Hintergrund "Wichtiges Urteil für unsere Gesellschaft"

22.03.2018 UPDATE: 22.03.2018 06:00 Uhr 1 Minute, 44 Sekunden

Von Andreas Herholz, RNZ Berlin

Tübingen. Boris Palmer (45, Grüne) ist Tübinger Oberbürgermeister und eckt innerhalb seiner Partei regelmäßig mit seinen Standpunkten zum Umgang mit Flüchtlingen an.

Herr, Palmer, lebenslange Haft für den Flüchtling Hussein K. Wie bewerten Sie das Urteil im Prozess um den Mord an einer Studentin in Freiburg?

Die Entscheidung ist absolut angemessen. Sowohl im Hinblick auf die Tat als auch mit Blick auf die Sühne für die Opfer. Das ist ein wichtiges Urteil auch für unsere Gesellschaft in der schwierigen Debatte über Gewalt von Asylbewerbern.

Die Frage des Alters des Täters war in dem Prozess für das Strafmaß entscheidend. Hussein K. hatte sich als minderjähriger Flüchtling ausgegeben, obwohl er älter als 21 Jahre ist. Muss man bei der Altersbestimmung von Flüchtlingen nachbessern?

Ja, hier muss genau geprüft werden. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag bereits die richtigen Schritte vereinbart. In Zukunft soll die Altersfeststellung nicht mehr über die rund 600 Jugendämter laufen, sondern zentral in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder durchgeführt werden. Wenn die nötigen Ausweispapiere fehlen, darf man sich keine Manschetten anlegen, sondern muss das Alter mit medizinischen Untersuchungen zweifelsfrei feststellen. Die Richter haben klar erkannt: Das geht.

Kritiker befürchten Gesundheitsrisiken durch die Untersuchungen…

Ohne Röntgenuntersuchungen geht es nicht. Aber die Strahlenbelastung durch eine Röntgenaufnahme der Hand ist nicht schlimmer als ein Flug nach New York und deswegen zumutbar. Der Anreiz, beim Alter zu täuschen, sich als Jugendlicher auszugeben ist so groß, dass man es den Menschen nicht einmal verdenken kann, es zu versuchen.

Zuletzt haben Sie vor einem zu laschen Umgang mit Flüchtlingen gewarnt. Was meinen Sie damit konkret?

Leider ist der Freiburger Fall nicht der einzige, in dem angeblich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schwere Straftaten begangen haben. Es gibt auch Fälle, in denen die falsche Alterseinstufung eine Voraussetzung für die Straftat war. Die Mischung mit vermeintlich Gleichaltrigen, obwohl der Täter in Wahrheit mehrere Jahre älter war, hat beispielsweise im Fall in Kandel Täter und Opfer erst in Kontakt gebracht. Und dann gibt es Fälle wie den in Tübingen, wo der Täter durchs Raster der Ermittler fiel, weil man auf der Suche nach einem etwa 30-Jährigen war, der Täter aber laut seinen Papieren erst 17 war. Deshalb ist die Altersfeststellung so wichtig. Die Diskussion um diese aufsehenerregenden Fälle wird von zwei Polen dominiert: Die einen sagen, alle Flüchtlinge seien potenzielle Mörder, und die anderen sagen, es gebe bei Flüchtlingen überhaupt keine Besonderheiten, das sei alles nur Rassismus. Beides ist empirisch falsch. Man darf das nicht generalisieren, weil es nur sehr wenige Straftaten sind. Auf der anderen Seite haben die Taten spezifische Gemeinsamkeiten. Deshalb muss man über die Probleme sprechen und nach Wegen zur Vermeidung weiterer Opfer suchen.