Ärgerte die deutschen Handballer mit vier Treffern: Der Franzose Nikola Karabatic . Foto: AFP
Von Michael Wilkening
Rio de Janeiro. Manchmal geschehen Dinge im Sport, die nicht erklärbar sind. Gestern sahen 11 000 Menschen bei den Olympischen Spielen in der Handballhalle ein Spiel, dass sie nicht mehr vergessen werden. Deutschland hatte im Halbfinale gegen Frankreich schon so gut wie verloren, kämpfte sich eindrucksvoll zurück, um zwei Sekunden vor dem Ende doch zu verlieren. Frankreich gewann 29:28 (16:13), Deutschland bleibt am Sonntag, 15.30 Uhr MESZ, nur das Spiel um Platz drei.
Der Versuch des Europameisters, den Dominator des Welthandballs des zurückliegenden Jahrzehntes zu bezwingen, bedeutete, mit Geschwindigkeit über Kraft und Abgeklärtheit des Kontrahenten zu siegen. Schon nach wenigen Minuten wurden in der Handballhalle zwei Dinge offensichtlich: Frankreich war bereit, seine Vormachtstellung mit einem Erfolg über die aufstrebenden Deutschen zu untermauern. Und die Deutschen fanden nur mühsam eine Strategie, um in der Abwehr Lösungen zu finden, die körperlichen Vorteile der Franzosen auszugleichen.
Schnell zog der Titelverteidiger davon und führte nach einer Viertelstunde mit 10:6. Zu diesem Zeitpunkt stand bereits Silvio Heinevetter im Tor der Deutschen, denn Andreas Wolff fand keinen Zugang zum wichtigsten Spiel seiner bisherigen Karriere. Der ehrgeizige Torhüter vergrub sein Gesicht zunächst hinter seinen Händen, sah danach aber doch, dass die deutsche Mannschaft es zumindest schaffte, sich nicht weiter distanzieren zu lassen. Nach 30 Minuten lag Frankreich verdient mit 16:13 vorne.
Unmittelbar nach Wiederbeginn zogen die Franzosen davon und führten nach 40 Minuten mit 22:15. Unerwartet früh hatte der Olympiasieger den Angriff des Herausforderers abgewendet. So sah es für ein paar Momente aus, doch ein verrücktes Spiel nahm eine Wende, die nicht mehr möglich schien. Die Franzosen wurden müde und die Deutschen fanden in der Deckung jetzt das richtige Mittel zwischen körperlicher Härte und Cleverness. Zunächst arbeiteten sie sich ganz sachte an den übermächtig erscheinenden Gegner heran, ehe der Treffer zum 24:26 acht Minuten vor dem Ende dafür sorgte, dass die Partie noch einmal neu begann.
Deutschland war jetzt deutlich besser, die Deckung brachte die Franzosen zur Verzweiflung, und als Tobias Reichmann 58 Sekunden vor dem Ende das 28:28 erzielte, war plötzlich möglich, was in der Nachbetrachtung als Wunder beschrieben worden wäre. Doch Frankreich hatte den Ball und mit viel Routine schaffte es der Olympiasieger, den Angriff so lange auszuspielen, bis klar war, dass der letzte Wurf die Entscheidung herbeiführen sollte. Daniel Narcisse warf aus spitzem Winkel und der Versuch des einstigen Welthandballer landete zwei Sekunden vor Schluss im Tor der Deutschen. Ein Spiel, das nicht in Gänze erklärbar bleiben wird, hatte ein dramatisches Ende gefunden.
"Wir hätten es verdient gehabt, das Spiel zu gewinnen", sagte Julius Kühn. Der Rückraumspieler war mitverantwortlich für die Aufholjagd. Nach der Partie spürte er wie seine Kollegen dennoch dieses kaum fassbare Gefühl der Enttäuschung. "Wir haben immer an uns geglaubt", sagte Steffen Weinhold: "Umso bitterer, dass wir das Spiel am Ende dann so verlieren."
Deutschland: Wolff (Kiel), Heinevetter (Berlin) - Gensheimer (Paris/11/3), Kühn (Gummersbach/8), Reichmann (Kielce/4), Drux (Berlin/2), Häfner (Hannover/1), Weinhold (Kiel/1), Strobel (Balingen/1), Pekeler (Rhein-Neckar Löwen), Wiencek (Kiel), Wiede (Berlin), Lemke (Magdeburg), Fäth (Berlin)