Hintergrund - Für viele war es unvorstellbar

21.10.2020 UPDATE: 21.10.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 10 Sekunden

Die badischen Juden wurden binnen kürzester Zeit verschleppt

Heidelberg. (web) Der Plan war geheim gehalten worden, aber ganz verheimlichen ließ er sich nicht: Schon vor dem 22. Oktober 1940 – dem jüdischen Laubhüttenfest – ahnte der Wanderprediger Richard Ney, was geschehen würde: Er schlug sich unter Lebensgefahr per Zug, Autobus und zu Fuß nach Lützelsachsen bei Weinheim durch, wo sein Schwiegervater Heinrich Liebmann lebte. "Als englischer Wanderlehrer für die jüdischen Landgemeinden Württembergs kam zufällig zu meiner Kenntnis, dass im Oktober 1940 alle Juden in Elsass-Lothringen und in der Pfalz in das Lager Gurs abtransportiert wurden. Ich war mir darüber im Klaren, dass innerhalb derselben Reichsstatthalterschaft nicht mit zweierlei Maß gemessen würde und dass den badischen Juden dasselbe Schicksal bevorstünde."

Liebmann war nicht von einer Flucht nach Württemberg zu überzeugen. Selbst nach Jahren der Entrechtung erschien eine Massen-Verschleppung vielen jüdischen Badenern unvorstellbar. Nachzulesen ist dies in dem Buch "Die Stadt Weinheim zwischen 1933 und 1945", das auf die "Wagner-Bürckel-Aktion" eingeht.

Der 22. Oktober 1940 sollte als einer der schwärzesten Tage in die Geschichte Süddeutschlands eingehen. Den 6504 Opfern – darunter 5617 jüdische Mitbürger aus Baden – blieb kaum Zeit, ihre Habseligkeiten und maximal 100 Reichsmark zusammenzupacken. Die Enteigneten wurden mit Zügen nach Frankreich verschleppt.

Benannt ist das Verbrechen nach den Gauleitern Robert Wagner (Baden) und Josef Bürckel (Saarpfalz). Die beiden "teilten" sich Elsass-Lothringen, das nach dem militärischen Sieg Nazideutschlands über Frankreich dem "Reich" einverleibt wurde. Die Vichy-Regierung, die dem unbesetzten Süden Frankreichs vorstand, musste der Aufnahme aller abgeschobenen Juden aus Elsass-Lothringen zustimmen. Dies dehnten Bürckel und Wagner einseitig auf die Juden aus Saarpfalz und Baden aus. Proteste der anderen Seite blieben folgenlos. Die Opfer wurden in Gurs interniert. Nur wenigen gelang die Emigration. Einige Kinder wurden von Hilfswerken gerettet. Der 1875 geborene Liebmann wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Wagner wurde 1946 in Frankreich als Kriegsverbrecher hingerichtet. Bürckel musste sich nie verantworten. Er starb 1944 eines natürlichen Todes.