Marode Infrastruktur lähmt die USA - "Wie China in den 80ern"

Viele Europäer auf Besuchsreise wundern sich, mancher Asiate ist entsetzt: Im Hochtechnologieland USA knarrt und knirscht das Schienen- und Straßennetz an allen Ecken und Enden. Die marode Infrastruktur macht weder Obama noch Romney zum Wahlkampfthema - aus gutem Grund.

21.06.2012 UPDATE: 21.06.2012 08:56 Uhr 2 Minuten, 23 Sekunden
Am 25. Mai 2011 zerstörte ein Tornado ein ganzes Wohnviertel in Joplin, Missouri. Foto: dpa
Von Frank Fuhrig

Washington. (dpa) Drei Stunden sitzt Weltbank-Chefökonom Justin Lin im Zug, selbst wenn er die schnellste Verbindung für die Strecke von Washington nach New York wählt. Im Schwellenland China, dem Geburtsland Lins, braucht ein Hochgeschwindigkeitszug nur die Hälfte der Zeit für die 360 Kilometer lange Strecke, rechnet er vor. Es ist ein gutes Beispiel für den schlechten Zustand der US-Infrastruktur. Besserung ist kaum in Sicht. Sinkende Steuereinnahmen und politischer Stillstand gefährden sogar noch den ohnehin maroden Status Quo.

Lin lebt in der Nähe von Washington. Um die US-Hauptstadt sind Stromausfälle an der Tagesordnung. Grund dafür ist eine fatale Kombination aus anfälligen oberirdischen Stromleitungen und Bäumen entlang der Trassen. "Wann immer starker Wind geht, haben wir einen Stromausfall", erzählt der leidgeprüfte Lin. "Es erinnert mich an China in den 1980ern." In einem Bericht zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit des "World Economic Forum" 2011-2012 belegt die US-Gesamtinfrastruktur nur Platz 24 von 142, hinter Malaysia. Deutschland kommt in dieser Kategorie auf Platz 10.

Die Ausgaben für die Infrastruktur sinken jedoch seit Jahrzehnten - auf etwa 2,4 Prozent des US-Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2007, wie die Budgetbehörde des US-Kongresses mitteilt. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Europäische Regierungen investieren im Schnitt etwa 5 Prozent. In weiten Teilen des Landes, vor allem in ländlichen Gebieten, sind öffentliche Verkehrsmittel so gut wie nicht vorhanden. Es gibt kein Hochgeschwindigkeits-Schienennetz, weite Teile des Straßennetzes müssen erneuert werden, die Flughäfen sind überlastet. Als 2005 Hurrikan Katrina tobte, brachen die vernachlässigten Deiche in New Orleans. 2007 starben 13 Amerikaner beim Einsturz einer Straßenbrücke im Bundesstaat Minnesota. US-Bauingenieure müssen immer wieder Straßen oder Brücken als schadhaft einstufen.

Aber weder für Präsident Barack Obama noch für seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney ist die Infrastrukturkrise ein Wahlthema. Das Weiße Haus hatte zwar in seinem Budgetentwurf für 2012 Infrastrukturfragen als "kritisch" für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit des Landes bezeichnet, doch auf der Obama-Wahlkampfseite findet sich nichts zum Thema. Es fehlt schlichtweg das Geld. Mitt Romney hingegen wirbt nur für die Privatisierung der Bahngesellschaft Amtrak, die mit jährlichen Subventionen von 1,6 Milliarden Dollar (1,25 Milliarden Euro) am Laufen gehalten wird.

Die Staatsschulden und Wirtschaftskrise überschatten die Infrastrukturdebatte. Die Schulden betragen mehr als 100 Prozent des BIP, seit 2007 sind die jährlichen Defizite höher als 1 Billion Dollar. Verbesserungen der Infrastruktur werden zum Teil über eine Treibstoffsteuer finanziert - zur Zeit liegt diese bei 4,86 Cent pro Liter Benzin und bei 6,45 Cent für Diesel. Das bringt etwa 32 Milliarden Dollar pro Jahr, aber seit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise sinken die Einnahmen. Eine Erhöhung gilt als politisch kaum durchsetzbar.

Um langfristige Planungen zu gewährleisten, hatte der US-Kongress in der Vergangenheit Transportbudgets für fünf bis sechs Jahre bewilligt. Doch seit 2009 gibt es nur noch eine Reihe von kurzfristigen Gesetzen, das neunte Überbrückungsgesetz läuft am 30. Juni aus. Obama wollte im Februar ein Transport-Finanzierungsgesetz für sechs Jahre über 476 Milliarden Dollar auf den Weg bringen, scheiterte aber im Kongress. Eine Infrastrukturbank nach europäischem Vorbild wäre eine Lösung. Im Vorjahr hatte das Weiße Haus eine abgespeckte 30-Milliarden-Dollar Variante vorgeschlagen, die sich über Steuerreformen finanzieren soll. Doch auch dafür gibt es kaum Erfolgsaussichten im Kongress.

Zur Bewältigung der Wirtschaftskrise hatte die US-Regierung im Jahr 2009 ein 800-Milliarden-Dollar Konjunkturpaket beschlossen. Davon sind nach Schätzungen etwa 200 Milliarden in den Straßenbau, Hochgeschwindigkeitszüge, Flughäfen, Schulbau, Wasserprojekte, grüne Energien und den Ausbau von Breitband-Internet geflossen. Aber es bleibt nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bereits 2008 schätzte eine eigens eingesetzte Kongresskommission, dass etwa 255 Milliarden Dollar im Jahr notwendig seien, um die Transportinfrastruktur in den nächsten 50 Jahren instand zu halten und zu verbessern. Die Ausgaben betrugen 2008 nicht einmal die Hälfte dieser Summe.

Bericht "World Economic Forum"

Wahlkampfseite Barack Obama

Mitt Romney zu Amtrak

Congressional Budget Office

Bericht National Surface Tansportation Policy Commission - 2008

Weißes Haus zur Infrastrukturbank