Hintergrund Interview Saša Stanišić

Saša Stanišic´ im RNZ-Interview

25.10.2019 UPDATE: 25.10.2019 20:30 Uhr 1 Minute, 20 Sekunden

Saša Stanišic´.

Foto: Rothe

Saša Stanišić im RNZ-Interview

Wenn Sie an Heidelberg denken, woran denken Sie zuerst?

Es kommen sofort viele unterschiedliche Erinnerungen hoch, die Jugend im Emmertsgrund, die IGH, ein neues Leben in einer neuen Sprache, die Härten des Flüchtlingsdaseins, dann all die Menschen, die nicht nur wohlwollend waren, sondern auch willens - zu helfen, dann das Studium und der Job im Café Burkhardt, Verliebtheiten und Verrücktheiten, ein Hochsitz im Wald in Richtung Gaiberg, in dem ich meine ersten Gedichte auf Deutsch schrieb ...

Sie sind ja immer mal wieder in der Stadt. Gibt es einen Ort, den Sie bei Ihren Besuchen nie aussparen würden?

Emmertsgrund, ganz klar. Ich fahre da jedes Mal hoch, spaziere durch mein altes Viertel, durch den Weinberg, das Wäldchen. Es war dort für meine Familie und mich eine extrem intensive Zeit, das Fallbeil der Abschiebung über unseren Köpfen und das teilweise prekäre Leben auf der einen Seite, und auf der anderen all die Abenteuer mit Freunden, das Heranwachsen in einem ethnisch diversen Milieu mit all den schönen und schrecklichen Erfahrungen, die man machen kann als Teenager.

Welche Bedeutung hat Heidelberg rückblickend für Ihr Schreiben?

Eine ähnlich große wie meine Geburtsstadt, Višegrad: Heidelberg ist ein Ort für Geschichten und ein Ort voller Geschichten. Selbst mit einer bewegten Vergangenheit und - zumindest für mich - spannenden Gegenwart. Es ist sicher kein Zufall, dass sich so viele große Schriftsteller hier am Neckar in Texte stürzten. Für mich beginnt im Emmertsgrund meine Karriere als deutschsprachiger Autor. Dort oben habe ich die ersten Gedichte auf Deutsch geschrieben und über Weltentwürfe nachgedacht, die später literarische Texte wurden. Sogar die Idee, einmal ein Dorf aus Sprache zu bauen, kam mir im Emmertsgrund, als ich in mein Tagebuch etwas über das Leben in unserem Viertel notierte. Zwanzig Jahre später ist dann aus dieser Notiz mein Roman "Vor dem Fest" entstanden.

Ist Heidelberg, auch wenn Sie inzwischen in Hamburg leben, für Sie Heimat?

Heidelberg ist mehr als Heimat: ein definierendes Stück meiner Biografie - eines also, das mich heute extrem noch prägt und zu dem Menschen und Schriftsteller macht, der ich bin.