines Tages beeinflussen können. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Erde so immer mehr beschleunigt, insgesamt gesehen aber,wird sie auf Dauer eher abgebremst.

Für unsere hoch technisierte Welt ist das zu ungenau, befand man schon 1967, und wählte eine von derartigen Schwankungen unabhängige Basis für die Zeitbestimmung, nämlich die äußerst präzise Schwingung von Cäsiumatomen. Die Sekunde wurde also dementsprechend neu definiert: "Eine Sekunde ist das 9.192 631.770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung." Klingt zwar etwas sperrig - Wissenschaftler wie Physiker und Astronomen konnten damit aber erst einmal leben.

Bis heute, könnte man sagen, denn inzwischen gibt es eine ganze Reihe neuer Technologien und Anwendungen, die eine noch exaktere Zeitbestimmung ganz gut gebrauchen könnten. Geologen, Kommunikationstechniker und Militärs wollen so beispielsweise die GPS-Bestimmung präzisieren und Wissenschaftler möchten u.a. Naturkonstanten überprüfen. Mit anderen Worten: Eine noch präzisere Sekunde soll her, ja praktisch ein ganz neues Zeitalter sozusagen. Das Problem: Es gibt gar keine Uhr für diese schöne neue Zeit. Genau das soll sich jetzt ändern.

Mit Licht betrieben

Schon seit einigen Jahren forschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt mit Hochdruck an der sogenannten "optischen Uhr", die mit Licht betrieben wird. Warum diese neuartige Uhr so überaus präzise ist, weiß Christian Lisdat von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig: "Eine optische Uhr ist so genau, weil ihr ,Pendel' so schnell schwingt", sagt der Fachmann für Quantenoptik, "so lässt sich die Skala gewissermaßen feiner aufteilen und auch feiner kontrollieren."

Das ist bei herkömmlichen Uhren im Prinzip nicht anders, nur eben, dass es hier um ganz andere Dimensionen geht. Ein Uhrenvergleich macht das deutlich. Bei einer ganz normalen Standuhr gibt das typische Tick-Tack-Geräusch Aufschluss über die Schwingungsanzahl des Pendels pro Sekunde (Hertz). Typischerweise vergeht genau eine Sekunde vom "Tick" zum "Tack", und eine weitere Sekunde, bis das Pendel wieder an seinen Ursprungsort zurückgekehrt ist, und erneut "Tick" macht - die Frequenz beträgt also 0,5 Hertz (denn für eine vollständige Bewegung bzw. Periode braucht das Pendel ja ganze zwei Sekunden).

Atomuhren können's besser

Derart langsam schwingende Standuhren können durchaus mehrere Minuten am Tag falsch gehen. Gute mechanische Armbanduhren hingegen schwingen mit ihrem "Unruhe" genannten "Pendel" mit einer Frequenz von 5 Hertz, also zehnmal so schnell wie die Standuhr, und können dementsprechend auch sehr viel genauer sein. Abweichungen von nur wenigen Sekunden pro Tag werden so möglich. Quarzuhren können es bauartbedingt noch besser: In ihnen schwingt ein Quarz mit einer Frequenz von erstaunlichen 32.768 Hertz. Fehler summieren sich hier typischerweise auf einige wenige Sekunden pro Monat. Man ahnt es schon: Atomuhren können es noch besser, viel besser sogar.

Die Cäsiumfontänenuhren CSF1 und CSF2 der PTB in Braunschweig, die zu den derzeit genauesten Uhren der Welt zählen, arbeiten mit einer Unsicherheit von 10 hoch minus 15, was einer Abweichung von einer einzigen Sekunde in zehn Millionen Jahren entspricht. In ihnen werden Cäsiumatome bei einer Frequenz von 9.192 631.770 Hertz mit Mikrowellen bestrahlt. Die optischen Uhren, die in einigen Laboren schon in der Erprobungsphase sind, sollen das noch übertreffen.

Sie werden mit sichtbarem Licht betrieben, das noch sehr viel schneller schwingt. An der Universität von Boulder, Colorado (USA), gelang es im letzten Jahr den Physikern, einen Prototypen mit atemberaubenden 518 Billionen Schwingungen pro Sekunde ticken zu lassen. Erst in etwa 14 Milliarden Jahren dürfte diese optische Uhr um eine einzige Sekunde falsch gehen - was dem Alter des Universums entspricht. Theoretisch zumindest, denn in der Praxis gibt es noch jede Menge Probleme mit den wenigen Prototypen, an denen zur Zeit weltweit gewerkelt wird, u.a. auch an der PTB in Braunschweig.

Vor allem die Stabilität und Zuverlässigkeit der Uhren im Dauerbetrieb auch unter widrigsten Bedingungen, wie etwa dem Weltraum, bereitet den Wissenschaftlern noch Kopfzerbrechen, und auch die Synchronisation mehrerer derartiger optischen Uhren wirft Fragen auf. Dennoch sind sich die Experten einig, dass diese Probleme zu bewältigen sind, und die optischen Uhren in Zukunft den Takt für ein ganz neues Zeitalter vorgeben werden. "Die Chancen stehen gut, dass die Definition der Sekunde dann geändert wird" meint Christian Lisdat. Wann es allerdings ganz genau soweit sein wird, das können die Fachleute auf der ganzen Welt nicht mit der gewohnten Präzision sagen: In einigen Jahren wahrscheinlich - so in etwa.