Von Claus Weber
Dawson-City/Kanada. In der Nacht zum Sonntag blieb das Thermometer bei 40 Grad stehen und die Teilnehmer mussten zum zweiten Mal auf Pritschen quasi im Freien schlafen. Nein, die Rede ist nicht vom Ekel-Camp im australischen Dschungel, sondern von der Fulda Challenge. Die findet fast zeitgleich mit dem RTL-Zeltlager für Prominente ein paar tausend Kilometer weiter nördlich im kanadischen Yukon Territorium statt. Bei den 40 Grad handelt es sich deshalb auch nicht um heiße Plus-, sondern um bitterkalte Minusgrade.
Zum zwölften Mal schon hat der Reifenhersteller aus Hessen Athleten und Prominente in den nordwestlichsten Zipfel Kanadas eingeladen, um Mensch und Maschinen einem ganz und gar ungewöhnlichen Härtetest zu unterziehen: Einem Zehnkampf in Schnee und Eis, der freilich weniger sportlicher Wettstreit ist als vielmehr Eventmarketing für Automobile und Reifen.
In den letzten Jahren waren schon Schauspieler Hannes Jaenicke oder Sänger Joey Kelly dabei, DTM-Pilot Martin Tomczyk, Kanutin Birgit Fischer, Diskus-Riese Lars Riedel oder Tanzchoreograf Detlef D. Soost. Diesmal sucht Kickbox-Weltmeisterin Dr. Christine Theiss den besonderen Kick am nördlichen Polarkreis. Außerdem die frühere Weltklasse-Biathletin Katja Beer, der 16-fache Paralympics-Sieger Gerd Schönfelder, DMAX-Moderatorin Lina Van de Mars und Jenke von Wilmsdorff. Der dürfte den Fernsehzuschauern vor allem aus Birgit Schrowanges RTL-Magazin bekannt sein, wo er sich außergewöhnlichen Selbstexperimenten unterzog und schon mal monatelang nur von Fastfood lebte.
Auch diesmal sucht er das Extreme. "Meine Experimente sind massenkompatibel, doch die Fulda Challenge gehört nicht in diese Kategorie, das ist mein ganz persönliches Experiment", erklärte er, "ich will herausfinden, wo meine Grenzen sind."
Die hat der 46-jährige Schauspieler und Moderator schon beim zweiten Wettkampf gefunden, als er einen 200 Kilogramm schweren Schlitten auf dem verschneiten Bahnsteig von Carcross, einem Grenzort nahe Alaska, ziehen sollte und nach rund der Hälfte der Strecke aufgab. "Ich war mit meiner Kraft am Ende, hatte außerdem vor einigen Jahren einen Bandscheibenvorfall", erklärte er, "das Risiko war mir dann doch zu groß."
Von Wilmsdorff war einer der ganz wenigen, die einen Wettkampf vorzeitig abgebrochen haben, weshalb Hans-Joachim Stuck vor dem letzten Wettkampf am gestrigen Dienstag zufrieden Bilanz zieht. "Wir haben heuer eine ganz angenehme Gruppe zusammen", meint der ehemalige Formel1-Pilot und Langstreckenweltmeister, der den arktischen Wettkampf erfunden hat und seitdem dessen Sportlicher Leiter ist. "Wir hatten immer mal Alphatiere dabei, die heraushängen ließen, dass sie prominent sind. Diesmal machen auch die Promis einen super Job."
Was gar nicht so einfach ist. Vergangenen Samstag mussten die Teilnehmer auf einem zugefrorenen See bei Whitehorse, der Hauptstadt des Yukon Territoriums, 20 Kilometer auf Langlaufskiern meistern, anschließend einen Reifen zielgenau aus einem Helikopter werfen, einen Tag darauf wurden sie von einem Auto auf Skiern durch einen Slalomparcours gezogen. Was die Aufgaben so schwierig macht, ist der unbarmherzige Wind, dessen sogenannter "Windchill" dafür sorgt, dass sich minus 25 Grad gleich mal zehn Grad kälter anfühlen.
Am Sonntag hatte der Wind zum Glück nachgelassen, dafür sackten die Temperaturen vollends in den Keller. Mittlerweile in Dawson City angekommen, fühlte man sich wie in einem Tiefkühlschrank und am Ende der Welt. Dabei lebten an der Mündung des Klondike Rivers einmal an die 100.000 Menschen. Vor 115 Jahren wurde nämlich hier, an einer abgelegenen Flussmündung von Rabbit Creek und Klondike River, der erste riesige Klumpen Gold gefunden - und damit der größte Goldrausch aller Zeiten ausgelöst. Dawson City wurde über Nacht die größte Stadt nördlich von Seattle. Heute leben im gesamten Yukon Territorium, das so groß wie Deutschland, Dänemark und die Beneluxstaaten zusammengenommen ist, nur noch rund 37.000 Menschen - halb so viele, wie es hier Elche gibt.
Heute leben in Dawson nur noch 1500 Hartgesottene. Doch keinen einzigen davon sah man am Sonntagabend, um die Athleten beim Nachtlauf durch die verschneiten Straßen der Stadt anzufeuern. Bei 46 Grad minus war es einfach viel zu kalt. Deshalb wurde die ursprünglich geplante Halbmarathon-Strecke auf "nur" 7,5 Kilometer verkleinert. "Wir mussten verkürzen, weil das sonst die Lungen nicht mitmachen", erklärte Hans-Joachim Stuck.
Von den vier Sportlerpaaren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Kanada kamen bislang die Deutschen am besten mit den menschenfeindlichen Bedingungen zurecht. Das liegt vor allem an einem Badener, der auch schon beim HeidelbergMan und beim Rhein-Neckar-Cup in Viernheim und Ladenburg am Start war: Triathlet Alexander Lang aus Schallstadt-Mengen bei Freiburg. Der 44-jährige Skilehrer hat schon 20 Mal den Ironman Hawaii bestritten und drei Mal in seiner Altersklasse gewonnen. Dennoch ist der Wettkampf am Yukon für ihn eine ganz besondere Herausforderung. "Hawaii ist anstrengender, aber die eisigen Temperaturen machen diese Challenge zu einem echten Härtetest", sagt er.
Vor allem wegen der Nächte im Zelt. Die waren für Gerd Schönfelder, der vor 22 Jahren bei einem Unfall den rechten Arm sowie drei Finger der linken Hand verloren hat, noch nicht einmal das Schlimmste. "Alle Wettkämpfe hier machen Spaß", sagte der Behindertensportler der Jahre 2010 und 2011, "doch wenn du nachts aufs Klo musst, dann ist das eine echte Qual."
Wenigstens blieben den Sportlern weitere Nächte im Zelt erspart, weil ein Transportauto am Morgen nicht angesprungen war. Das ist für die Macher der Fulda Challenge nur ein kleineres Malheur. In früheren Jahren, erinnert sich Hans-Joachim Stuck, sind schon Autos auf zugefrorenen Seen eingebrochen, Hundeschlitten stürzten um und eine Magen-Darm-Grippe setzte Sportlern und Journalisten zu.
Einmal rückte sogar die Royal Canadian Mounted Police aus, um einen verloren gegangenen Mitfahrer zu suchen. "Wenn du dich hier in der Kälte verfährst oder liegen bleibst, kann das schlimm ausgehen, die Suchaktion hat uns damals 100000 kanadische Dollar gekostet", erinnert sich Stuck. Auch ihm selbst wurde auch schon übel mitgespielt. Vor ein paar Jahren stoppte ihn auf der Fahrt nach Skagway die Polizei, stellte bei dem bekennenden "Nichttrinker" (Stuck über Stuck) eine halb leere Flasche Whiskey sicher und kam beim Alkomattest auf 1,1 Promille. Da in Kanada nicht ein Tropfen Alkohol am Steuer erlaubt ist, musste der Bayer für eine Nacht in den Knast, wo er sich eine Zelle mit einem Betrunkenen teilte.
"Da saß ich nun eine Stunde ohne Zahnbürste und Schlafanzug und war der Verzweiflung nahe", schmunzelte er beim Erzählen, "und dann geht plötzlich die Zellentür auf und auf einem Schild steht: ,Willkommen bei Verstehen Sie Spaß?'"
Den Athleten ist der Spaß (noch) nicht vergangen, auch wenn sie die schweren Prüfungen nicht ganz unkritisch angehen. Katja Beer machte sich vor dem Schneeschuh-Rennen bei minus 38 Grad am Montag schon etwas Sorgen. "Bei uns im Biathlon gibt's keine Wettkämpfe unter 20 Grad minus", sagte die siebenfache Europameisterin, "ich hoffe, dass sich hier keiner zu viel zumutet." Denn das Schwerste kam zum Schluss: Dienstag Abend mussten die Teilnehmer auf einem Seil über den berühmt-berüchtigten Miles Canyon klettern. Eine Prüfung, die Christine Theiss locker anging: "Ich habe jetzt vor gar nichts mehr Angst."
Hintergrund:
Ausdauer, Geschicklichkeit, ein starker Wille und Kälteunempfindlichkeit sind gefragt beim arktischen Zehnkampf im Yukon. Das sind die Aufgaben für Sportler und Prominente:
Schneemobil-Rennen auf einer 80 PS starken Maschine auf den verschneiten Dünen der Carcross-Wüste.
Schlittenziehen: Um an den mühsamen Marsch der Goldgräber zu erinnern, wird ein mit 200 Kilogramm Holz und Proviant bepackter Schlitten gezogen.
20 Kilometer Ski-Langlauf auf dem gefrorenen Lake Schwatka.
Helikopter-Drop: Aus dem Hubschrauber heraus wird ein Reifen auf einen markierten Kreis im Schnee abgeworfen.
Ski-Jöring: Eine Art Wasserski auf verschneiter Flugzeugpiste. Die Sportler fahren Slalom hinter einem Kia Sportage.
Gold-Rush-Run: Ein 7,5 Kilometer langer Stadtlauf im nächtlichen Dawson City, der alten Goldgräberstadt am Klondike.
Off-Road-Parcours: Mit dem Auto gehts über einen vereisten Hindernis-Parcours auf der Eisbrücke des Yukon-Rivers.
Schneeschuh-Rennenüber sieben Kilometer bergauf und -ab auf dem Top of the World Highway.
Canada-Games: Baumstammsägen direkt vor dem Downtown Hotel in Dawson-City.
Rope Crossingüber den Miles Canyon: Die Athleten müssen kriechend auf oder hängend unter einem Seil die aus der Goldrauschzeit berühmt-berüchtigte Schlucht bei Whitehorse überqueren.