Hintergrund Christian Lindner in Eppelheim

04.12.2018 UPDATE: 04.12.2018 19:42 Uhr 2 Minuten, 9 Sekunden

Christian Lindner in Eppelheim

FDP-Chef Christian Lindner denkt gar nicht daran, für seinen Vortrag auf die Bühne der Rudolf-Wild-Halle in Eppelheim zu steigen. Der Bartisch mit einem Mineralwasser auf der Bühne bleibt an diesem Nachmittag verwaist. Lindner diskutierte lieber auf Augenhöhe mit den Zuhörern – über, wie soll es sonst auch anders sein, Wirtschaft, die Freiheit der Gesellschaft und natürlich Bildung.

Mit dem Digitalpakt, den er maßgeblich mitverhandelte, will Lindner die Digitalisierung der Schulen vorantreiben, indem nicht nur "in Kabel, sondern in Köpfe" investiert wird. Die Entscheidung, das Grundgesetz zu ändern, ist im Bundestag zwar gefallen, doch der Bundesrat könnte in einer Woche den Daumen senken und den Vermittlungsausschuss anrufen. Ein Ärgernis für den ehrgeizigen Liberalen. Den Hauptgegner in dieser Frage hat Lindner schnell 
ausgemacht: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der den Widerstand im Bundesrat maßgeblich selbst organisiert.

"Der Bildungsföderalismus ist nicht mehr Teil der Lösung, sondern zum Problem geworden", sagt Lindner, der es den Ländern nicht mehr zutraut, ihre Ausgaben bildungsorientiert zu verwenden. "Auch Baden-Württemberg muss verstehen, dass wir nicht im Wettbewerb mit Bremen stehen, sondern vielmehr grenzübergreifend denken müssen", meint Lindner. Der FDP-Chef fordert mehr Autonomie der Schulen, um eine Leistungssteigerung zu ermöglichen. Erfolg durch Anreize, so das Motto. Zudem müsste eine digitale Lehrerausbildung erfolgen, um Tablets auch anwenden zu können.

Dass der Digitalpakt ausgebremst wird, glaubt Lindner indes nicht, denn die Länderfinanzminister hätten wenig davon, die digitale Modernisierung komplett aus eigener Tasche zu zahlen. Dann lieber das Angebot des Bundes annehmen, um die Hälfte der Kosten als Zuschuss zu erhalten, so ist Lindner sicher.

Heftige Kritik übt der 39-Jährige auch daran, dass die betrieblichen Ausbildungen nicht dem digitalen Zeitalter angepasst werden und Schüler oft nur an eine Universität denken. "Ich habe lieber jemanden, der als Handwerksmeister, Menschen in Lohn und Brot bringt, als jemanden, der irgendwas mit Medien studiert und am Ende gar keinen Arbeitsplatz hat", sagt Lindner, der vor einer "Überakademisierung" warnt.

In seinem rund eineinhalbstündigen Parforceritt durch die Themen der Bundespolitik gibt sich Lindner stets nahbar und eloquent. Die Ausgabenpolitik der Regierung vergleicht Lindner mit dem Kamellewerfen aus dem rheinländischen Karneval. Alle jubeln, wenn die Bonbons mit vollen Händen vom Wagen hinuntergeworfen werden. Nur mit einer nachhaltigen Entwicklung hätte die Mütterrente oder die Rente mit 63 nichts zu tun.

Auch die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel treiben den Liberalen um. "Statt die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, werden wir bald Weltmeister der Steuerbelastung sein", sagt Lindner, der die Abschaffung des Solidaritätszuschlages notfalls mit einer Klage am Bundesverfassungsgericht durchsetzten will.

Die Dieseldebatte mit bevorstehenden Fahrverboten ist Lindner ebenfalls ein Dorn im Auge. Statt wahllos Fahrverbote in deutschen Städten zu verhängen und damit die Bürger massiv einzuschränken, wäre es an der Zeit, die Messstationen auf den Prüfstand zu stellen: "Mir kann doch keiner erzählen, dass in Neapel bessere Luft herrscht als in Stuttgart", echauffiert sich Lindner, der fordert, Busse zu elektrifizieren und Heizungen schnell zu modernisieren.

Lindners Anekdoten kommen beim Publikum an – auch dass Lindner Nachfragen zulässt und selbst das Mikrofon im Saal verteilt, bringt ihm Sympathiepunkte ein. Doch aus der Opposition heraus Forderungen zu stellen, fällt leicht. "Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren", so beendete Lindner vor mehr als einem Jahr die Jamaika-Träume im Bund. Die Chance, in Regierungsverantwortung selbst Probleme anzugehen, hat Lindner verpasst – doch das nehmen ihm die Besucher an diesem Nachmittag nicht übel. (aub)